Koalitionsvertrag - Sicherheitspolitik: Was ist neu, was wird bleiben?

Die Positionen der künftigen Regierungskoalition im Bereich Sicherheitspolitik stehen im Zeichen der Kontinuität zur Vorgängerregierung, deuten in einigen Formulierungen jedoch auch auf Meinungsverschiedenheiten zwischen den Koalitionspartnern hin. Absichtserklärungen sind in der Sicherheitspolitik ohnehin zweitrangig, bewähren muss sie sich in der Konfrontation mit strategischen Herausforderungen.

Über die Nachfolge des Kampfflugzeugs Tornado wurde noch keine Kaufentscheidung getroffen / dpa
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Autoreninfo

Ulrich Schlie ist Historiker und Henry-Kissinger-Professor für Sicherheits- und Strategieforschung an der Universität Bonn.

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Gerne wird im Zusammenhang mit dem Start einer neuen Regierung Hermann Hesses Wort bemüht, dass jedem Anfang ein Zauber innewohne. Der vermutlich nächste Bundeskanzler, Olaf Scholz, hat mit dem Zauber des Anfangs den Anspruch verknüpft, dass die sich formierende Bundesregierung kein Zweckbündnis auf der Basis des kleinsten gemeinsamen Nenners, sondern eine auf Veränderung des Landes zielende Zukunftskonstellation sein solle. Der Koalitionsvertrag ist beschlossen, der Nachweis auf Praxistauglichkeit steht noch bevor. Der Teufel steckt im Detail und in den strategischen Überraschungen. Denn gerade in der Sicherheitspolitik zählt die Konfrontation mit plötzlich auftretenden neuen Lagen zum Wesen. Anders als in den meisten Politikbereichen lassen sich hier die anstehenden Bewährungsproben nur unvollständig prognostizieren. Drei Fragen erscheinen mit Blick auf den Koalitionsvertrag besonders relevant.

Erstens: Wo werden neue Akzente in der Sicherheitspolitik gesetzt, und in welchen Bereichen ist die Fortsetzung des alten Kurses zu erwarten? Zweitens: Was verraten die gewählten Formulierungen zur Anpassung der sicherheitspolitischen Instrumente, um wirksam, rasch und flexibel auf sich kurzfristig ergebende Herausforderungen reagieren zu können? Dies betrifft insbesondere die Instrumente der Sicherheitspolitik, die Krisenprävention, die sicherheitspolitischen Koordinierungsfragen und die Bundeswehr als Ganzes. Drittens: Bei welchen sicherheitspolitischen Fragen ist bei den Koalitionspartnern weiterer Abstimmungsbedarf und Streit zu erwarten? Welche Formulierungen deuten bereits jetzt auf Dissens hin, und insbesondere: Was ist nicht enthalten?

Europa, Nato, Abrüstung

Was also ist neu, und was wird bleiben? Die sicherheitspolitischen Teile tragen zunächst eine erkennbar europafreundliche Handschrift. So haben sich die Koalitionäre auf das Bekenntnis zur „strategischen Souveränität Europas“ verständigt. Darunter verstehen sie, „in erster Linie eigene Handlungsfähigkeit im globalen Kontext herzustellen und in wichtigen strategischen Bereichen … weniger abhängig und verwundbar zu sein“. Bewusst vermeiden sie den Reizbegriff „strategische Autonomie“. In Paris wird dies aufmerksam gelesen werden. Das Bekenntnis zu den deutsch-französischen Beziehungen fällt indes freilich so stark aus wie eh und je. Sie bekennen sich weiter zur aktiven Mitgestaltung am Strategischen Kompass der Europäischen Union und zur verstärkten Zusammenarbeit der nationalen Armeen – gemeint sind wohl eher: Streitkräfte –, sparen jedoch den wolkigen Begriff der „europäischen Armee“ aus. Sie sprechen sich für gemeinsame Kommandostrukturen und ein gemeinsames europäisches zivil-militärisches Hauptquartier aus, ohne dass dadurch die Interoperabilität mit den Nato-Kommandostrukturen gefährdet werden dürfe. Wie dies mit neutralen Nicht-Nato-Mitgliedern zu erreichen sein soll, ist dem Vertrag nicht zu entnehmen.

