Wohin kann man in der Pandemie noch verreisen? - „Fernziele werden im Sommer noch nicht bereisbar sein“

Kaum eine Branche leidet so sehr unter der Pandemie wie die Reisebranche. Aber ist es in diesem Jahr überhaupt ratsam, zu verreisen? Eine Reisebüroleiterin gibt Tipps für Last-Minute-Ziele und rät, was man bei der Wahl der Reiseveranstalter beachten sollte.

Auch die Reisebüros versuchen den Mut in der Pandemie nicht zu verlieren. / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Sina Schiffer studiert an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Politik und Gesellschaft und English Studies. Derzeit hospitiert sie bei Cicero. 

So erreichen Sie Sina Schiffer:

Anzeige

Kristina Keller ist seit 2017 Geschäftsführerin eines Familienunternehmens und führt vier Reisebüros in Bonn und Umgebung. Diese gehören alle dem Franchisesystem TUI ReiseCenter an. 

Frau Keller, Urlaube werden storniert, und neue Buchungen bleiben seit bereits einem Jahr aus. Wie sieht es in Ihren Reisebüros aus? 

Ganz unterschiedlich: Natürlich hatten wir seit Pandemie-Beginn im März bis circa Mitte Juni fast überhaupt keine Neubuchungen, sondern waren nur mit Umbuchungen, beziehungsweise der Rückabwicklung aller abgesagten Reisen beschäftigt. Vereinzelt erhielten wir im ersten Lockdown Anrufe und Emails mit Angebotsanfragen für die Wintermonate 2020. Damals dachten wir ja alle noch, dass die Pandemie im Herbst überstanden wäre. Nach dem ersten Lockdown hatten wir dann aber doch einige Last-Minute-Buchungen für den Sommer. Zu diesem Zeitpunkt konnte man noch unproblematisch nach Griechenland und auf die Kanaren Reisen. Fernziele waren – ebenso wie das spanische Festland und die Balearen – tabu. Bis Ende Oktober haben wir also noch fleißig versucht zu buchen. Natürlich haben wir das Vorjahresziel in keiner Weise erreicht, weil unter anderem  hochpreisige Reisen wie Kreuzfahrten, Studienreisen und Fernreisen ausblieben. 

Haben Sie die Hoffnung auf ein unbeschwertes Reisen verloren? 

Eigentlich nicht: Reisen ist weiterhin möglich, wenn man sich an bestimmte Richtlinien hält und wenn man akzeptiert, dass man sich im Urlaubsland – ähnlich wie im Alltag – nur mit Masken fortbewegen darf und den angemessenen Abstand hält. Viele Kunden sehen dem Reisen unter diesen Bedingungen allerdings mit Skepsis entgegen, da sie nicht wissen, was sie vor Ort erwarten wird und weil die PCR Testung vor und nach der Reise zu lästig scheint. Mittlerweile sind viele Kunden aber bereit, Reisen unter diesen Voraussetzungen einmal auszuprobieren. 

Wenn die Skepsis da ist, wo lässt es sich momentan „gut“ und ohne Einschränkungen hinreisen? 

Viele Kunden versuchen sich momentan an Kurz- und Mittelstrecken. Die Kanaren werden kurzfristig gebucht, sowie sogar einige Fernziele rund um die Malediven und auch die Dominikanische Republik. 

Haben Ihre Kunden keine Angst, fernab von der Heimat zu erkranken? 

Diese Angst besteht natürlich, aber man kann die Kunden etwas beruhigen indem man einen Reiseveranstalter wählt, der einen sogenannten „Covid Protect Schutz“ anbietet. Sollten die Kunden vor Ort erkranken, dann kommt der Veranstalter für die Quarantäne Kosten auf und kümmert sich auch um den Rückflug nach Deutschland. 
Eine Auslandskrankenversicherung sollten die Kunden aber auf jeden Fall haben beziehungsweise abschließen. Sicher ist sicher!  Viele Kunden, gerade die Berufstätigen, die nicht im Home Office arbeiten können, haben natürlich Sorge,  nach ihrer Rückkehr an Covid erkrankt zu sein und dann nicht arbeiten gehen zu können. Einige Kunden haben berichtet, dass sie dem Arbeitgeber unterschreiben mussten, dass sie auf eigenes Risiko eine solche Reise antreten und sollte es zu einem Quarantäne Fall kommen, müssten sie unbezahlten Urlaub nehmen. Das Risiko möchten die meisten Arbeitnehmer natürlich nicht eingehen. Den Kunden, die sowieso im Home Office arbeiten, ist das Risiko egal. 

Auch Ihre Branche hängt am seidenen Faden. Wie schnell kamen oder kommen überhaupt die Überbrückungshilfen vom Staat bei Ihnen an? 

Die erste Überbrückungshilfe ließ sehr lange auf sich warten und fiel auch leider für uns nicht so aus, wie erwartet. Da wir mehrere Filialen haben, gelten wir als „verbundenes Unternehmen“ und haben nicht pro Büro eine Hilfe erhalten, sondern für das ganze Unternehmen. Da wir aber für den ersten Zeitraum (Überbrückungshilfe I) die meisten Verluste hatten, mussten wir schauen, wie wir damit klarkommen. Zum Glück konnten wir dann doch noch einige Buchungen generieren und uns selbst helfen. Die Überbrückungshilfe II wurde schnell ausgezahlt. Zwar auch wieder unter der Berücksichtigung des verbundenen Unternehmens, aber egal: Sie hat uns sehr geholfen. 

