Geschlechtliche Selbstbestimmung - „Körperliche Schmerzen holen einen schnell aus der Ideologie“

Die neue Bundesregierung will Geschlechtsumwandlungen erleichtern. Künftig soll jeder Bürger selbst entscheiden können, ob er Frau, Mann oder divers ist. Dabei bestreiten Evolutionsbiologen, dass es ein drittes Geschlecht gibt. Aber nicht nur deshalb ist das geplante Selbstbestimmungsgesetz problematisch.

Innen Mann, außen Frau: Die Ampel-Koalition will Geschlechtsumwandlungen erleichtern / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Bereits im Sommer und damit wenige Wochen vor der Bundestagswahl versuchten die Grünen und die FDP, im Bundestag Gesetzesentwürfe durchzubringen, mit denen die Möglichkeiten der Geschlechterwahl und -angleichung deutlich erweitert werden sollten. Künftig hätten bereits 14-Jährige ihr Geschlecht ändern können sollen – und das sogar einmal jährlich. Auch SPD und Die Linke zeigten Sympathien für diese Form der queeren Liberalisierung.

Gescheitert sind die Gesetzesinitiativen damals letztlich an der Union. Es war aber zu erwarten, dass mit einer Ampelkoalition die Liberalisierung des Personenstandsrechts erneut auf die politische Tagesordnung gesetzt würde – der Koalitionsvertrag macht’s möglich.

Geschlechterwahl per Selbstauskunft

In ihm ist festgelegt, dass es einen „ressortübergreifenden Nationalen Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ geben soll. Mit diesem werden „die Länder bei der Aufklärung an Schulen und in der Jugendarbeit“ finanziell unterstützt. Schließlich soll das Transsexuellengesetz abgeschafft und durch ein „Selbstbestimmungsgesetz“ ersetzt werden. Der Kern: Änderungen des Geschlechtseintrags werden „grundsätzlich per Selbstauskunft“ möglich sein, also ohne medizinisches Fachurteil.

Während die queere community diesen „Durchbruch“ euphorisch feiert, dürfte er insbesondere in der radikal-feministischen Lesben-Szene auf deutlichen Widerspruch stoßen. Der Grund dafür ist nachvollziehbar: Löst sich die Geschlechterordnung auf, kann man nicht einmal mehr sinnvoll für Frauen- und Lesbenrechte kämpfen, weil sich auch nicht mehr bestimmen lässt, wer eigentlich eine Frau oder Lesbe ist. Für die Frauenrechtlerin Gunda Schumann bleibt die Debatte über die „Genderidentität“ daher generell ein „trojanisches Pferd“.

Die Festlegung auf drei Geschlechter 

Kern des Streitpunktes ist dabei, dass das Geschlecht immer öfter nicht mehr als zumindest auch biologische Tatsache, sondern als allein kulturelles und rein persönliches Bekenntnis verstanden wird. Während in dem einen Fall die Geschlechterangleichung eine Operation voraussetzt, reichen in dem anderen Fall eine Willenserklärung und ein bloßer Sprechakt aus. Nahrung hat diese trans-queere Interpretation des Geschlechts als bloßer sozialer Konstruktion im Jahre 2017 ausgerechnet durch das Bundesverfassungsgericht erhalten.

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Es legte fest, dass es künftig rechtlich nicht nur zwei, sondern drei Geschlechter geben solle, neben männlich und weiblich also auch noch das Geschlecht „divers“. Zwar war der Anknüpfungspunkt hierfür beim Bundesverfassungsgericht die Uneindeutigkeit der Geschlechtsmerkmale, aber auch, ob sich die Betroffenen „selbst dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen“ – und damit ein Willensakt. Seinerzeit ging das höchste deutsche Gericht noch von insgesamt 160.000 Fällen aus. Nach Angaben der Bundesregierung hat es zwischen 2018 und Anfang 2021 allerdings nur rund 1.600 Fälle gegeben, in denen von den neuen rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch gemacht wurde. Offenbar fühlen sich die meisten Intersexuellen nicht als „Diverse“, sondern als Männer oder Frauen.

„Ein drittes Geschlecht gibt es nicht.“

Axel Meyer forscht an der Universität Konstanz auch an der Genetik der Geschlechtsbestimmung und gehört zu den renommiertesten Evolutionsbiologen weltweit. Fragt man ihn nach dem „dritten Geschlecht“, ist seine Antwort klar: „Ein drittes Geschlecht gibt es biologisch einfach nicht.“ In der gesamten Natur zeige sich vielmehr durchgängig eine Zweigeschlechtlichkeit – und das seit ungefähr 2 Mrd. Jahren. Demnach hätte das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung getroffen, die sich naturwissenschaftlich nicht rechtfertigen lässt.

Die Zweigeschlechtlichkeit als ordnendes Prinzip macht sich gemäß Evolutionsbiologie an der Größe und der Menge der jeweiligen Geschlechtszellen fest. Die weiblichen seien größer und seltener, die männlichen kleiner und zahlreicher. In Verbindung mit dem Ovulationszyklus der Weibchen erzeuge das für die Männchen einen Kampf um die knappe „Ressource“ Weibchen und deren teure Eier. „Zwar kann dieser Konkurrenzkampf zwischen den Männchen im Unterschied zum restlichen Tierreich beim Menschen durch Erziehung und Kultur modifiziert werden, aber auch dort gibt es eine biologische Basis für das Sozialverhalten“, so Meyer.

