Sebastian Kurz - „ Wir haben in einer anderen Liga gespielt “

Aufstieg und Fall eines politischen Superstars: Der jüngste Bundeskanzler der Alpenrepublik trat im vergangenen Jahr nach Ermittlungen wegen Korruptionsverdachts zurück. Das Internet, das er als Steuerungsinstrument der Demokratie nutzen wollte, wurde ihm selbst zum Verhängnis. Die schier unglaubliche Karriere des Sebastian Kurz, das „System Österreich“ – und die Folgen.

Die Ära Sebastian Kurz ist so schnell vorbei wie sie begann / Daniel Biskup
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Es ist der 23. September 2017. In der Wiener Stadthalle soll der neue Popstar der österreichischen Konservativen drei Wochen vor der Wahl medial auf den Schild gehoben werden. Der ganze Saal ist in die Farbe Türkis gehüllt, mehr als 10.000 Anhänger der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) wollen dem Ereignis beiwohnen. „Das ist der größte Wahlkampfauftakt, den Österreich je erlebt hat“, ruft ein sichtlich stolzer Sebastian Kurz in die begeisterte Menge. Sein Team hat ganze Arbeit geleistet.

Bis es zu seinem Auftritt kommt, vergeht rund eine Stunde. Die aufgestaute Spannung entlädt sich, als Kurz dann endlich den Saal betritt und wie ein Champion empfangen wird. Tosender Applaus, Standing Ovations, Transparente und Spruchchöre – es ist die wohl fulminanteste Selbstvermarktung einer Partei in der Geschichte des Landes.

Drei Wochen später hat es Kurz geschafft. Mit fast 32 Prozent der Stimmen landet seine Partei nach langer Zeit wieder auf dem ersten Platz, am 18. Dezember 2017 wird er mit 31 Jahren der jüngste Kanzler der Republik. Und nur vier Jahre später ist die „Ära Kurz“ schon wieder Geschichte.

Kurz' ehemaliges Team wird wieder aktiv

Seit seinem Abstieg ist er das unumstrittene Schmuddelkind der österreichischen Politik. Von einem „System Kurz“ ist allenthalben die Rede. Davon jedoch, dass dieses bloß ein würdiger Sprössling des „System Österreich“ sein dürfte, eher weniger.

Als Cicero die Recherchen in Wien aufnimmt, wird das Team um Sebastian Kurz wieder aktiv. Sein ehemaliger Pressesprecher vermittelt alle Termine. Sie finden überwiegend in einer mondänen Villa in der Nähe des Schlosses Schönbrunn statt: in der Politischen Akademie der ÖVP.

Die Politische Akademie der ÖVP befindet sich in
einer Villa nahe dem Schloss Schönbrunn /
Mathias Brodkorb

Nur wenige Gesprächspartner aus dem Umfeld von Kurz wollen lieber nicht mit Namen genannt werden. Nennen wir sie alle einfach „Mister X“. Alle anderen reden offen. Neben dem Chefstrategen Stefan Steiner stehen auch Kurz’ ehemaliger Büroleiter Bernhard Bonelli, seine Kommunikationschefin Kristina Rausch, Außenminister Schallenberg, Landwirtschaftsministerin Köstinger und Nationalratspräsident Sobotka zu Gesprächen bereit. Sie wollen, wie Bonelli sagt, die „Legacy der Ära Kurz“ retten – und damit auch ihre eigene Ehre. In Ministerin Köstinger regt sich gar „ein unglaublich großer Gerechtigkeitssinn gegen die öffentlich konstruierten Vorwürfe“. Von der Unschuld des Ex-Kanzlers ist sie fest überzeugt.

Die ÖVP zu seinen Füßen

Nur einer will sich öffentlich partout nicht äußern: Sebastian Kurz selbst. Er fürchtet, so heißt es, negative mediale Folgen für seine türkise ÖVP. Wenn man also wissen will, welche Bilanz er von seiner Arbeit zieht, muss man sich notgedrungen auf sein engstes Umfeld stützen.

Der erste große Wahlerfolg unter Kurz wird von seinen Anhängern vor allem ihm selbst zugerechnet. Und das aus gutem Grund. Dass er, um der Partei ein neues Image zu verschaffen, sogar die Parteifarbe Schwarz gegen Türkis ausgewechselt hat, ist mehr als nur eine Marketing­aktion. Es ist ein bedeutungsschweres Symbol. Denn die alte ÖVP hält er für verkrustet und verstaubt, für einen Teil des Problems. Der Wechsel der Farbe war daher nur die ästhetische Klammer für eine politische Modernisierung der Volkspartei als ganzer.

Insgesamt stellte Kurz sieben „unverhandelbare Bedingungen“ für seine Kandidatur. Vor allem forderte er, die Besetzung der Listen zum Nationalrat und die Mitglieder der Bundesregierung selbst bestimmen zu können und „freie Hand“ für mögliche Koalitionsverhandlungen zu haben. Kurz beanspruchte daher nicht weniger, als zum „mächtigsten Obmann der Geschichte“ (Der Standard) gemacht zu werden – und setzte sich mit fast 100 Prozent der Stimmen eindrucksvoll durch.

