Über die Fehleranfälligkeit dieser Regierung (Teil II) - Das Gegenteil von nachhaltiger Politik: Sie können es nicht

Wirtschaftlich, finanziell und moralisch war der Juni für unsere Bundesregierung ein einziges Desaster. Es ging schief, was schiefgehen konnte, besonders auch in der Gesellschafts- und der Bildungspolitik. Der Zusammenhalt dieser Regierung bröckelt in einem hohen Tempo. Mit ihrer Personalpolitik à la Bulldozer setzen SPD und Grüne, anstatt aus verheerenden Fehlern und Niederlagen endlich etwas zu lernen, sogar immer noch eine(n) drauf. 

Umstrittene Berufung: Journalistin Ferda Ataman, hier beim Internationalen Frauentag 2019. /dpa
Anzeige

Autoreninfo

Jens Peter Paul war Zeitungsredakteur, Politischer Korrespondent für den Hessischen Rundfunk in Bonn und Berlin, und ist seit 2004 TV-Produzent in Berlin. Er promovierte zur Entstehungsgeschichte des Euro: Bilanz einer gescheiterten Kommunikation.

So erreichen Sie Jens Peter Paul:

Anzeige

Beispiel Gesellschaftspolitik: Die umstrittene Aktivistin und Publizistin Ferda Ataman soll auf Verlangen der Grünen neue Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes werden, die seit vier Jahren wegen einer (von der SPD zu verantwortenden) Konkurrenzklage nur kommissarisch verwaltet wird. Die 43-Jährige will Begriffe wie „Ehrenmord“ oder „politischer Islam“ als „rassistisch“ aus den Medien verbannen. Damit ihr das nicht mehr so ohne weiteres vorgehalten werden kann, hat sie unmittelbar nach ihrer Nominierung so gut wie alle Twitter-Beiträge gelöscht. Angesichts des Aufsehens, das sie mit früheren Postings erregte, sind diese jedoch gut dokumentiert und wurden umgehend erneut von Dritten online gestellt.  

Liberale Muslime wie Ahmad Mansour bescheinigen der Kandidatin ein „abstruses Weltbild“. Neuköllns Sozialstadtrat Falko Liecke (CDU) –  ein Mann, der wirklich im Thema ist – sammelt Unterschriften gegen ihre Ernennung und berichtet von einer bunten Vielfalt bei den Unterzeichnern, „wie manch linke Identitätspolitiker es sich erträumen würden“, unter ihnen nach seiner Darstellung sogar zahlreiche Mitglieder der Grünen. Seine Sorge: Mit dem Vorschlag der Bundesregierung, Ataman zur Unabhängigen Bundesbeauftragten für Antidiskriminierung zu machen, werde „knallharte Identitätspolitik zur offiziellen Regierungslinie“. 

Kritik an der Berufung von Ferda Ataman

Liecke: „Ferda Ataman spaltet, sie sortiert Menschen nach Herkunft und Aussehen in die Kategorien ‚gut‘ und ‚böse‘. ‚Guter Migrant‘, wer ihre radikalen Positionen teilt, ‚böser Migrant‘, wer es wagt, zu widersprechen. Sie fördert damit selbst rassistisches Denken, das sie eigentlich bekämpfen sollte.“ 

Mehmet Tanriverdi von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände wirft der Kandidatin der Grünen vor, sie schaue bei der Gefahr durch Islamisten bewusst weg, ignoriere „Ehrenmorde, Islamismus und Zwangsheirat“, setze diese Begriffe konsequent in Anführungszeichen, als seien sie lediglich üble Nachrede und Ausdruck rassistischen Denkens. Die Sitzordnung bei einer Veranstaltung des Kanzleramts anlässlich des Anschlags von Hanau habe sie sogar eigenhändig geändert, „weil sie nicht neben einem Kurden sitzen wollte“, behauptet Tanriverdi. 