Nichtmann und Nichtfrau 

Das, was heute „drittes Geschlecht“ genannt werde, sei daher in Wahrheit kein eigenes Geschlecht, sondern schlicht negativ definiert als „Nichtmann“ oder „Nichtfrau“. Man könne zwar beliebig Namensschilder an Erscheinungen der Natur heften, sie dadurch aber nicht verändern. „Auch wenn wir uns intergeschlechtliche Personen ansehen, also solche mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen, sehen wir ja nichts Drittes, sondern in Wahrheit verschiedene Mischungsverhältnisse der beiden Geschlechter, die in den allermeisten intersexuellen Menschen Unfruchtbarkeit bedeuten.

Sie leiden darunter und haben eine sehr hohe Selbstmordrate. Gerade die Intergeschlechtlichkeit zeigt, dass auch in diesen Fällen die beiden Geschlechter der Referenzrahmen für die biologische Entwicklung bleiben und nicht, dass es ein drittes Geschlecht gibt“, sagt Meyer im Gespräch mit Cicero. Das, was heute unter dem Stichwort der „Transidentität“ diskutiert werde, habe daher eher mit Kultur oder Ideologie als mit biologischen Tatsachen zu tun. Natürlich, so Meyer, hätten solche Menschen eine zu respektierende Würde und Identität als gleichwertige Individuen wie jeder andere auch.

„Körperliche Schmerzen holen einen aus der Ideologie“

Auch Sabet kann man mit der grassierenden Trans-Euphorie nicht wirklich etwas anfangen. Und das hat seinen Grund, und zwar einen ganz persönlichen. Die 28jährige Frau wuchs in Bayern auf und merkte früh, dass sie anders war und auch anders sein wollte, als ihr Umfeld es von ihr erwartete. Schon als Jugendliche interessierte sie sich mehr für Technik und Naturwissenschaften als für Dirndl.

Die heutige Elektrotechnikerin zweifelte daher früh an ihrer geschlechtlichen Identität. Das änderte sich schnell, als sie nach Berlin zog und in die Trans-Szene eintauchte. Plötzlich gab es eine einfache Erklärung für alle ihre Probleme. Sie sei einfach im falschen Körper geboren worden und in Wahrheit ein Mann. So jedenfalls legten es ihr ihre neuen Trans-Freunde nahe. Und sie glaubte daran. Sabet fasste daher einen weitreichenden Entschluss. Sie wollte eine medizinische Transition einleiten, sich also an das männliche Geschlecht angleichen lassen. Mit 21 Jahren nahm sie deshalb Testosteron, mit 24 Jahren erfolgte eine Mastektomie, die Amputation ihrer Brüste.

Rückkehr zum Frausein 

Schnell stellte sich das allerdings als gravierender Fehler heraus, und zwar schon am nächsten Morgen. „Körperliche Schmerzen holen einen sehr schnell aus der Ideologie“, stellt sie rückblickend fest. Sabet war und ist gar kein Mann in einem Frauenkörper, sondern schlicht eine Lesbe, die gängigen gesellschaftlichen Rollenerwartungen an Frauen nicht entsprechen will. Sie selbst bezeichnet sich daher auch als „butch“, also als Lesbe mit in sozialer Hinsicht „männlichen“ Zügen. „Ich hätte damals, in meiner Jugend, einfach bloß das Gespräch mit einer erfahrenen Lesbe gebraucht, um zu verstehen, was mit mir los ist“, sagt sie heute. Aber das gab es in ihrem Umfeld einfach nicht.

Heute befindet sich Sabet in der Phase der De-Transition, also der bewussten Rückkehr zu ihrem Frausein. Seitdem beschäftigt sie sich intensiv mit der Entscheidung junger Menschen, sich geschlechtlich angleichen zu lassen – und mit den Folgen. Besorgt zeigt sie sich vor allem über explodierende Zahlen bei Geschlechtsangleichungen von Jugendlichen – und zwar weltweit. In nur wenigen Jahren haben sich die Operationszahlen vervielfacht, insbesondere unter jungen Frauen. Während in einem Krankenhaus im Vereinigten Königreich im Jahr 2017 rund 1.400 junge Frauen eine Geschlechtsangleichung vornehmen ließen, waren es „nur“ rund 600 Männer. Im Jahre 2010 allerdings nur jeweils 50.

Eine Gefahr für pubertierende Jugendliche 

Mit der Zahl der Operationen nimmt aber auch die Zahl der gescheiterten Transitionsprozesse zu. Wo häufig psychologische Beratung helfen würde, ist Sabet überzeugt, werden heute zunehmend alle Hoffnungen in den medizinischen Fortschritt gelegt. Problematisch findet sie daher, dass in ganz Europa Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht werden, um Jugendlichen bereits während ihrer Pubertät Geschlechtsangleichungen zu ermöglichen, in Spanien sogar im Alter von nur 12 Jahren.

Sabet, die sich auch in der radikal-feministischen Lesbenszene und beim „Lesbenfrühling“ engagiert hat, findet den Koalitionsvertrag daher gleich aus mehreren Gründen problematisch. Wegen der Übernahme der Kosten für eine Geschlechtsangleichung durch die Krankenkassen gäbe es für die Leistungsanbieter ohnehin einen großen Anreiz, Operationen selbst in Zweifelsfällen durchzuführen. Sie befürchtet, dass das „Selbstbestimmungsgesetz“ nun auch pubertierenden Jugendlichen niedrigschwellig eine Geschlechtsangleichung ermöglichen wird.

Denn sobald die rechtliche Personenstandsänderung erfolgt sei, werde oft weniger psychologisch nachgefragt. Diese beiden Punkte sind für sie das eigentliche Problem: „Die Leistungsanbieter werden am Ende Geld verdienen wollen, und pubertierende Jugendliche können häufig die Folgen noch gar nicht einschätzen: Diese Kombination ist eine explosive Mischung und wird in vielen Einzelfällen, vor allem für junge Frauen, furchtbare Auswirkungen haben. Ich weiß, wovon ich rede.“

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