Rezo-Video - „Das wirkt wie eine konzertierte Aktion“ 

War das CDU-kritische Video des YouTubers Rezo Teil einer Kampagne der Grünen vor der EU-Wahl? Dieses Gerücht kursiert in rechten Blogs. Der Kommunikationswissenschaftler Lutz Frühbrodt hält das für absurd. Aber dass es Rezo und Co. nur um die Sache ging, glaubt auch er nicht

PR-Gag in eigener Sache oder Frontalangriff auf die Politik? Der YouTuber Rezo hat die CDU aufgemischt / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Lutz Frühbrodt gilt als einer der besten Kenner der deutschen Influencer-Szene. Im April hat er im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung die Studie „Unboxing YouTube. Im Netzwerk der Profis und Profiteure“ veröffentlicht.  

Herr Frühbrodt, ein 26-Jähriger YouTuber, der sich Rezo nennt, hat die Bundesregierung kurz vor der Europa-Wahl mit einem Video in eine Krise gestürzt. Das Video heißt „Die Zerstörung der CDU“ und ist eine wütende Abrechnung mit der CDU-Politik der vergangenen Jahre. Sie haben es sich angesehen. Was war Ihr erster Eindruck? 
Mein erster Gedanke war: Influencer und Politik – das passt doch eigentlich gar nicht zusammen. Mit ganz wenigen Ausnahmen sind die meisten YouTuber nämlich auf dem Feld der leichten bis sehr leichten Unterhaltung unterwegs. Mein zweiter Gedanke war dann: Könnte das Video eine Retourkutsche auf die europäische Urheberrechtsreform sein? Das war ja das erste Mal, dass sich viele Influencer öffentlich politisch geäußert haben, weil sie durch die Reform ihr aus fremden Quellen zusammengeschnipseltes Material nicht mehr ohne Weiteres verwenden können.  

Die  CDU-Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer hat dieses Video derart wütend gemacht hat, dass sie sich zu der Äußerung hinreißen ließ, „die klare Meinungsmache vor einer Wahl“ müsse eingeschränkt werden. Man müsse darüber reden, ob die Regeln für Tageszeitungen nicht auch für den digitalen Bereich gelten. Können Sie ihre Reaktion nachvollziehen?
Ich kann sie bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Frau Kramp-Karrenbauer vergleicht allerdings Äpfel mit Birnen. Da Rezo wie auch die 90 Influencer, die sich zur Europa-Wahl mit einem „offenen Brief“ an die Öffentlichkeit gerichtet haben, eher der Unterhaltungsbranche zuzuordnen sind, müsste man sie folgerichtig mit Filmschauspielern oder Popmusikern vergleichen und nicht mit Tageszeitungen. Einzelne Künstler haben sich immer wieder mal in Wahlkämpfen auf die eine oder andere parteipolitische Seite geschlagen. In so massiver Form gab es so etwas das letzte Mal aber im Wahlkampf 1972, als sich Schauspieler wie Hardy Krüger oder Schriftsteller wie Günter Grass für die Wiederwahl von Willy Brandt als Bundeskanzler ins Zeug legten ... 

...aber doch nicht eine Woche vor einer Wahl? 
Nein, das stimmt. Diese Aktionen entstanden schon Monate vor dem Wahltag. Das macht den großen Unterschied zu heute aus. Insofern kann ich auch den Groll der CDU-Vorsitzenden ein Stück weit verstehen: Der so genannte offene Brief der Influencer zeugt von einem gewissen Niedergang der politischen Kultur, weil er so kurz vor den Wahlen kam und vor allem weil er explizit zur Nichtwahl von Parteien aufrief. 

War die CDU gut beraten, darauf nicht – anders als angekündigt  – mit einem Video mit Philipp Amthor zu antworten? 
Es war besser so, denn Philipp Amthor ist wohl eher bei potenziellen Schwiegereltern beliebt als bei Anhängern von Influencern. Man sollte auch gesetzlich nichts gegen so einen Fauxpas unternehmen, wie dies bei Frau Kramp-Karrenbauer anklang. Vielmehr sollte man die meinungsfreudigen YouTuber im Dialog dazu ermuntern, sich an sinnvolle und allgemein anerkannte Spielregeln zu halten.