Stefan Steiner arbeitete in verschiedenen
Funktionen mit Sebastian Kurz zusammen –
als politischer Direktor der ÖVP, als sein
Generalsekretär und zuletzt als sein Chefberater /
Mathias Brodkorb

Der Verbändestaat Österreich

Für die ÖVP kam das alles einer türkisen Kulturrevolution gleich. Dazu muss man verstehen, dass sie vielleicht mehr als jede andere Partei das „System Österreich“ verkörpert. Das Land ist ein Verbände- und Parteienstaat. Vom Sport- bis zum Pensionistenverein: Fast jeder Österreicher ist irgendwo Mitglied, und in diesen Organisationen haben noch immer vor allem SPÖ und ÖVP das Sagen. Das liegt auch an den Mitgliedszahlen der Parteien selbst – und ihren Organisationsstrukturen.

Nach offiziellen Angaben sollen ihnen rund 10 Prozent der Bevölkerung angehören. Allein die ÖVP bringt es angeblich auf 600.000 Mitglieder. Das wäre so, als wenn die Union in Deutschland mehr als fünf Millionen zahlende Anhänger hätte (tatsächlich ist es nur ein Zehntel davon). Die Mitgliederzahl der ÖVP ist dabei das Ergebnis eines ungewöhnlichen Modells. Direktmitglieder soll es nur wenige Dutzend geben. Die meisten gehören der ÖVP über Teilorganisationen an, den sogenannten „Bünden“. Die einfluss­reichsten unter ihnen sind der Bauernbund, der Arbeiter- und Angestelltenbund sowie der Wirtschaftsbund.

Hinzu kommt, dass die ÖVP bis zur Ära Kurz föderal geprägt war. Die Macht lag nicht in Wien, sondern bei den Bünden und den ÖVP-regierten Ländern, insbesondere den Landeshauptleuten. Sie hatten ein gehöriges Wort bei der Besetzung von Ministerposten in der Bundesregierung mitzureden. Die Partei, so erzählen es heute die ehemaligen Mitarbeiter von Kurz, folgte weder personell noch strategisch einer klaren Linie. Was geschah, war immer die Resultante eines Kräfteparallelogramms.

Das Aushandeln von Kompromissen und politische Tauschgeschäfte – das waren über Jahrzehnte die Konstruktionsprinzipien der Alpenrepublik. Für die Truppe um Kurz verkörpert das vor allem der ehemalige ÖVP-Parteichef und Vizekanzler der Großen Koalition, Reinhold Mitterlehner. Er selbst beschreibt sich in einem Buch, das er der Abrechnung mit Kurz gewidmet hat, als überzeugten „Sozialpartnerschaftler“. Er ist politisch groß geworden im Wirtschaftsbund und der Wirtschaftskammer. Für ihn besteht das Wesen der Politik gerade im „Interessenausgleich“ – und die alte ÖVP hat es damit durchaus weit gebracht. Immerhin seit 1987 gehört sie der Regierung ununterbrochen an. Aber genau das sei am Ende das Problem gewesen.

Der konservative Modernisierer

So sieht es jedenfalls Stefan Steiner. Bereits als politischer Direktor arbeitete er mit Kurz als Chef der Jungen Volkspartei (JVP) zusammen, ab 2017 neben Köstinger als dessen Generalsekretär und später als sein Chefberater. Entscheidend sei der inhaltliche „Stillstand in der Großen Koalition“ gewesen, meint er. Es sei nur mehr um politische Tauschgeschäfte gegangen: „Immer nur der kleinste gemeinsame Nenner.“ Am Ende hätten SPÖ und ÖVP „die Republik mit Minimalkompromissen erdrückt“. Es habe nichts „Großes“ mehr gegeben, „nichts aus einem Guss“.

Elisabeth Köstinger war zwischen 2009 bis
2017 Mitglied im Europäischen Parlament
und von Mai 2017 bis Januar 2018
Generalsekretärin der ÖVP. Heute
führt sie das Landwirtschaftsministerium /
​​​Mathias Brodkorb

Kurz’ Modernisierung der eigenen Partei war daher nur der Testlauf für die Modernisierung des gesamten Landes. Auch für seine Kanzlerschaft stellte er symbolisch exakt sieben „Bedingungen“. An erster Stelle stand dabei die Richtlinienkompetenz als Kanzler, um „klare Verhältnisse in unserem Land“ zu schaffen. Alle anderen Punkte fasst Steiner unter zwei Schlagworten zusammen: „Leistung“ und „Sicherheit“, soziale wie innere gleichermaßen. Kurz benötigt in der Wiener Stadthalle nur wenige Minuten, um sein politisches Programm zu entfalten. Auch seine klare und verständliche Sprache trägt zu den Wahlerfolgen bei. 
Überhaupt gehört zum „Projekt Kurz“ auch eine neue Form der Kommunikation. Verantwortlich dafür war zwölf Jahre lang vor allem Kristina Rausch. Bis zu seinem Rücktritt als Kanzler im Oktober 2021 hatte sie in der gesamten Zeit nur diesen einen Chef.

