Sonderrechte für Geimpfte - Maas vermessen

Bundesaußenminister Heiko Maas will, dass Geimpfte wieder ihre Grundrechte ausüben dürfen. Das mag juristisch gesehen ein richtiger Vorschlag sein, politisch ist er aber verheerend, vor allem jetzt, da es nicht einmal genügend Impfstoff für alle gibt.

Außenminister Heiko Maas schlägt Sonderrechte für Geimpfte vor / dpa
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Marko Northe hat die Onlineredaktion von cicero.de geleitet. Zuvor war er Teamleiter Online im ARD-Hauptstadtstudio und Redakteur bei der "Welt". Studium in Bonn, Genf und Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 

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Man kann das Richtige meinen und es so aussprechen, dass es falsch klingt. Bundesaußenminister Heiko Maas scheint sich immer mehr zu einem Meister in dieser Disziplin zu entwickeln. Natürlich wäre es nicht verkehrt, wenn die USA und ihre westlichen Partner versuchten, ihre teils angeschlagenen Demokratien wieder zu stärken. Aber wenn Maas den Amerikanern zu diesem Zweck einen „Marshallplan“ vorschlägt, ist das so vermessen wie geschichtsvergessen.

Nun hat sich Maas, der vor seiner unglücklichen Zeit als Außenminister Justizminister gewesen ist (es ist kein Geheimnis, dass er das auch gern geblieben wäre), gegenüber der Bild am Sonntag zur Corona-Impfpolitik geäußert: „Es ist noch nicht abschließend geklärt, inwiefern Geimpfte andere infizieren können. Was aber klar ist: Ein Geimpfter nimmt niemandem mehr ein Beatmungsgerät weg. Damit fällt mindestens ein zentraler Grund für die Einschränkung der Grundrechte weg.“ Aus diesem Grund empfahl Maas: „Geimpfte sollten wieder ihre Grundrechte ausüben dürfen.“ 

Gerade jetzt

Nun ist dieser Argumentation ja in der Sache zuzustimmen. Wenn von einer Person keine Ansteckungsgefahr mehr ausgeht, warum sollte sie sich dann nicht auch frei bewegen dürfen? Doch Maas liefert mit seinen Aussagen erstens den „Querdenkern“ Argumente, die schon seit Beginn der Pandemie befürchten, es würde so etwas wie Impfausweise geben, die Sonderrechte zuließen. 

Dass ein Mitglied der Regierung aber von Sonderrechten für Geimpfte zu einem Zeitpunkt spricht, an dem wegen der weiterhin hohen Infektionszahlen noch strengere Lockdownmaßnahmen diskutiert werden und Deutschland weiterhin über viel zu wenig Impfstoff verfügt, ist mindestens ungeschickt.   

Ein zynischer Vorstoß

Man kann solche Diskussionen in Ländern wie Israel anstoßen, das wahrscheinlich bereits im März den größten Teil seiner Bevölkerung geimpft haben wird. In Deutschland dürften solche Aussagen aber zurecht als ungerecht empfunden werden. Denn so lange es nicht genügend Impfstoff gibt, wofür eben nicht zuletzt die Bundesregierung verantwortlich ist, der Maas angehört, kann sich auch kaum jemand für eine Impfung entscheiden. Ohne diese Möglichkeit zur freien Entscheidung klingt der Vorstoß „Sonderrechte für Geimpfte“ zynisch. 

In dieses Bild passt, dass Maas bei seinem Vorschlag auch an die Betreiber von Restaurants, Kinos oder Museen denkt. Erstens: Wer soll denn dort in absehbarer Zeit hingehen können außer der Generation Ü80, die in der Impfpriorisierung ganz vorne steht? Und wer soll zweitens diese Menschen bedienen, ihre Einlasskarten abreißen oder ihnen den Film vorführen, wenn wegen Lockdowns auf absehbare Zeit alle Kultur- und Gastronomiebetriebe geschlossen bleiben und das Personal sich nicht impfen lassen kann, weil es nicht unter die priorisierten Risikogruppen fällt? 

„Sozialer Sprengstoff“

Maas hat seinen Vorstoß sicherlich gut gemeint, möglicherweise wollte er der Bevölkerung sogar einen Lichtblick in diesem in vielerlei Hinsicht trüben, deprimierenden Corona-Winter geben. Doch anhand der Ablehnung, die Maas nun entgegenschlägt, dürfte er ablesen können, dass er das Gegenteil erreicht hat. Der baden-württembergische CDU-Politiker Tobias Bringmann bezeichnete die Idee auf Twitter als „sozialen Sprengstoff“: „Darüber können wir reden, wenn alle Impfwilligen auch die Möglichkeit zur Impfung erhalten haben.“ Bringmann wunderte sich darüber, dass ausgerechnet ein SPD-Politiker sich für eine „Zweiklassengesellschaft“ ausspreche. 

Dabei ist die Aussage des Juristen und ehemaligen Justizministers ja rein rechtlich nicht unbedingt falsch. Möglicherweise kommt es sogar zu dem Szenario, das Maas vorschlägt. Denn Rechtsexperten halten es für wahrscheinlich, dass Geimpfte, die gegen die Einschränkung ihrer Grundrechte klagen, Erfolg haben. Allerdings dürfte das vor Gericht entschieden werden und nicht vom Bundesaußenminister.
 

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