„Spiegel“-Förderung durch Bill Gates - Der ideale Dünger für neue Verschwörungstheorien

Der „Spiegel“ stellt Proteste gegen die Corona-Maßnahmen pauschal in die Verschwörungstheoretiker-Ecke. Zugleich bekommt das Magazin von der Bill and Melinda Gates Foundation Millionen für ein journalistisches Projekt. Wie glaubwürdig ist es noch?

Bill Gates: Für den „Spiegel“ kein Anlass für kritische Fragen / dpa
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Autoreninfo

Gerhard Strate ist seit bald 40 Jahren als Rechtsanwalt tätig und gilt als einer der bekanntesten deutschen Strafverteidiger. Er vertrat unter anderem Monika Böttcher, resp. Monika Weimar und Gustel Mollath vor Gericht. Er publiziert in juristischen Fachmedien und ist seit 2007 Mitglied des Verfassungsrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer. Für sein wissenschaftliches und didaktisches Engagement wurde er 2003 von der Juristischen Fakultät der Universität Rostock mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Foto: picture alliance

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„Wer die Apokalypse zur Basis seines Denkens macht, der schlägt Maßnahmen zu deren Verwirklichung vor“, spottete Christoph Süß in der von ihm moderierten BR-Sendung quer Ende Januar. Er bezog sich damit auf einen Twitternutzer, der aufgrund von Corona die Schließung der Grenzen empfahl. „Nehmen wir den hier implizit gemachten Vorschlag doch mal ernst!“, so Süß weiter, der im Folgenden maliziös erklärte, eine Schließung der Grenzen würde genau das bewirken, was man vermeiden wolle: ein Desaster.

Sowohl der „rechte Asthmaanfall für Deutschland“ (gemeint ist die AfD) sowie rechte YouTuber „kriegen sich vor lauter Endzeitpsychosen gar nicht mehr ein“, verkündete der Moderator in einem Tonfall, der die Abwegigkeit jeglicher Coronapanik unterstreichen und ganz nebenbei ein wenig politischen Nektar aus der Situation gewinnen sollte. „Warum sind so viele so leicht mit Verschwörungstheorien zu infizieren?“, fragt er mit dezent gespielter Verzweiflung. Eine junge Chinesin gibt die Antwort per Einspieler: „Wir können nicht sicher sein, ob der Staat uns die ganze Wahrheit sagt.“ – In väterlichem Ton gibt Süß ihr recht, denn China sei schließlich eine Diktatur, eine freie Presse existiere dort nicht, anders als bei uns. – Sechs Wochen später begannen die europäischen Länder mit den Grenzschließungen. Der Wind der offiziellen Lesart in Sachen Corona hatte sich gedreht. Die Verschwörungstheoretiker hatten Recht behalten. Die Apokalypse war eingetreten.

Die Stunde der Exekutive

Ausgangssperren und Abstandsregelungen, verbunden mit massiven Eingriffen in Grundrechte, gaben seit Mitte März den Rhythmus des Lebens vor. Maßnahmen, die je nach Beruf und Lebenslage des Einzelnen einschneidend bis hin zur Existenzvernichtung wirken können. Es war die Stunde der Exekutive. Und das durchaus zu Recht. Die Gefahren einer exponentiellen Verbreitung des Covid-19-Virus waren nicht herbeigeredet.

Die Bilder aus Italien und wenig später aus New York City waren dramatisch. Diese Zustände wollte niemand. Aus diesem Gefühl heraus waren die in Abstimmung mit der Bundesregierung verfügten Vorgaben der Landesregierungen von einem großen Vertrauensvorschuss der Bevölkerung begleitet. Die sechs Wochen andauernde Fügsamkeit der Bundesbürger erwuchs aber nicht aus schlichtem Vertrauen, sondern aus stoischer Vernunft. 

Gewachsene Tradition des Rechtsstaats

Und diese Vernunft schläft nicht. Sie lässt es nicht zu, dass der Ausnahmezustand zur Gewohnheit wird. Die Bürger dieser Republik leben nicht mehr in dem Gehorsam gegenüber einer obrigkeitlich diktierten Staatsraison, sondern seit siebzig Jahren – Dank sei vor allem dem Bundesverfassungsgericht – in einer gewachsenen Tradition des Rechtsstaats, in dem Grundrechte den Pulsschlag bestimmen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör, auf freie Meinungsäußerung, auf Versammlung und auf Wahrung der Verhältnismäßigkeit staatlichen Handelns ist den aufgeklärten Menschen dieser Republik – und davon gibt es sehr viele – zur zweiten Natur geworden.

Deshalb nimmt es nicht wunder, dass nach dem mehrere Wochen andauernden Einverständnis mit dem Lockdown nun immer mehr Menschen von ihrem Recht Gebrauch machen, die Vorgehensweise der Regierung und deren Verhältnismäßigkeit zu hinterfragen. Jeden Samstag kommt es in mehreren Städten Deutschlands zu Demonstrationen, mit steigender Teilnehmerzahl und Intensität.