Kristina Rausch wird von Kurz noch während
ihres Abiturs angeworben. Zwölf Jahre war sie
für dessen digitale Kommunikationsstrategie
verantwortlich, zuletzt als
Kommunikationschefin der ÖVP /
Mathias Brodkorb

Wahrscheinlich erklärt dieser Umstand, warum ihre Augen noch immer glänzen, wenn sie von ihm spricht. Er sei ein „total mutiger Typ“ und mit einem „großartigen gestalterischen Willen“ ausgestattet. Man habe ihm alles sagen können, auch Kritisches. Am Ende sei daraus eine „sehr enge Freundschaft“ entstanden. Das allerdings dürfte nicht nur für Rausch gelten. Auch die Augen von Ministerin Köstinger glänzen, wenn sie von Kurz spricht. Es sei ein „unglaubliches Privileg“ gewesen, mit ihm zusammenarbeiten zu dürfen.

Vorreiter der digitalen politischen Kommunikation

Mit der Wahl des amerikanischen Präsidenten Barack Obama geht dem jungen Team ein Licht auf. Obama hatte 2009 wie niemand zuvor das Internet als Wahlkampfmaschine eingesetzt. Das „Team Kurz“ will nun zum Vorreiter digitaler politischer Kommunikation in Österreich werden. Es ist dabei so erfolgreich, dass Face­book gar eine „Case Study“ anfertigt. „Ab diesem Moment haben wir gewusst, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, so Rausch. Sie hätten immer weiter gearbeitet und seit dem Wahlkampf 2017 „in einer anderen Liga gespielt“. Die Erfolge sind bis heute messbar. Fasst man Kurz’ Reichweite auf Facebook, Twitter und Instagram zusammen, erreicht er rund zwei Millionen Follower. Der aktuelle deutsche Bundeskanzler kommt auf 2,4 Millionen. Um mit Kurz gleichzuziehen, bräuchte Olaf Scholz wegen der Größenunterschiede der Länder allerdings mehr als 18 Millionen.

Entscheidend für diesen Erfolg sei es gewesen, dass die digitalen Kommunikatoren „am Erwachsenen-, nicht nur am Kindertisch“ Platz nehmen durften, betont Rausch. Die digitale Kommunikation müsse „Bestandteil der politischen Strategie“ sein. Was sie damit meint, ist nicht schwer zu verstehen. Allein auf Face­book verfügte das Team über Zugriff auf mehr als eine Million Menschen. Damit kann kein Umfrageinstitut mithalten. Dadurch sei es möglich gewesen, eine „Evaluation der politischen Arbeit in Echtzeit“ zu organisieren: „Wir wussten viel schneller und besser als die Medien, wie unsere Politik ankommt – oder wo wir gegensteuern müssen.“ Vor mehr als 2000 Jahren hat der griechische Philosoph Aristoteles einmal behauptet, dass jeder erfolgreiche Politiker ein „Psychagoge“ sei, also ein Seelenführer. Damit das möglich ist, muss man allerdings wissen, was sich im Innenleben der Menschen abspielt. Das „Team Kurz“ hatte für sich genau dieses Instrument geschaffen.

Das Verhältnis zwischen Politik, Medien und Bürgern konnte damit grundlegend umgestaltet werden. Die eigene Partei sollte zu einer „medialen Macht“ werden, mit direkter Tuchfühlung zum Wahlvolk und zu den Parteimitgliedern. Denn was in der Öffentlichkeit die Medien, waren in der ÖVP die traditionellen schwarzen Eliten. Auf beide Mittler wollte Kurz nicht angewiesen sein. Rausch bringt es mit einem Bild auf den Punkt: „Wir haben den ÖVP-Stammtisch aus dem Wirtshaus in die digitalen Welten überführt und dafür gesorgt, dass Sebastian Kurz an diesem Stammtisch Platz nimmt.“ 24 Stunden am Tag.

Der „neue Stil“

Neue Führung, neue Inhalte und eine neue Kommunikation. Aber es gab noch ein weiteres Element für den politischen Aufstieg des Sebastian Kurz, und es ist ausgerechnet jenes, über das er am Ende stürzen wird: der „neue Stil“. Nicht nur Deals und Geschäfte prägen die österreichische Politik, sondern auch ein ausgeprägtes Maß an rhetorischer Ruppigkeit, die tief bis ins Persönliche hineinreicht. Es ist dieses „Anpatzen“, mit dem Kurz erklärtermaßen Schluss machen wollte.