Familienministerium: „Agitationszentrale der Grünen“

Die Grünen sind unterdessen dazu übergangen, jegliche Kritik, jeglichen Protest gegen ihre Personalentscheidungen, Gesetzesvorhaben, Haltungen und Darstellungen umzudeuten in ein willkommenes Zeugnis der Richtigkeit ihrer Linie. Wenn also die Neue Zürcher Zeitung feststellt, die neue Familienministerin baue ihr Haus um zur „Agitationszentrale der Grünen“, um von dort aus das ganze Land mit Gender- und Migrationspolitik grundlegend zu verändern, und gegen Kritiker mit verbaler Aggression vorzugehen, erkennt Lisa Paus darin eine eindrucksvolle Bestätigung ihrer Durchsetzungsfähigkeit, und das bereits nach wenigen Wochen im Amt – das sie erhielt, weil ihre Vorgängerin Anne Spiegel mit einem ganz ähnlichen, ideologisch vergifteten Amtsverständnis krachend gescheitert war. 

Nicht im Traum denke sie daran, so Paus vergangene Woche, von Ataman abzurücken. Im Gegenteil: Diese Frau sei großartig, weil sie sehr differenziert und tiefgehend die gesamte Thematik der Antidiskriminierung durchdringe. Sie werde sich für eine offene Gesellschaft stark machen und viel bewegen. Sofern sie denn tatsächlich vom Bundestag gewählt werden wird. 

Das ist nach einem eilig angesetzten Vorstellungsgespräch in der FDP-Fraktion und unverändert überaus skeptischen Äußerungen aus dieser inzwischen nicht mehr sicher. Die Rede ist von einer Probeabstimmung, um die Kandidatin nicht ins offene Messer laufen zu lassen, was nach dem Streit um die Zukunft von Verbrennermotoren bereits die nächste Koalitionskrise zur Folge hätte. Angeblich sind mehr als ein Dutzend FDP-Abgeordnete unwillig, sie zu akzeptieren.

Ampel kriselt wegen FDP-Abweichlern 

Der Tagesspiegel unkt bereits, in einer geheimen Abstimmung werde es mit der Koalitionsdisziplin nicht weit her sein. Der Wahlgang wurde bereits auf „Vorschlag“ der FDP – andere nennen es „Druck“ – auf kommende Woche verschoben. Eventuell wird er sogar erst nach der Sommerpause stattfinden. Die FDP-Politikerin Linda Teuteberg sagte, sie werde Ataman nicht wählen. Auch der FDP-Abgeordnete Thomas Sattelberger will ihr seine Stimme verweigern, denn das Amt, um das es hier gehe, sei „moralisch außerordentlich anspruchsvoll, es thematisiert zentrale Werte dieses Landes“. Wer wie Ataman eine verfassungswidrige Migrantenquote fordere und der Critical Race Theorie anhänge, wer die Erweiterung des Innenministeriums um „Heimat“ in die Nähe des NS-Konzepts von Blut und Boden gerückt habe, dem, so Sattelberger, fehle die für dieses Amt unverzichtbare „Urteilsfähigkeit“. 

Andere Liberale, die ungenannt bleiben möchten, meinten dagegen, letztendlich werde die Personalie durchgehen, „aber mit der Faust in der Tasche“. Und Wolfgang Kubicki sagte ganz offen, für einen weiteren Koalitionskrach sei die Sache nicht wichtig genug. 

So oder so festigt sich der Eindruck, dass die Grünen ihr Ziel einer gesellschaftspolitischen Transformation nach ihren ideologischen Vorstellungen ohne Skrupel mit dem Bulldozer durchsetzen. Vom gefühligen Gesäusel ihrer Minister Annalena Baerbock und Robert Habeck darf man sich hier nicht täuschen lassen. Es findet knallharte Machtpolitik statt mit verteilten Rollen, aber ohne Rücksicht auf Verluste.
Wie verträgt die Ampel die Kulturkämpfe?

Und die FDP steckt mitten in diesem Kulturkampf, gibt dabei mehr und mehr Rätsel auf, ob sie sich wirklich noch als Korrektiv in einer mindestens übermütigen Ampel-Koalition, als Kraft der Vernunft versteht oder in Wirklichkeit selbst genauso tickt, es nur noch nicht zugeben möchte. Die Lobeshymnen ihres Justizministers Marco Buschmann bei der Vorstellung seines neuen „Selbstbestimmungsgesetzes“ (Bild-Zeitung: "Einmal pro Jahr darf jeder sein Geschlecht wechseln") haben augenscheinlich ihrer Kommentare auf Facebook nicht wenige FDP-Wähler in Verzweiflung gestürzt.    