Rezo ist auf seinen YouTube-Kanälen bisher nur als Musiker und Comedian in Erscheinung getreten. Was, glauben Sie, hat ihn jetzt motiviert, sich mit Politik zu beschäftigen? 
YouTuber sind ja nicht nur Medienunterhalter und Unternehmer, sondern auch Bürger. Und die haben im Idealfall auch politische Werte und Überzeugungen. Insofern halte ich das etwas brachial vorgebrachte Anliegen Rezos für authentisch. Einerseits. Andererseits werde ich den Verdacht nicht los, dass hier eine ganze Szene noch rechtzeitig auf den Zug der Öko-bewegten Jugend aufspringen will. Dahinter könnten also auch merkantile Interessen stehen: Das Image als Kommerz-Bubis und –Püppchen abstreifen und so neue Zielgruppen erschließen.

Es ist also kein Zufall, dass er das Video eine Woche vor der Europa-Wahl ins Internet gestellt hat?
Mit Sicherheit nicht. Das Rezo-Video ist hochgradig professionell produziert worden. Und es ist wohl auch kein Zufall, dass auf das Rezo-Video ein Video von 90 YouTubern folgte, das ebenfalls zu einem Boykott der Regierungsparteien sowie der AfD aufruft und für den Klimaschutz wirbt. Es wirkt wie eine geplante und konzertierte Aktion.  

Das Video ist fast eine Stunde lang, und Rezo hat inzwischen eingeräumt, dass er es nicht alleine produziert hat. Gemanaged wird er von Tube One Network, einer Tochterfirma von Deutschlands größtem Online-Vermarkter Ströer. Der betreibt mit T-Online eines der reichweitenstärksten Online-Portale, und T-Online hat Rezo als Helden gefeiert. Ist er die Marionette einer Kampagne?   
Es ist üblich, dass Agenturen wie Tube One erfolgversprechende Videos auf allen möglichen Kanälen promoten – über Instagram, Facebook oder wie in diesem konkreten Fall auch über eigene journalistische Kanäle. Viralität entsteht in aller Regel nicht von alleine, meist nur in Verbindung mit einer gewissen Anschubhilfe. Und das Rezo-Video hat inzwischen elf Millionen Menschen erreicht. Dass im Impressum die Agentur Tube One angegeben wird, ist eine ganz normale Vorgehensweise bei Influencern. Denn sie werden in der Regel von solchen Agenturen bei der Produktion und Vermarktung betreut – oft in Form eines Rund-um-Sorglos-Pakets, das bis zur Konzeption einzelner Videos reicht.

In rechten Blogs kursiert das Gerücht, bei dem Video handele es sich um eine politische Wahlkampf-Kampagne, die von den Grünen bestellt wurde. Ein abwegiger Verdacht? 
Wenn dem tatsächlich so wäre, hätten wir sicher einen Politikskandal erster Güte. Es handelt sich allerdings um Gerüchte, die auf keinen belastbaren Beweisen fußen. 

Aber das Video endet mit der Empfehlung, von allen Parteien würde Rezo am ehesten die Grünen wählen. Und auch das Video der 90 YouTuber, die ihm antworten, kommt wie eine Empfehlung für die Grünen daher. 
Das mag ja so sein. Aber das allein ist doch noch kein Beweis. Voraussetzung wäre, dass die Partei Die Grünen oder zumindest eine ihr nahestehende NGO einen eindeutigen Auftrag vergeben hätte.