Sein Team arbeitete an einem Image, dessen Markenzeichen der persönliche Anstand war. Aber moralische Ansprüche sind wie gutartige Krebsgeschwüre. Sie können metastasieren und sind nur schwer im Wachstum zu bremsen – und werden mitunter zu Karzinomen. Aus dem „neuen Stil“ wurde so in der Öffentlichkeit ein allumfassendes Saubermann-­Image. Es passte eigentlich perfekt zum Kampf gegen das „System Österreich“. Kurz’ Mannschaft bestreitet heute, dass dieser Effekt gewollt war. Steiner zufolge wurde das öffentliche Bild des Kanzlers irgendwann „überhöht“ und hätte sich „verselbstständigt“. Bernhard Bonelli, sein ehemaliger Büroleiter, spricht gar von „Heilserwartungen“, die in seinen Chef hineinprojiziert worden wären. Der politische Absturz des österreichischen Ikarus nimmt exakt hier seinen Anfang.

Zeitungsaufsteller in Wien für die österreichische
Gratis-Boulevardzeitung oe24 /
Mathias Brodkorb

Dabei sah es zunächst, also im Mai 2019, noch ganz anders aus. Damals veröffentlichten die Süddeutsche Zeitung und Der Spiegel das berühmte Ibiza-­Video. Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) wurde in einer Villa auf Ibiza in die Falle gelockt. Gegenstand eines versteckt gefilmten Gesprächs war auch, dass eine angebliche russische Oligarchin die österreichische Kronen-Zeitung übernehmen und die Redaktion so umbauen sollte, dass diese künftig FPÖ-freundlich berichtet. Es ging Strache darum, den wohl wichtigsten medialen Akteur neben dem ORF politisch unter Kontrolle zu bringen.

Der Anfang vom Ende

Die Berichterstattung löste ein Erdbeben aus, und Strache trat zurück. Kurz witterte die Chance, durch Neuwahlen die ÖVP weiter zu stärken. Er kritisierte die FPÖ ausgerechnet wegen ihres bedenklichen Umgangs „mit österreichischen Steuergeldern“ und ihres fragwürdigen Verhältnisses zu den Medien, ließ den damaligen Innenminister Herbert Kickl fallen – und bat Bundespräsident Alexander Van der Bellen um vorgezogene Neuwahlen. Alle Minister der FPÖ traten geschlossen von ihren Ämtern zurück, und die Regierung musste abdanken. Auch diese Rigorosität stärkte unweigerlich das öffentliche Bild vom türkisen Saubermann.

Und die Strategie ging auf. Bei den Nationalratswahlen im September 2019 erreichte die ÖVP mehr als 37 Prozent, während die SPÖ und insbesondere die FPÖ abstürzten. Auch die Grünen waren erfolgreich. Beide Parteien bildeten die erste türkis-grüne Bundesregierung. Was dann geschah, nennt Christian Hafenecker (FPÖ) rückblickend einen „Treppenwitz der Geschichte“. Er war Fraktionsführer im Ibiza-Untersuchungsausschuss und gehört nun auch dem neuen an.

Im Mai 2019 ging bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eine anonyme Anzeige ein. Angeblich soll es ­„Deals“ zwischen der FPÖ und dem Glückspielkonzern Novomatic gegeben haben. Die daraus folgenden Ermittlungen lösen einen Tsunami aus. Plötzlich rückt auch die Casino Austria AG ins Blickfeld der Behörden und mit ihr die Finanzaufsicht, der Staatssekretär des österreichischen Finanzministeriums Thomas Schmid (ÖVP). Dem Ibiza-Untersuchungsausschuss werden umfangreiche Unterlagen zur Verfügung gestellt, darunter auch sichergestellte Chats von Schmid. Damit kommt es zu einer abrupten Wendung. Plötzlich stehen nicht mehr die FPÖ und der Fall Strache im gleißenden Licht des Geschehens, sondern die ÖVP selbst. Und immer mehr auch Bundeskanzler Sebastian Kurz. Hafenecker nennt das Ende der Koalition mit der ÖVP daher heute eine „Fügung des Schicksals“: „Wir hätten das System ja sonst ungewollt mit unterstützen müssen. Das haben die alles vor uns geheim gehalten.“

Christian Hafenecker ist seit 2013
Mitglied des österreichischen
Nationalparlaments für die FPÖ, von Mai
2018 bis Januar 2020 war er auch ihr
Generalsekretär. Im Ibiza-
Untersuchungsausschuss war er
Fraktionsführer der Freiheitlichen Partei
Österreichs (FPÖ) / Mathias Brodkorb

Kurz gerät ins Visier der Untersuchungen

Was Hafenecker damit meint, ist zum Beispiel der Wechsel Schmids vom Posten des Staatssekretärs im Finanzministerium zum Vorstand der Österreichischen Beteiligungs-AG (ÖBAG). Schmid hätte die Ausschreibung für den Vorstandsposten persönlich auf sich selbst zugeschnitten – und am Ende natürlich gewonnen. Das gehe aus den Chats eindeutig hervor. Aber nicht nur das. Kanzler Kurz soll gewusst haben, dass Schmid als ÖBAG-Vorstand vorgesehen ist, es vielleicht sogar befördert haben. Belegt sind jedenfalls Nachrichten, in denen Schmid den Kanzler bittet, dass er kein „Vorstand ohne Mandate“ werde. Darauf Kurz: „Kriegst eh alles, was du willst.“ Kurz fügt der Nachricht allerdings drei Lach-Emojis an. Man weiß nicht recht, wie ernst er es am Ende meint. Für Hafenecker ist das trotzdem nichts anderes als der übliche „Postenschacher“ im „System Österreich“. Er nennt das den „tiefen Staat“ der ÖVP und hat ein ganzes Buch darüber geschrieben.