Fühlen Sie sich durch die hohen Auflagen, wie das Testen und der verordneten Quarantäne, von der Regierung in Ihrer Arbeit ausgebremst? 

Eigentlich nicht, aber es wäre wünschenswert, dass es eine klare „Absprache“ geben würde, an die sich die Kunden und wir halten könnten. Momentan kocht jedes Bundesland sein eigenes Süppchen, und das macht das Ganze sehr schwierig, und die Kunden sind sehr verunsichert. Ich finde, dass wir eine einheitliche Lösung für alle Bundesländer finden müssen. Obwohl wir – in NRW – uns ja nicht beschweren dürfen, denn unsere Auflagen nach Rückkehr sind sehr fair. Natürlich steht momentan eher die Beratung der Reisebestimmungen im Mittelpunkt, und die eigentlich Reiseberatung steht hinten an. 

Glauben Sie denn schon an ein Reisen innerhalb Deutschlands zu Ostern? Oder sogar an ein interkontinentales Reisen im Sommer? 

Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich mir eine Reiseerlaubnis innerhalb Deutschlands für Ostern nicht vorstellen. Ich denke, dass die Regierung entscheidet, dass dies noch nicht möglich sein wird. Ziele wie die USA, Kanada, Australien, Neuseeland oder Asien werden im Sommer bestimmt auch noch nicht bereisbar sein. Das liegt aber auch an den jeweiligen Regierungen vor Ort. Länder wie Afrika hingegen, haben jetzt schon wieder größtenteils die Grenzen auf und freuen sich auf Touristen.

Kristina Keller / privat 

Und obwohl man sich einer großen Gefahr aussetzt, wird trotzdem schon vermehrt gereist. Können Sie es als Reisebüro überhaupt verantworten, die Leute reisen zu lassen? 

Ja, das können wir! Allerdings beraten wir unsere Kunden ganz intensiv rund um die Einreisebestimmungen und Richtlinien vor Ort, sowie um die möglichen Einschränkungen in den Hotels, die eventuell zu erwarten sind. Stellen wir fest, dass die Kunden doch sehr beunruhigt wirken oder sich noch gar nicht hundertprozentig sicher sind, eine Reise durchzuführen, dann sind wir auch so ehrlich und sagen, dass sie die Planung doch nochmal überdenken sollten oder vielleicht einen anderen Reisemonat wählen sollten.

Also raten Sie Ihren Kunden sogar davon ab, eine weite Reise in der derzeitigen Lage anzutreten? 

Ich hatte auch schon vermehrt den Fall, dass Kunden reisen wollten, aber zu einem bestimmten Tag wieder unbedingt in Deutschland sein mussten, da ein wichtiger Businesstermin oder eine wichtige Abschlussprüfung bevorstand. Diesen Kunden habe ich dann ehrlicherweise von der Buchung abgeraten, denn sollte man zurückkommen und ein positives Testergebnis erhalten, wäre der Ärger groß. Dann lieber abwarten und den nächsten Urlaub – vielleicht unter besseren Konditionen – planen.    

Was sind Ihre persönlichen Erfahrungen? Sind bereits Kunden infiziert aus ihrem Urlaub zurückgekommen, oder sind sogar andere Probleme aufgetreten? 

Bis jetzt hatten wir keine solcher Probleme, dafür aber Kunden, die es vor Ort dann doch so schön fanden, dass sie noch verlängert haben. Oder Kunden, die nach der Rückkehr sofort die nächste Reise gebucht haben.

Wäre es eine Chance für Sie, wenn die Leute ihren Urlaub für das nächste Jahr bereits jetzt schon buchen?

Viele Kunden tun dies bereits, da sie definitiv wissen, dass sie in diesem Jahr noch nicht reisen wollen oder reisen werden. Natürlich sind wir über jede Buchung glücklich und natürlich auch für die Buchungen, die erst 2022 oder 2023 stattfinden. Jedoch wäre es schon beruhigender zu wissen, dass auch noch Umsatz für dieses Jahr generiert wird, denn kurzfristig sind die Überbrückungshilfen super, aber sollte die Pandemie das ganze Jahr weiter anhalten, wird es schwierig.  Da wir unsere Provisionen und unsere Marge erst mit Abreise der Kunden erhalten, benötigen wir auf jeden Fall noch viele Buchungen mit Abreisen in diesem Jahr. 

Wird die Pandemie ihre Spuren in der Reisebranche hinterlassen? Wie können diese konkret aussehen?  

Ja, das ist bereits jetzt schon spürbar. Einige Kollegen haben schon das Handtuch geworfen. Viele Kollegen haben sich verkleinert – so wie wir. Nach reiflicher Überlegung haben wir eine unserer sechs Filialen geschlossen und eine Filiale an die Büroleiter verkauft. Anfänglich habe ich dies in Frage gestellt, aber nun – nach acht weiteren Monaten – bin ich sehr froh, die Entscheidung im Sommer getroffen zu haben. 

Die Fragen stellte Sina Schiffer

Anzeige