Sanktionen gegen russische Bürger - „Die Situation hat mich sehr erschüttert“

Anastassia Pletoukhina engagiert sich für Flüchtlinge aus der Ukraine und muss plötzlich feststellen, dass ihr und ihrer Familie die Bankkonten eingeschränkt wurden - nur weil sie immer noch russische Staatsbürger sind, obwohl sie seit Jahren in Deutschland leben. In ihrem Gastbeitrag schildert sie diese und andere Benachteiligungen russischstämmiger Bürger, die nichts mit Putins Krieg zu tun haben.

Die Situation mit ihrem Privatkonto bei der Deutschen Bank hat unsere Autorin erschüttert. Was ist noch möglich in unserem demokratischen Rechtsstaat? / dpa
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Autoreninfo

Anastassia Pletoukhina ist Sozialwissenschaftlerin und Direktorin der jüdischen Bildungsorganisation „Nevatim“. Im Jahr 2019 überlebte sie den Anschlag auf die Synagoge in Halle.

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Ich bin mit meiner Familie vor 24 Jahren aus Moskau nach Deutschland gekommen. Wir sind als jüdische Kontingentflüchtlinge eingewandert. Meine Familie stammt teilweise aus Russland, aber auch aus der Ukraine und Südrussland. Im sowjetischen Pass meiner Mutter stand „Ukrainerin“ unter dem Paragrafen „Nationalität“. Seit dem Ausbruch des Krieges am 24. Februar befindet sich meine Familie in ständiger Sorge um die Verwandten in Odessa, Mykolajiw und Kiew in der Ukraine. Wir versuchen, Hilfe für die Geflüchteten zu organisieren und zu koordinieren, beteiligen uns am wichtigen Informationsfluss über neue Möglichkeiten der humanitären Hilfe und an der Unterbringung von Menschen, die vor dem Krieg fliehen. Meine Eltern holen Geflüchtete von der Grenze ab und bringen sie teilweise bei sich zuhause unter, andere bringen sie in sichere Lager für Geflüchtete und helfen ihnen bei der Unterbringung.

All das geschieht teilweise nach der Arbeit, teilweise in den Pausen. Einige von uns haben sich Urlaubstage genommen, um benötigte Hilfe leisten zu können. Dabei sind wir in unseren Berufen sehr ausgelastet. Mein Mann ist Grafikdesigner, ich leite ein Bildungszentrum in Berlin, meine Mutter hat eine Konzertagentur in Hamburg, mein Vater ist Physiotherapeut in Lübeck. Am Mittwoch, den 2. März, hat mich meine Mutter unter Tränen angerufen und erzählt, dass der Zugang zum privaten Konto meines Vaters bei der Deutschen Bank eingeschränkt ist und weder Geldeinzahlungen noch Überweisungen auf das Konto zurzeit möglich sind. Auszahlungen und Überweisungen vom Konto sind weiterhin möglich.

Menschen, die seit Jahren in Deutschland leben, arbeiten, Steuern zahlen

Was bedeutet das? Zwar können wir auf das Geld, das bereits auf dem Konto ist, zugreifen, aber es kann kein Geld mehr verbucht werden. Nicht per Einzahlung, nicht per Überweisung, nicht einmal Gehalt kann eingezahlt werden. Daraufhin ging meine Mutter am Donnerstag, den 3. März, in die Bankfiliale in Lübeck und wollte den Sachverhalt aufklären. Die Mitarbeiterinnen warfen einen Blick auf ihr Konto, und meine Mutter konnte an ihrem Gesichtsausdruck ablesen, dass sie selbst sehr überrascht von dem waren, was sie da auf ihrem Bildschirm sahen. Sie erklärten meiner Mutter, dass das Konto aufgrund der aktuellen politischen Lage in der Ukraine vorübergehend nicht erreichbar sei und meine Mutter in Kürze telefonisch von der Bank kontaktiert werde, um sie über weitere Schritte aufzuklären. Auf den Anruf wartet sie immer noch.

Was hat die Situation in der Ukraine mit dem Konto meiner Eltern zu tun? Nun, meine Eltern, mein Mann und auch ich sind russische Staatsbürger. (Zwar habe ich mittlerweile auch die deutsche Staatsbürgerschaft, allerdings habe ich mein Konto bei der Deutschen Bank vor 17 Jahren mit meinem russischen Pass eröffnet.) Nach der Einführung der Sanktionen gegen die russischen Oligarchen wurde eine Sicherheitswarnung an die Banken verschickt, dass keine neuen Konten für russische Staatsbürger eröffnet werden dürfen. Für russische Bürger gibt es eine Beschränkung von 100.000 Euro, die sie auf ihre schon bestehenden Konten einzahlen dürfen. Alles schön und gut.