Plötzlich steht also der Kanzler selbst im Rampenlicht der Untersuchungen. Vor dem Ausschuss wird er Mitte 2020 auf Erinnerungslücken verweisen, vor allem aber bestreiten, je Einfluss auf die Besetzung des ÖBAG-Vorstands genommen zu haben. Eingebracht hat ihm das eine Anzeige wegen „falscher Zeugenaussage“. Es ist zu diesem Zeitpunkt rund ein Jahr her, dass das Ibiza-Video das Licht der Welt erblickt hat. Bis heute gilt die Unschuldsvermutung.

Manipulierte Umfragen

Nach weiterer Auswertung der Chats werden immer neue Vorwürfe öffentlich: So titulierten Schmid und Kurz Reinhold Mitterlehner in privaten Chats als „Arsch“. Und aus der Korrespondenz beider wird außerdem deutlich, wie sie versucht haben, in der Großen Koalition den Ausbau der Ganztagsbetreuung zu verhindern. Auch weil das SPÖ-Projekt einfach zu „geil“ sei, wie Schmid im Juni 2016 an Kurz schreibt. Dass in dem Chat ebenso weltanschauliche Gründe diskutiert werden und die ÖVP auf einer Beteiligung der Länder besteht, wird in den meisten Medienberichten verschwiegen. Es geht bei all diesen Vorgängen auch nicht in erster Linie um strafrechtliche Vorwürfe, sondern um Fragen politischer Moral. Was Österreichs Öffentlichkeit Stück für Stück präsentiert bekommt, will so gar nicht zu einem Saubermann-Image passen.

Am 6. Oktober 2021 platzt dann schließlich die Bombe. Die Staatsanwaltschaft führt in der ÖVP-Parteizentrale, dem Finanzministerium und dem Bundeskanzleramt Hausdurchsuchungen durch. Unter der Führung Schmids soll das Finanzministerium manipulierte Umfragen zu den Beliebtheitswerten von Kurz und seinem damaligen Konkurrenten Reinhold Mitterlehner in Auftrag gegeben haben. Aber nicht nur das. Den Machern der kostenlosen Boulevardzeitung Österreich, Helmuth und Wolfgang Fellner, wird Bestechung vorgeworfen. Insgesamt geht es um 1,3 Millionen Euro für Inserate des Finanzministeriums. Aus dem ÖVP- ist somit längst auch ein Medienskandal geworden. Dass es im Zusammenhang mit den Inseraten um eine bewusste politische Beeinflussung von Medien ging, ist ebenfalls den Chats zu entnehmen. Schmid schreibt im Januar 2017 an den späteren Pressesprecher des Kanzlers: „Fellner ist ein Kapitalist! Wer zahlt, schafft an. Ich liebe das.“

Abwarten misslingt

Es dauert nur drei Tage, bis der Druck auf Sebastian Kurz zu groß wird. Am 9. Oktober 2021 reicht er seinen Rücktritt als Bundeskanzler ein. Das geht insbesondere auf das Konto eines Mannes: Vizekanzler Werner Kogler. Als „Königsmörder“ will er sich nicht bezeichnen lassen. Aber es ist trotzdem dieser mächtigste Mann der Grünen, der das „System Kurz“ ins Wanken bringt. Am 8. Oktober 2021 setzt er den Türkisen vor laufenden Kameras die Pistole auf die Brust. Kurz sei „nicht mehr amtsfähig“, und die ÖVP hätte jetzt nur zwei Möglichkeiten: Entweder präsentiere sie einen neuen Kanzler – oder die Grünen würden die Koalition verlassen.

Schon am nächsten Tag zieht Kurz die Reißleine. Es ist aber kein Rücktritt, sondern ein Schritt zur Seite. Er bleibt Parteichef und übernimmt die Führung der ÖVP-Fraktion („Club“) im Nationalparlament. Zum Bundeskanzler bestimmt er 
Alexander Schallenberg, seinen treu ergebenen Außenminister. Politisch hält er damit weiterhin alle Fäden in der Hand. Der Plan dahinter ist offensichtlich: Erst einmal abwarten, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Schallenberg, der heute wieder Außenminister ist, widerspricht auch nicht, wenn man ihm die Rolle des bloßen Stuhlwärmers zuweist: „Natürlich war die Hoffnung, dass [Kurz] … wieder gestärkt zurückkommen kann.“ Doch diese Hoffnung trügt. Die Öffentlichkeit kommt nicht zur Ruhe. Am 2. Dezember 2021 tritt Sebastian Kurz von allen politischen Ämtern zurück und wechselt in die Privatwirtschaft.