Nur Häme für die Proteste

Es ist unglaublich traurig, dass nun ausgerechnet die dritte Generation von Spiegel-Reportern, deren erste Generation dieses Nachrichtenmagazin in den 60er Jahren zu einem „Sturmgeschütz der Demokratie“ gemacht hatte, sich diesen Protesten nur mit Häme zu widmen versteht. Unter der Überschrift „Verschworene Gesellschaft“, bei Spiegel online unter der Headline „Die unheimliche Macht der Verschwörungstheoretiker“ zu finden, arbeiten sich vier Journalisten tapfer an einem Sammelsurium sämtlicher gängiger Verschwörungstheorien ab.

Im Zentrum der Betrachtung stehen prominente Namen wie Xavier Naidoo oder Attila Hildmann, welche in der aktuellen Situation laut Spiegel „die Chance sehen, in den Mainstream zu gehen“. Dass auch diese Ansicht als Verschwörungstheorie betrachtet werden könnte, bleibt in dem Artikel außen vor. Ob ein Sänger wie Naidoo, der in Anbetracht der Zahl seiner Fans schon lange zum Mainstream zählt, tatsächlich auf eine derartige Gelegenheit warten musste, fragt der Artikel nicht. Vielmehr sinnieren die Schreiber darüber, ob das 9.000 Mitglieder starke Facebook-Netzwerk „Solidarität mit Xavier Naidoo“ tatsächlich all das glaube, was Naidoo über „kinderblutkonsumierende Reiche erzählt“.

Dass das alles, obwohl vom Spiegel unter dem Stichwort „Coronakrise“ veröffentlicht, recht wenig mit dem Virus und seinen vielfältigen Folgen zu tun hat, liegt auf der Hand. Vielmehr zielt der Artikel ganz offensichtlich darauf ab, potenzielle Coronademoteilnehmer schon im Vorfeld von ihrem Vorhaben abzubringen: Wer möchte schließlich mit Leuten und Theorien in einen Topf geworfen werden, die von einem sich als führend wähnenden Medium als „im internationalen Sumpf des Irrsinns unterwegs“ gebrandmarkt werden?

Der Kern des aufgeklärten Staatswesens

Das Bundesverfassungsgericht vertritt in seinem Beschluss vom 8. Februar 2017 zur Weite der Meinungsfreiheit eine dezidierte Auffassung. Darin heißt es:

„Zu beachten ist hierbei indes, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen schützt, sondern gerade Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen darf; insoweit liegt die Grenze zulässiger Meinungsäußerungen nicht schon da, wo eine polemische Zuspitzung für die Äußerung sachlicher Kritik nicht erforderlich ist.“

Die so definierte Freiheit der Rede ist der Kern eines aufgeklärten Staatswesens. Doch gehört es natürlich wiederum zur Meinungsfreiheit von Journalisten, besonders schillernde Theorien und klingende Namen herauszugreifen und damit den Protest zigtausender namenloser Bürger auf maximal beleidigende Weise zu marginalisieren. Es gehört ebenfalls zur Freiheit ihrer Berichterstattung, mit absurd klingenden Schlagworten um sich zu werfen, statt die Entstehung einzelner Theorien zu hinterfragen. 

Gates-Stiftung: 2,5 Millionen Dollar für den Spiegel 

Dass derartiges Raunen ausgerechnet von einem Medium kommt, welches mit insgesamt 2.537.294 US-Dollar von der Bill and Melinda Gates Foundation gefördert wurde, dürfte für das Wachstum neuer Verschwörungstheorien der ideale Dünger sein. Diese im Dezember 2018 erfolgte Zahlung ist im Geschäftsbericht der Gates-Foundation unter der Überschrift „How we work“ als „Grant“ (Stipendium; Zuschuss) ausgewiesen und soll folgendem Zweck dienen: „to report on social divides around the world and to convey an understanding of how to overcome them“. Der Spiegel legt diese Tatsache am Ende seines Artikels mit wenigen dürren Worten offen, ohne freilich Zahlen zu nennen. Dort heißt es:

„Die Gates-Stiftung finanziert weltweit auch journalistische Arbeiten. Beim Spiegel unterstützt sie das Projekt ‚Globale Gesellschaft‘, das über soziale Ungerechtigkeit vor dem Hintergrund der Globalisierung berichtet. Die redaktionellen Inhalte entstehen ohne jeden Einfluss der Stiftung.“

Ein Unterschied zu unkonditionierten Hilfen

Das Gegenteil ergibt sich aus der Zweckbestimmung: Über soziale Unterschiede auf der ganzen Welt zu berichten und ein Verständnis dafür zu vermitteln, wie sie überwunden werden können. Beim Spiegel lassen sich online neun Berichte ausmachen, die dem Projekt „Globale Gesellschaft“ zugeordnet werden können und allesamt erst Ende April/Anfang Mai 2020 ins Netz gestellt wurden. (Gott sei Dank sind diese Berichte aus verschiedenen Ländern, überwiegend aus der Dritten Welt, fast gleichzeitig fertig geworden – so als hätte gegenüber dem Auftraggeber eine Deadline eingehalten werden müssen.)