Gegenüber dem europäischen Teil fällt das traditionell formulierte Bekenntnis zur Nordatlantischen Allianz „als unverzichtbarer Grundlage unserer Sicherheit“ knapper aus. Die alte Formel vom „europäischen Pfeiler“, den es in dieser Form nie gegeben hat, wird wieder bemüht, ebenso das Ziel, „die politische Dimension der Nato zu stärken“. Das Zweiprozentziel findet keine Erwähnung, es schimmert allenfalls in der vagen Formulierung von der „fairen Lastenteilung“ durch und soll durch die Einführung eines neuen Dreiprozentziels des Bruttoinlandsprodukts für das internationale Engagement ergänzt werden. Im Brüsseler Hauptquartier der Allianz wird dies im besten Fall Stirnrunzeln, aber keinen Kurswechsel hervorrufen. Bei der nuklearen Teilhabe gibt es nur vordergründig Kontinuität. Der Text orientiert sich hier im ersten Teil seiner Aussage an der Formulierung des Strategischen Konzepts aus dem Jahr 2010 („solange Kernwaffen im strategischen Konzept der Nato eine Rolle spielen“), schwächt aber das Bekenntnis zur Teilhabe im zweiten Teil dahingehend ab, dass Deutschland ein Interesse daran habe, „an den strategischen Diskussionen und Planungsprozessen teilzuhaben“. Das deutliche Bekenntnis zu nuklearer Abrüstung und Rüstungskontrolle ist ebensowenig eine Überraschung wie die bundeswehrbezogene Formulierung zu einer bestmöglichen personellen, materiellen sowie „finanziell verlässlichen Ausstattung, effektiveren und effizienteren Strukturen und einer Modernisierung des Beschaffungswesens“. Ausdrücklich wird die bis 2023 anstehende Entscheidung für ein Nachfolgesystem des Kampfflugzeugs Tornado erwähnt, aber keine Kaufentscheidung präjudiziert.

Atomwaffen, Drohnen, Rüstungsexport

Welche Lehren die neue Bundesregierung aus dem zunehmenden Koordinierungsbedarf ziehen will, bleibt vage. Die Vertragsparteien haben sich lediglich darauf verständigt, die Evakuierungsmission in Afghanistan zu evaluieren. Sie halten sich aber darüber hinaus mit Aussagen zu weiteren strategischen Überprüfungen zurück. Der im Wahlkampf diskutierte Vorschlag der Einrichtung eines nationalen Sicherheitsrats hat keinen Eingang in den Vertragstext gefunden. Der Bundesnachrichtendienst kommt im Text gar nicht vor. Hier zeichnet sich ab, dass der künftige Bundeskanzler sich in der Regierungspraxis und auch im politischen Stil an seiner Vorgängerin orientieren wird. Auch insoweit setzt die Ampel-Koalition auf Kontinuität. Im Widerspruch dazu steht, dass der Wortlaut des Vertrags eine Reihe von Formulierung enthält, die nur mühsam verbergen, wie schwierig es zwischen den Koalitionären gewesen sein muss, sich zu einigen. Es sind hier insbesondere behutsame Veränderungen der Sprache, die darauf schließen lassen, dass die gewählten Formulierungen die Türen für Neupositionierungen bewusst offen lassen wollen. Gerade bei den Formulierungen zur nuklearen Teilhabe, zu bewaffneten Drohnen und zur restriktiven Rüstungsexportpolitik wird dies deutlich.

Papier ist geduldig. Die eigentlichen Herausforderungen in der Sicherheitspolitik ergeben sich aus den internationalen Entwicklungen und damit verbundenen strategischen Überraschungen. Weniger als die klassische Außenpolitik, die sich künftig feministischer und diverser zeigen will, wird die Sicherheitspolitik zu einem gestaltenden Feld avancieren. Alles in allem kein überraschender Befund. Hier zeigt sich das seit jeher bekannte deutsche Dilemma. Der Preis für die Neigung zu Konsens und Kompromiss ist eben doch die Verständigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner und der Verzicht auf große Würfe.

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