Alexander Schallenberg war lange Diplomat, bis er unter Interimskanzlerin Brigitte Bierlein zum
Außenminister der Republik Österreich wurde. Zwischenzeitlich machte Sebastian Kurz ihn zum Kanzler.
Heute ist er wieder Außenminister / Mathias Brodkorb

ÖVP steht weiter hinter Kurz

Douglas Hoyos, der Generalsekretär der österreichischen Liberalen (Neos), sieht heute in der ÖVP erste Anzeichen, „sich von Kurz zu distanzieren“. Diesen Eindruck weisen die Türkisen strikt zurück. Am deutlichsten wird Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, ein politisches Urgestein aus dem niederösterreichischen Epizentrum der Volkspartei und Vorsitzender des Ibiza-Untersuchungsausschusses. Der Zuspruch für Kurz sei in der „Gesinnungsgemeinschaft“, wie er es ausdrückt, noch immer „extrem hoch“. Er schätzt ihn auf 80 Prozent der Mitglieder. Alle wüssten, wem sie den Wahlsieg und die Mandate zu verdanken hätten. Von einem Scheitern will er daher nichts wissen: „Das Projekt hat keinen Abschluss gefunden, sondern einen anderen Kapitän.“ Er ist sich sicher, dass Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) Kurz’ Erbe „nahtlos weiterführen“ wird. Für den Liberalen Hoyos hört sich das allerdings eher nach einer „Katastrophe“ an.

Der Dienstsitz des österreichischen
Nationalratspräsidenten befindet sich derzeit auf
dem Gelände der Wiener Hofburg /
Mathias Brodkorb

Dem ehemaligen Team von Sebastian Kurz fällt der kritische Blick auf die eigene Vergangenheit schwer. Sicher habe es Pannen gegeben, wie die mitunter „unpassende Wortwahl“ in den veröffentlichten Chats. Aber über den eigentlichen Skandal, dass diese Chatnachrichten überhaupt „an die Öffentlichkeit gekommen sind“, spreche in Österreich kaum jemand, so Bonelli. Dass die derzeitige Aufklärung selbst auf Straftaten beruhen könnte, entlockt Nationalrat Kai Jan Krainer (SPÖ) nur ein Achselzucken: „Wir haben ja alle Zielkonflikte in unserem Leben.“

Eine Frage des Anstands

Auch deshalb hält Ex-Chefstratege Stefan Steiner seinen ehemaligen Boss für das Opfer eines „dirty campaigning“: „Was hat Kurz falsch gemacht? Gegen eine an sich überlegene Mannschaft gespielt, in der Halbzeit geführt – und ist dann so brutal gefoult worden, dass er verletzt vom Platz musste.“ Mit der „überlegenen Mannschaft“ meint Steiner vor allem die sozialdemokratische Linke. Es ist für ihn diese „Twitteria“, die den eigentlichen „tiefen Staat“ darstellt. Zumindest Teile der Staatsanwaltschaft ließen sich politisch beeinflussen. Es sei doch vielsagend, dass sie immer nur im Spektrum Mitte-Rechts fündig werde: „Dass es bei den anderen anders ist, glaubt doch kein Mensch.“

Nur einer reagiert nachdenklicher, und es ist Mister X, der zumindest taktische Fehltritte erwägt: „Vielleicht war es der größte Fehler, Herbert Kickl aus der Regierung zu drängen und die Koalition mit der FPÖ zu beenden.“ Und das Justizministerium an die Grünen abzugeben. Erst dadurch hätte sich im Zusammenhang mit dem Ibiza-Skandal jene Dynamik entwickelt, in deren Strudel dann mit voller Wucht die ÖVP geriet. Es ist, als hätte der Zuschauer einer antiken Tragödie gerade den eigentlich vermeidbaren Fehler des tragischen Helden entdeckt, der daraufhin ins Unglück stürzt.

Im Zentrum der Verteidigungsstrategie der Kurz-­Anhänger steht dabei die strikte Unterscheidung zwischen Recht und Moral. Das ist auch Außenminister Schallenberg, dem Juristen, wichtig. „Die Unschuldsvermutung gilt faktisch nicht mehr“, beklagt er sich. Dabei würden die Chatprotokolle, die man Kurz nun vorhält, aus dem Zusammenhang zitiert und seien strafrechtlich ohnehin belanglos. „Man stelle sich vor, alle unsere Gedanken könnten als Sprechblasen über unserem Kopf gelesen werden“, so Schallenberg. Mit der Veröffentlichung der Chats ist Sebastian Kurz aber genau das geschehen. Es wirkt wie Ironie der Geschichte, dass die digitalen Medien ausgerechnet in seinem Fall zum Brandbeschleuniger wurden. Das Instrument geriet am Ende außer Kontrolle.