Wenn aber die Rede von „den Russen“ ist, stellen sich die meisten, und auch die Banken, vor, dass es um in Russland lebende und in Deutschland Geschäfte treibende Menschen geht, die sich in Europa ein sicheres Plätzchen halten und am Ku’damm in Berlin bei Louis Vuitton shoppen. So ist es aber nicht. Es sind in erster Linie Menschen, die seit Jahren in Deutschland leben, arbeiten, Steuern zahlen und ihren Lebensmittelpunkt nur in Deutschland haben. Es sind jüdische Kontingentflüchtlinge, es sind Menschen, die vor Jahren zum Arbeiten, für die Forschung oder Familienzusammenführung nach Deutschland gekommen sind und hier einen unbefristeten Aufenthaltsstatus haben. Es sind Studierende und viele andere.

Beweisen, dass ich keine Geldwäsche betreibe

Meine Familie vermietet eine Arztpraxis in Bad Schwartau. Aus diesem Grund hat mein Vater ein Konto bei der Sparkasse. Meine Eltern haben auch dort angerufen, um herauszufinden, ob auch dieses Konto gesperrt ist. Nein, das Konto war nicht gesperrt. Es gab auch keine Anordnungen dazu. Daraufhin hat mein Vater gebeten, ein Unterkonto zu eröffnen, damit das tägliche Geschäft sich nicht mit den Mieteinnahmen vermischt. Das war dann aufgrund der aktuellen politischen Situation in der Ukraine – und der Staatsbürgerschaft des Kunden – nicht möglich. Meine Mutter hat ein Geschäftskonto bei der Volksbank. Auch da ist das Konto nicht gesperrt. Und auch da ist die Neueröffnung eines Kontos für russische Staatsbürger ungeachtet ihres Aufenthaltsstatus nicht möglich.

 

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Ich habe ebenfalls ein Konto bei der Deutschen Bank. Da mein Gehalt bereits Mitte Februar gebucht wurde, ist mir nicht sofort aufgefallen, dass etwas nicht stimmt. Nach dem alarmierten Anruf meiner Eltern habe ich versucht, Geld an meinen Mann zu überweisen, und er umgekehrt von seinem Konto auf meines. In der Regel ist das Geld per „Sofortüberweisung“ innerhalb einer Stunde auf dem Konto. Nachdem das überwiesene Geld nach mehr als 24 Stunden nicht auf dem Konto war, habe ich meine Bank angerufen.

Der Berater sagte, er könne zwar nicht genau sehen, was das Problem sei, aber es könne sein, dass ich nicht auf die Briefe reagiert hätte, die mich dazu anhalten zu beweisen, dass ich keine Geldwäsche betreibe, und deswegen mein Konto gesperrt sei. Ich habe keine Briefe erhalten und bekomme Geld nur von meinem Arbeitgeber und gelegentlich von Auftraggebern, die ich alle in der Steuererklärung angebe. Also scheint das Argument mit der Geldwäsche aus den Fingern gesogen zu sein. Ich habe in der Filiale in Berlin angerufen und bekam die Info, dass es vermutlich nur ein Systemfehler sei. Die Hotline der Deutschen Bank verkündete mir, dass mein Konto in Ordnung ist und keine Buchungen vermerkt sind.

Eine schriftliche Vorwarnung gab es nicht

Ich habe über den Sachverhalt auf meinem Instagram-Account gepostet und zahlreiche Rückmeldungen bekommen. Genau wie mir ist es vielen russischen Staatsbürgern mit einer unbefristeten Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland nicht aufgefallen, dass etwas mit ihren Konten bei der Deutschen Bank nicht stimmt. Auf den ersten Blick ist auch alles okay: Geld kann abgehoben und überwiesen werden. Die Bank gibt keine beunruhigende Info, es sind keine Briefe gekommen, es steht nichts im heiligen Internet. Es scheint alles zu funktionieren. Doch beim genauen Nachhaken wurde schnell klar, dass ein Eröffnen von Konten (auch Unterkonten) zurzeit nicht möglich ist und dass die Deutsche Bank bei vielen Kunden (wenn nicht bei allen) zunächst den Geldeingang gesperrt hat. Einige Kunden wurden über die Sicherheitswarnung informiert, anderen wurde von einem Systemfehler erzählt.