Selbst wenn damit ein anerkennenswertes humanitäres Anliegen verfolgt wird: Hier lässt sich das Nachrichtenmagazin ein Themenprojekt vorschreiben. Der Sündenfall besteht darin, dass mit der Zuwendung eine redaktionelle Mission verfolgt wird. Das unterscheidet sie von unkonditionierten Hilfen (die es auch bei anderen Medien gelegentlich geben wird).

Kein Anlass für kritische Fragen

Die neun kleinen Reportagen aus den letzten drei Wochen dürften den stattlichen Etat von 2,5 Millionen Dollar bislang nur minimal beansprucht haben. Das Misstrauen, dass über diese große Zahlung auch sonst redaktionelle Inhalte zumindest mittelbar beeinflusst werden, schwelt deshalb fort bei der Betrachtung des aktuell im Spiegel und bei Spiegel online veröffentlichten Artikels.

Ausführlich referiert der Beitrag denn auch die Verschwörungstheorien zu Bill Gates, wobei besonders die zirkulierenden Übertreibungen hervorgehoben werden, was offenbar die Absurdität jeglicher Kritik zusätzlich unterstreichen soll. Die Frage, welche Qualifikation Gates als Virenexperten ausweist, sucht man im Artikel vergebens. Auch die Tatsache, dass die (vorerst) auf Eis gelegte Idee eines verpflichtenden Immunitätsausweises ursprünglich nicht von Jens Spahn stammte, sondern durch Bill Gates in die Welt gesetzt wurde, ist dem Spiegel kein Anlass für kritische Fragen.

Gates und die WHO

Der Besuch des Softwaremilliardärs beim deutschen Gesundheitsminister schon im Jahre 2018 bleibt ebenso unhinterfragt wie Gates‘ Aussage, den zu entwickelnden Corona-Impfstoff nach einer extrem verkürzten Entwicklungszeit „letztendlich sieben Milliarden Menschen verabreichen“ zu wollen. Wie dies ohne Impfzwang funktionieren sollte, sagte Gates in den über neun Minuten, welche die Tagesthemen ihm für sein Statement einräumten, leider nicht. Eine weitere Frage ist der Einfluss von Gates auf die Weltgesundheitsorganisation (WHO), zu welcher seine Stiftung finanziell mehr als zwölf Prozent des Gesamtbudgets beiträgt.

Einem guten Spiegel-Journalisten hätte sich die Frage aufgedrängt, was Gates bei diesem Engagement umtreibt, obwohl seine Stiftung bei Coca-Cola, McDonalds und Walmart riesige Aktien-Pakete hält. Die aktuellsten Zahlen vom 31. März 2020 zu diesen Beteiligungen hätten die Reporter den Veröffentlichungen der US-amerikanischen Aufsichtsbehörde SEC entnehmen können. Die dort hergestellten oder vertriebenen Produkte tragen mitnichten zur Weltgesundheit bei. 

Das sind Fragen, die sich jeder denkende und vernunftbegabte Bürger stellen darf und muss, ohne sogleich als „Verschwörungstheoretiker“ ausgeknipst zu werden. Das gilt für Journalisten nicht minder.

 

Gerhard Strates Gastbeitrag hat unmittelbar nach Erscheinen eine Debatte ausgelöst. Von Seiten des "Spiegel" erreichte Cicero diese Stellungnahme: 

Anders als Gerhard Strate schreibt, sind auf SPIEGEL.de nicht 9, sondern seit April 2019 mehr als 300 Beiträge in der Rubrik „Globale Gesellschaft“ erschienen. Für die 9 Beiträge, die er gezählt hat, hat es auch keine „Deadline“ gegeben. Zudem haben wir uns kein „Themenprojekt vorschreiben“ lassen; alles, worüber der SPIEGEL berichtet, entscheiden wir natürlich selbst.

Das Projekt ‚Globale Gesellschaft‘ auf SPIEGEL.de wird – wie wir von Anfang an transparent gemacht haben – von der Bill & Melinda Gates Foundation finanziell unterstützt. Wir bekommen dafür auf drei Jahre verteilt insgesamt 2,3 Millionen Euro. Wir verstärken damit online unsere Berichterstattung über Entwicklungsthemen. Und wir haben die Themenfelder selbst definiert und dafür die Projektgelder beantragt. 

Die Inhalte von ‚Globale Gesellschaft‘ entstehen also ohne Einfluss der Stiftung, so ist es auch vertraglich festgehalten. Alles über das Projekt hier im Netz:  https://www.spiegel.de/gg-faq.

 

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