Das „System Österreich“

Mit der Unterscheidung zwischen Recht und Moral in der Politik und dem Insistieren auf der Unschuldsvermutung kann SPÖ-Mann Krainer wenig anfangen. Auch er war Mitglied des Ibiza-Untersuchungsausschusses: „Das ist ein Blödsinn. […] Als das Ibiza-Video veröffentlicht wurde, hat die ÖVP da irgendetwas gesagt von ‚Unschuldsvermutung‘?“, fragt er empört. Die Volkspartei würde ständig an sich selbst niedrigere Maßstäbe anlegen als an andere. In Wahrheit müsste es umgekehrt sein: „Für Politiker gelten eben andere Maßstäbe als für normale Bürger, weil man uns vertrauen können muss. Repräsentative Demokratie funktioniert nur mit Vertrauen.“

So uneins sich die politischen Parteien Österreichs in der Bewertung der Ära Kurz sind, so sehr treffen sie sich in nachdenklichen Momenten in einem Punkt: der Existenz eines „System Österreich“. Vizekanzler Kogler von den Grünen verkörpert dabei vielleicht am besten das ganze Dilemma. Es sei hier eben „Tradition“, dass die Vergabe von Spitzenposten „sehr entlang von Parteifarben“ funktioniere. Die Verschränkung von Parteien, Staat und Gesellschaft will er sogar „hochhalten“, und zwar aus geschichtlichen Gründen: „Nach dem Zweiten Weltkrieg haben Rot und Schwarz sich gesagt: ‚Jetzt geht es um Zusammenarbeit.‘ Da stimmt die Geschichte, der haftet ein Mythos an, und das ist auch etwas Gutes.“

Aber zum „System Österreich“ gehört noch etwas völlig anderes, nämlich der „polit-mediale Komplex“: Alle finden ihn problematisch, aber so gut wie keiner will ihn abschaffen. Man fürchtet andernfalls ein landesweites Zeitungssterben und einen Mangel an Pluralität. Bereits seit dem Jahr 1975 leistet sich Österreich eine „Presseförderung“ für Printmedien. Allein im Jahr 2020 schüttete die Bundesregierung 34 Millionen Euro aus. Hinzu kam die Inseratenförderung von landesweit 222 Millionen Euro, so hat es Andy Kaltenbrunner vom Medienhaus Wien ermittelt. Hochgerechnet auf Deutschland wären das mehr als zwei Milliarden Euro. Zumindest im Boulevardbereich sollen 20 bis 40 Prozent der Umsätze von der öffentlichen Hand stammen.

Inserate für Berichterstattung

„Wer zahlt, schafft an“, so brachte Thomas Schmid sein Verständnis der Zusammenarbeit zwischen Medien und öffentlicher Hand auf den Punkt. Dass dies kein Einzelfall ist, muss auch Nationalrat Hafenecker zugeben: „Das grundsätzliche Problem ist, und das ist in Österreich ein ungeschriebenes Gesetz, dass der Anzeigenverkauf von der Redaktion nicht entkoppelt ist, zumindest im Boulevard.“ Zuerst käme halt der Anzeigenverkäufer und dann der Redakteur zu einem. Das hätte er als Generalsekretär der FPÖ selbst miterlebt: „Mir wurde angeboten: Wenn das Inseratenvolumen so und so hoch ausfällt, können wir in der Berichterstattung das und das machen.“ Auch Stefan Steiner, der ehemalige Chefberater von Sebastian Kurz, spricht von einer „Verhaberung“ von Medien und Politik. Das sei zwar demokratietheoretisch problematisch, aber „wenn das das ‚Normale‘ ist, kann man sich dem auch nicht ganz verschließen“.

Um den Einfluss der Politik auf die Medien in Österreich zu reduzieren, schlägt SPÖ-Nationalrat Krainer wie fast alle anderen eine drastische Reduzierung der Inseratenförderung und eine Anhebung der Presseförderung vor. Dann allerdings dürfte der Eigentümer der Zeitung auch nicht mehr alles entscheiden: „Wenn ich es zahle, dann kann nicht irgendein Privater alles bestimmen. Alles andere wäre absurd. Es ist dann die öffentliche Hand in der Pflicht, die journalistische Unabhängigkeit abzusichern.“ Aus dem „Wer zahlt, schafft an“, bei dem es um die Beeinflussung einzelner Artikel ging, könnte so ein struktureller Zugriff der Politik auf die Medien werden.

Medien wie Heroinabhängige

Wieder ist es nur Mister X, der nachträglich eingesteht, man hätte die Presse- und Inseratenförderung vielleicht radikal abschaffen müssen. „Aber wer das versucht, überlebt die Reaktion der Medien politisch keine zwei Wochen“, konstatiert er desillusioniert. Es ist so, als wüsste niemand eine Lösung dafür, wie man den Heroinabhängigen, den man selbst geschaffen hat, wieder von der Nadel wegbekommt. Es scheint daher nicht ganz unberechtigt, wenn die ÖVP dieser Tage darauf beharrt, sich von allen anderen nicht allzu sehr zu unterscheiden. Auch das rote Wien ist für seine ausladende Inseratenförderung bekannt. Einen wesentlichen Unterschied will ÖVP-Außenminister Schallenberg dennoch gelten lassen: Man hätte es „vielleicht effizienter gemacht“ als alle anderen zuvor.

