Thüringen - Die Explosion von Merkels Bad Bank

In Erfurt ist der CDU nach langer Zeit ihr zynisches Kalkül gegenüber der AfD um die Ohren geflogen. Die politische Starre, die sich daraus jahrelang ergab, ist damit aufgehoben. Die AfD funktioniert nicht mehr als politische Lebensversicherung von Angela Merkel und ihrer CDU.

Protest von Erfurt bis Berlin / dpa
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Klar, kann man so machen. Man kann sich, je nach eigenem Gusto und nach Art des Hundes von Herrn Pavlov, einen Bösen von Erfurt ausgucken und dann draufschlagen auf ihn. Wahlweise ist das (bei Menschen, die allergisch auf links reagieren) Bodo Ramelow, der als Seine Majestät der Minderheit von Thüringen bestätigt werden wollte. Und auch trotz fehlender Stimmen monatelang so tat, als ginge daran kein Weg vorbei.

Oder man kann, andersrum konditioniert, auf Thomas L. Kemmerich eindreschen, der sich in einer nie dagewesenen Ausnahmesituation als Fraktionschef einer Fünf-Prozent-Partei zum Ministerpräsidenten hat wählen lassen, und das dann auch noch von der AfD.

Und dann kann man schäumen und dräuend reden von einer Machtergreifung, und man kann die CDU in Thüringen als aussätzigen Landesverband der Union ächten. Und man kann die letzten politischen Stunden von Annegret Kramp-Karrenbauer und Christian Lindner zählen.

Kann man alles machen.

Es führt nur alles nicht ins Ziel. Oder besser gesagt zum Kern dessen, was da in Erfurt an diesem denkwürdigen 5. Februar 2020 passiert ist. Und was dem vorausging. Und darum eines Tages so enden musste.

Die AfD war Merkels politische Lebensversicherung

In Erfurt ist an diesem Mittwoch ein Kessel explodiert, der schon lange unter Druck stand. An diesem Mittwoch ist die Ära Merkel und die damit einhergehende Zeit beendet worden. Egal, wie lange sie noch Kanzlerin ist. An diesem Mittwoch hat die CDU den Preis bezahlt, den sie als Hypothek über die letzten Jahre aufgenommen hatte. Sie hat mit ihrem programmatischen Kurs und ihrer konkreten Politik die AfD herangezüchtet und groß gemacht.

Mehr noch: Die liberale, sich modern fühlende Merkel-CDU hat die AfD zu einer Art Bad Bank, zu einer Güllegrube dessen gemacht, was vorher zu großen Teilen bei ihr zu Hause war. Davon ausgehend, dass die Risiken da vor sich hingammeln, ohne dass sie groß schädlich werden können. Gut, sie kosten ein paar Prozente, aber nicht die Macht. Weil mit dieser Polit-Bad-Bank ja keiner was gemeinsam machen wird. Die AfD war so seit Jahren Angela Merkels politische Lebensversicherung.

Die Ernte von Erfurt

Aber in einer Bad Bank schlummern Risiken, die nicht einfach weg sind, weil sie ausgelagert werden, selbst wenn ich einen Totenschädel als Giftzeichen vorne dran hängen würde. Und diese Risiken hat die CDU jetzt zu spüren bekommen. Ach was! Sie sind ihr um die Ohren geflogen. Was in Erfurt passiert ist, ist die logische Folge dessen, was ein Daniel Günther in Schleswig-Holstein propagiert. Wer einen Daniel Günther züchtet, bekommt irgendwann die Ernte von Erfurt. So einfach ist das. Weil die CDU-Leute in Erfurt nicht einsehen wollten, warum das böse Links weniger schlimm sein soll als das böse Rechts.

Das Kalkül war immer, dass es ähnlich wie im Kalten Krieg eine Stabilität des Schreckens gibt, weil die Bad Bank keiner antasten mag. War ja auch was dran: Wer es mit der AfD tut, dem klebt was am Fuß. Dem kann man was an den Fuß kleben. Jede wie auch immer geartete Kooperation ist toxisch. Ganz selten nur haben sich Politiker einmal getraut, sich gegen diese scheinbare Gesetzmäßigkeit zu stemmen. Einmal etwa, als FDP-Chef Christian Lindner in Kauf genommen hätte, einen Untersuchungsausschuss zum Migrationsherbst 2015 zusammen mit der AfD-Fraktion herbeizuführen. Was freilich absehbar an Linken und Grünen scheiterte und deshalb begrenzt riskant war. Aber dieses begrenzte Risiko ist Lindner eingegangen.

Kemmerich muss große Umsicht beweisen

Thomas L. Kemmerich ist nun einen Schritt weitergegangen. Er hat gemeinsame und auch noch abgekartete Sache (ganz schlimm, so etwas gibt es sonst nie in der Politik!) mit der AfD gemacht. Mit dem „Nazi“ Höcke, wie es der SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich in seiner Reaktion schrieb und wie CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak in seinem Pressestatement sagte.  

Damit ist Kemmerich nun mit dem schlimmstmöglichen Etikett beklebt, das es in der politischen Auseinandersetzung in Deutschland gibt. Wer Thomas Kemmerich nur ein bisschen kennt, weiß, dass er nichts, aber auch gar nichts inhaltlich mit Höcke und Nazis am Hut hat. Es liegt nun an ihm, bei der Zusammenstellung seines Kabinetts und auf seinen ersten Schritten klar zu machen, dass er kein Gegengeschäft mit der AfD gemacht hat und keine Geschenke welcher Art auch immer an sie verteilt. Wenn es sein muss, muss er ganz schnell wieder hinschmeißen. Er hat großen Mut bewiesen. Jetzt muss er große Umsicht beweisen.

Beben bis nach Berlin

Aber der Anfang ist gemacht. Es ist ein Loch geschlagen in dieses starre politische Gefüge, das sich scheinbar selbst trug, in dem es aber in Wirklichkeit kein Vor und kein Zurück gab. Von diesem Tag in Erfurt an beginnen die Eisschollen des Politischen in Deutschland wieder frei zu treiben. Und das ist gut so. Das wird auch Auswirkungen auf Berlin haben.

Etwa, wenn die SPD auf den Gedanken kommen könnte, dass ein Ausscheren aus der Koalition rüber zur Opposition und deren vernünftigen Vorschlägen zu einer dringend nötigen Wahlrechtsreform und Bundestagsverkleinerung vom Wähler mehr belohnt werden könnte, als in dieser Frage treudoof an der Seite der halsstarrigen CDU zu stehen.   

Angela Merkel hat ein Jahr nach der Bundestagswahl 2017 gesagt, dass sie nicht noch einmal als Bundeskanzlerin kandidieren werde. Das war die Ankündigung ihres Endes. Der praktische Vollzug hat am 5. Februar 2020 im Erfurter Landtag stattgefunden. 

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