Erschreckend ist, dass es nichts Schriftliches dazu gegeben hat, vermutlich, damit keine rechtlichen Schritte eingeleitet werden können. Und natürlich ist der Verweis auf einen Systemfehler, der aber erstaunlicherweise nur bei einer konkreten Gruppe von Kunden auftritt, viel beruhigender als die Erkenntnis, dass die Bank einfach aufgrund der Staatsbürgerschaft eine Person von ihrem Einkommen abschneiden kann. Und wenn das möglich ist, was ist noch möglich in unserem demokratischen Rechtsstaat? Wie weit ist der Schritt bis zur Enteignung? Oder sogar Ausweisung von russischen Staatsbürgern?

Bei uns allen werden jetzt Transaktionen geprüft

Nun sind die Konten meiner Eltern freigeschaltet, jedoch weiterhin mit Einschränkungen – es sind keine Sofortüberweisungen möglich. Auch mein Konto ist teilweise entsperrt. Das Konto meines Mannes war bis gestern noch blockiert. Bei uns allen werden jetzt Transaktionen geprüft, weil wir russische Staatsbürger sind und unter Verdacht stehen, unerwünschten Geldtransfer zu betreiben. Auf meinen Post bei Instagram habe ich relativ viele Fragen erhalten, ob wir Transaktionen mit Russland hatten und ob die Sperrung daher komme, dass wir noch weitere Konten in Russland hätten. Es gab auch Versuche, für das Ganze eine plausible Erklärung zu suchen. Da musste ich teilweise mehrfach antworten: Nein, wir haben unsere Hauptkonten bei der Deutschen Bank, nein, wir haben keine Geldeinnahmen in Russland. Davon mal abgesehen waren wir seit knapp drei Jahren nicht mehr in Russland.

In den vergangenen Tagen berichten viele in Deutschland lebende Personen von Anfeindungen, wenn sie in der Öffentlichkeit Russisch sprechen. Dabei sprechen auch viele Menschen, die in der Ukraine geboren wurden, miteinander Russisch, besonders wenn ihre Familien jüdisch sind. Denn Juden aus der ehemaligen Sowjetunion sprechen in der Regel Russisch untereinander. Gaststätten haben auf ihre Türen geschrieben, dass sie keine „Russen“ bedienen würden. Russische Lebensmittelläden werden vandalisiert. Das Sowjetische Ehrenmal im Treptower Park in Berlin wurde mit Hakenkreuzen beschmiert. Es kam auch schon vor, dass eine Familie aus dem ukrainischen Charkiw in einem Restaurant nicht bedient wurde, weil sie untereinander Russisch sprach. Dabei haben die ukrainischen Flüchtlinge überhaupt kein Problem mit der russischen Sprache, sobald es klar wird, dass es sich um Menschen handelt, die helfen wollen und können. Denn wir stehen auf der selben Seite: Auch Russischsprechende haben Familien, die vom Krieg auf beiden Seiten der Front betroffen sind.

Insbesondere in Deutschland werden Menschen angefeindet

Überall in Europa und insbesondere Deutschland werden Menschen angefeindet, wenn sie sich mit einem russischen Pass ausweisen. Reisen außerhalb der EU wird mit dem russischen Pass sehr schwierig, auch wenn der Hauptwohnsitz nachweislich in einem EU-Land ist. Es ist, als ob antislawischer Rassismus nun in legitimer Weise in vollen Zügen ausgelebt werden und „der Russe“ auf seinen Platz verwiesen werden kann. Meine sozialen Medien sind voll mit solchen und ähnlichen Berichten von Freunden und aus der Community.

Die Situation mit meinem privaten Bankkonto in einem demokratischen Rechtsstaat wie Deutschland hat mich sehr erschüttert. Mein Post auf sozialen Netzwerken ist auf äußerst große Resonanz gestoßen. Denn bis dahin hatte ich vor allem Infos für Geflüchtete und für Menschen, die helfen wollen, gepostet. Durch diesen Kontrast war das Gefühl der Ungerechtigkeit besonders spürbar. Zu meiner Freude habe ich von sehr vielen Solidarität erfahren. Die Mehrheit war schockiert, dass so etwas passieren kann. Viele Menschen haben sofort angeboten, meiner Familie und mir zu helfen. Denn es gibt zum Glück genügend Menschen, die zwischen dem Krieg eines Autokraten und den in Deutschland lebenden Menschen unterscheiden können, die legitimerweise eine andere Staatsbürgerschaft haben. Es gibt noch genügend deutsche Bürger, die bereit sind, nicht wegzuschauen und Unrecht beim Namen zu nennen.

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