Wenn die Grünen als Auftraggeber ausscheiden, bleibt ja eigentlich nur noch die Ströer-Tochter Tube One Network als Auftraggeberin. Welches Interesse könnte sie daran haben, die Politik der Bundesregierung zu diskreditieren? 
Ich stoße mich in diesem Zusammenhang etwas an dem Begriff „Auftraggeber“. Die bekannten Influencer arbeiten in der Regel mit einer oder teils auch mehreren Agenturen wie Tube One, Studio71 oder Mediakraft zusammen. Diese erhalten für ihre Dienstleistungen einen Teil der Einnahmen des Influencers, die dieser vor allem aus Werbeaufträgen erzielt. Die Zusammenarbeit reicht zuweilen auch bis zur Konzeption und Produktion einzelner Videoformate. Aber dass eine Agentur einem Influencer vorgibt „So, jetzt mach‘ mal das Thema hier!“, halte ich für absurd. Die Influencer-Szene funktioniert anders, sie ist nicht so leicht steuerbar. Schon eher kann ich mir vorstellen, dass man die Köpfe zusammengesteckt hat, um zu überlegen, wie man noch mehr Menschen erreichen kann.

Lutz Frühbrodt / Dietmar Modes 

Das Video verwischt die Grenze zwischen sachlicher Kritik und Beschimpfung. Machen es sich die YouTuber nicht ein bisschen zu leicht, wenn sie sich auf die Meinungsfreiheit berufen? 
Ja, das ist leider das übliche Spiel. Ich habe ja in einer Studie untersucht, wie stark Influencer unverhohlen Produktwerbung betreiben. Und wenn man sie zu einer strikten Kennzeichnung bewegen will, holen sie auch sofort die Keule der angeblichen Meinungsfreiheit aus dem Sack. Viele YouTuber scheinen bisher noch nicht recht verinnerlicht zu haben, dass öffentliche Kommunikation mit sozialer Verantwortung zu verbinden ist.

Jeder Leitartikelschreiber muss gewisse Regeln einhalten – und seien es die eines respektvollen Umgangs mit den Politikern, über die sie schreiben. Gelten diese Regeln nicht für YouTuber?
Hier haben wir wieder das Problem mit den Vergleichen. Die ganz große Mehrheit der Influencer ist ja nicht journalistisch-redaktionell unterwegs. Die jetzigen Ereignisse bilden eher die Ausnahme. Und die gesetzlichen Regelungen wie der Rundfunkstaatsvertrag und das Telemediengesetz lassen YouTubern zum Beispiel in Hinblick auf die journalistische Sorgfaltspflicht sehr viel Freiräume. Und da YouTube ein soziales Medium ist, gelten hier oft auch die „Gesetze“ der sehr, sehr offenen Ansprache.

Wie groß schätzen Sie den Einfluss von Rezo & Co. auf das Wahlergebnis der Europa-Wahl ein? 
Messbar ist dieser Einfluss sicher nicht. Die bekannten YouTuber befinden sich meist in den Zwanzigern, ihre Follower sind in aller Regel aber deutlich jünger, oft sogar noch Kinder.  Insofern gehe ich davon aus, dass die Videos eher Personen beeinflusst haben, die noch nicht wahlberechtigt sind. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass die Sache eine langfristige Entwicklung anstoßen könnte, wenn sie von ihren Protagonisten weiterverfolgt wird. Also in Richtung einer „Repolitisierung der Jugend“. 

Die Youtuber haben ja gerade deshalb so großen Einfluss auf ihre Zielgruppe, weil sie Kumpel und Idol in einer Person sind. Ist es vor diesem Hintergrund nicht erstaunlich, dass die YouTuber nicht schon öfter als Influencer in Wahlkämpfen instrumentalisiert wurden?
Den Begriff „Instrumentalisierung“ halte ich für offen gesagt für unangebracht. Er unterstellt, dass die YouTuber sich vor einen fremden Karren haben spannen lassen. Es gibt ja durchaus politische YouTuber, die mit Ausnahme von LeFloid allerdings viel weniger Follower haben als die Unterhalter. Dass sich nun die Entertainer so deutlich geäußert haben, ist in der Tat eine völlig neue Dimension. 

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