Seit kurzer Zeit können nicht einmal mehr die Grünen von sich behaupten, eine Transparenz-Partei zu sein. Wieder wurden geheime Dokumente durchgestochen, diesmal die sogenannten „Sideletters“ der Regierungen Türkis-Blau und Türkis-Grün. In diesen geheimen Nebenabreden sind nicht nur allerhand Posten verteilt, sondern auch inhaltliche Projekte verankert. Unterschrieben hat sie auch Vizekanzler Kogler. Er musste sich dafür schon öffentlich entschuldigen. Zwar solle das nicht wieder vorkommen, aber völlige Transparenz sei mit der ÖVP eben „nicht möglich“ gewesen.

Inzwischen wird ausgerechnet Kogler, der Königsmörder, sogar öffentlich der „Lüge“ bezichtigt. Noch im Mai 2021 hatte er in einem Interview bestritten, dass es eine geheime Vereinbarung zwischen Grünen und der ÖVP zur Besetzung von Posten beim ORF gäbe. Wieder einmal ist die öffentliche Empörung daher groß und wieder einmal handelt es sich um Wasser auf die Mühlen jener, die das „System Österreich“ für verlottert halten. Stefan Steiner hingegen kann dazu nur Mozarts „Così fan tutte“ anführen: Er ist sich sicher, dass es entsprechende Papiere auch aus der Großen Koalition mit der SPÖ gibt. Sollten diese ebenfalls die Öffentlichkeit erreichen, könnte der angeschlagenen ÖVP fast ein Befreiungsschlag gelingen.

Auskömmliche Anschlussbeschäftigungen

Das ehemalige „Team Kurz“ muss sich wirtschaftlich keine Sorgen machen. Kristina Rausch arbeitet heute als stellvertretende Büroleiterin des Bundeskanzlers. Es war Kurz selbst, der ihn bei seinem Rückzug aus der Politik zu seinem Nachfolger auserkoren hatte. Bernhard Bonelli, der aus einer Unternehmensberatung heraus ins „Team Kurz“ wechselte, will sich wieder dem Bereich Private Equity und Venture Capital zuwenden. Stefan Steiner arbeitet noch immer als Berater für die ÖVP, will sein Geschäftsfeld mittelfristig aber auf eine breitere Grundlage stellen. 

Bernhard Bonelli wechselte aus der Privatwirtschaft in das
„Team Kurz“ und war zuletzt sein Büroleiter als
Bundeskanzler / Mathias Brodkorb

Landwirtschaftsministerin Köstinger, Außenminister Schallenberg und Nationalratspräsident Sobotka sind ohnehin mit hohen politischen Posten gut versorgt. Für Sobotka allerdings könnte es demnächst eng werden. Denn erneut sind Chats aus dem Umfeld der ÖVP aufgetaucht – und zwar mehr als 4000 Seiten. Seit Wochen schon veröffentlicht der ehemalige Grünen-­Nationalrat Peter Pilz auf zackzack.at nach und nach Geschichten aus diesem Konvolut. Er will es noch im Februar dem neuen Untersuchungsausschuss übergeben und hält dann nicht nur den Abstieg von Sobotka und Nehammer für möglich, sondern gar das Ende der ganzen Regierung.

Im Dienste Peter Thiels

Sebastian Kurz hat unterdessen bei dem internationalen Star-Unternehmer Peter Thiel als „Globaler Strategieberater“ angeheuert und im Januar 2022 in Niederösterreich ein eigenes Unternehmen gegründet, die SK Management GmbH. Der Zweck des Unternehmens: „Halten von Beteiligungen, Beteiligungsverwaltung, Erbringung von Managementdienstleistungen, Unternehmensberatung“.

Sebastian Kurz mit dem Star-Investor Peter Thiel, für den er
künftig arbeiten wird / Sebastian Kurz, Twitter

Der Milliardär Thiel zählt zu den Gründern des FinTechs Paypal sowie des Softwareunternehmens Palantir Technologies. Er dürfte sich von Kurz leichten Zugang zu Europas konservativen und Wirtschafts­eliten erhoffen. Aber der Altkanzler wird sich umstellen müssen, denn sein neuer Chef ist dafür berüchtigt, von Politik und Demokratie nicht allzu viel zu halten. Schon im Jahr 2009 erklärte er in einem Essay, dass für ihn Freiheit und Demokratie „nicht miteinander vereinbar“ seien. Während Sebastian Kurz in den letzten Jahren daran gearbeitet hat, die digitalen Welten als neues Steuerungsinstrument der Demokratie zu nutzen, steht er nun wohl auf der anderen Seite der Macht.

 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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