Krise des Bildungssystems 

Beispiel Bildungspolitik: Unterdessen gehen die wirklich wichtigen Institutionen weiter den Bach herunter. Grundschüler lesen und rechnen immer schlechter. Viertklässler versagen reihenweise bei grundlegenden Aufgaben. Ihr Niveau ist noch schlechter als das von Gleichaltrigen vor zehn Jahren. Einer Fünf-Jahres-Studie der Kultusministerkonferenz (KMK) zufolge ist die Corona-Pandemie ein Grund dafür, aber bei weitem nicht der einzige, denn der neuerliche Einbruch zeichnete sich bereits vorher ab. 

Im Vergleich zur letzten Erhebung 2016 entsprachen die Kompetenzrückgänge im Lesen etwa einem Drittel, in Rechtschreibung und Mathematik einem Viertel eines Schuljahres. Verglichen mit 2011 liegen die Rückstände sogar bei rund einem halben Schuljahr. Fast jeder fünfte Viertklässler kann nicht richtig lesen, sogar jeder dritte kann nicht korrekt schreiben. 

Überall, so die Autoren, haben sich die Ergebnisse verschlechtert. Gerade noch einmal 44 Prozent der Viertklässler erreichten in der Rechtsschreibung noch den Regelstandard. Fast ein Drittel verfehle sogar den Mindeststandard. Der bereits 2011 und 2016 ermittelte negative Trend habe sich bis 2021 noch verstärkt. 

Lesen, Rechnen und Zuhören überfordert jeden Fünften so sehr, dass er nicht einmal die Mindeststandards erreicht. Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Karin Prien (CDU): „Die Schulschließungen und Unterrichtseinschränkungen in der Corona-Zeit haben die Schülerinnen und Schüler in Deutschland in ihrer sozialen Entwicklung und in ihrem Lernerfolg erheblich zurückgeworfen.“ Die Autoren der Studie heben hervor, dass vor allem Kinder, die ohnehin mit Lernproblemen kämpfen, unter dem Unterrichtsausfall besonders stark gelitten hätten.
Alle Ideologien, Reformen und Umstrukturierungen der vergangenen 50 Jahre, die nach eigener Darstellung eine inklusivere und gerechtere Bildungslandschaft zum Ziel hatten, sind ausweislich dieser jüngsten Erkenntnisse krachend gescheitert. Nie waren Herkunft, sozialer Status und das Elternhaus – soweit noch vorhanden –  wichtiger für den Verlauf einer Bildungskarriere als heute. Nur: Immer dann, wenn eine Reform gescheitert war, wurden die Grundannahmen beibehalten, aber die Anstrengungen verdoppelt. 

Integrationspolitik ohne messbare Erfolge 

Ergebnis 2022: Der Zusammenhang zwischen Kompetenzen und „sozioökonomischem Status“ der Familie nahm in allen Bereichen „signifikant“ zu. Die „zuwanderungsbezogene Heterogenität“ (Verschiedenheit) der Schülerschaft habe sich zwischen 2016 und 2021 weiter erhöht. Die stärksten Kompetenzrückgänge hätten fast durchgehend jene Schüler erlitten, die im Ausland geboren sind. 

Eine Zuwanderungspolitik ohne Sinn und Verstand findet ihre Fortsetzung in einer Integrationspolitik ohne messbare Erfolge und, wie man sieht, verstärkt auch in einer Bildungspolitik ohne Sinn und Verstand und vor allem nach wie vor ohne halbwegs plausiblen Plan. 
Versagen auf Bundesebene geht Hand und Hand mit dem Versagen auf Landesebene. Die Länder haben ihre Kompetenzen wenigstens auf dem Feld der Bildungspolitik stets erbittert verteidigt, aber vor den Verhältnissen, die die Bundesebene zu verantworten hat, kapituliert. Schulschließungen werde es auch im Falle neuer Corona-Wellen nicht mehr geben, hieß es nun kleinlaut von den Kultusministern als Konsequenz aus dem verheerenden Befund. Mehr fiel ihnen dazu nicht ein.   

„Sie können es nicht“: Fortsetzung folgt. 
 

Anzeige