Reichsbürger-Razzia - Die Gourmetrevolution – eine Farce aus Deutschland

Wir verfügen nur über wenige dürre Fakten zur Reichsbürger-Razzia, die uns wie Brosamen hingeworfen werden. Das neue deutsche Märchen vom ominösen Prinzen und seiner Gefolgschaft wirft viele Fragen auf.

Festnahme des Prinzen / dpa
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Autoreninfo

Gerhard Strate ist seit bald 40 Jahren als Rechtsanwalt tätig und gilt als einer der bekanntesten deutschen Strafverteidiger. Er vertrat unter anderem Monika Böttcher, resp. Monika Weimar und Gustel Mollath vor Gericht. Er publiziert in juristischen Fachmedien und ist seit 2007 Mitglied des Verfassungsrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer. Für sein wissenschaftliches und didaktisches Engagement wurde er 2003 von der Juristischen Fakultät der Universität Rostock mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet. Foto: picture alliance

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Das Thema ist ernst genug. Dennoch ist man versucht, sich auf eine Satire beschränken zu wollen. Der Verlockung folgend, hier zunächst die Satire: Es war einmal ein schöner Prinz namens Heinrich. Sein Haupt erglänzte hehr von lichten, grauen Locken. Den Rest hatte sein farbenblinder Gewandmeister besorgt. Denn der Prinz war bereits – wie sein Schneider auch – etwas in die Jahre gekommen. Und noch immer war die Zeit seiner Herrschaft nicht angebrochen. Das Leben war einfach über ihn hinweggefegt.

Längst bedurfte sein Land keiner Prinzen mehr: Seine große Ahnenreihe drohte mit ihm zusammen unaufhaltsam im Nebel der Geschichte zu entschwinden. Heinrichs Herz war schwer geworden. Manch sorgenvolles Weh und Ach hatten sich seinem gequälten Busen entrungen. Schließlich hieß er die Letzten seines Gefolges, sich zu versammeln – und sie gehorchten seinem Ruf. 

Aus allen Städten, Wäldern und Gauen strömten sie herbei. Sternekoch und Rechtsgelehrte, Soldat und Handwerker. Und auch sonst allerlei wackeres Volk, insgesamt 54 Untertanen an der Zahl. Umgehend machten die Recken und Gecken sich anheischig, des Prinzen künftiges Königreich (nebst 83 Millionen potenzieller Untertanen) für ihn zu erobern. Ob auch etliche Jecken mit von der Partie gewesen sein könnten, war bis Redaktionsschluss nicht zu ermitteln, Helau und Alaaf!

Im ehrwürdigen Ahnensaal

Auf des Reußen Schloss, im ehrwürdigen Ahnensaal, saßen sie zurate. Sie wurden sich schnell einig darob, dass es zur Umsetzung des Plans einer Tat von extraordinärer Kühnheit bedürfte. Mit großartiger Geste verwies der Prinz auf die Waffen seiner Ahnen. Sauber aufgereiht und leidlich angestaubt hingen sie an der Wand. Hatten Armbrust, Schwert und Vorderlader nicht manch freisliche Schlacht geschlagen? Hatten sie die Herrschaft seines Geschlechts nicht über Jahrhunderte gesichert? 

Mit zitternder Hand hob Heinrich ein Schwert von der Wand und zog es aus der Scheide. Ein wenig Rost rieselte auf das weiße Tischtuch. Der Prinz ließ sich davon nicht irritieren. Hatte sein kühner Ahnherr nicht eben gerade erst, Anno Domini 1564, des verhassten Vetters schütteren Bart mit genau dieser glänzenden Wehr überaus schwungvoll gekrault? Hatte der Held nicht auch ihm, Heinrich, damit die Vorherrschaft seiner Linie gesichert? Sollte er gar durch die Vorsehung bestimmt sein, dem ehrwürdigen Reußenblut neues Leben einzuhauchen?

Die Durchführung des Putschs

Da der Prinz, wie eingangs erwähnt, tatsächlich schon viele Lenze zählte, begann er seine Überlegungen mit der für ihn drängendsten Frage: „Das ganze Reich zu erobern wird kein Gaudium, auch nicht für ein Schlachtross wie mich“, verkündete er und statuierte: „Ohne ein nahrhaft‘ Mahl ist der Sieg nicht zu erringen!“. 

Schnell kam man zu dem Einvernehmen, dass der Sternekoch den alten Schmecklecker und sein tapferes Heer während der Schlacht jeden Tag mit leichter asiatischer Küche – diabetikertauglich und überaus köstlich – erquicken würde. Selbstredend sollte dabei auch manch guter Tropfen nicht fehlen. Zum Dank für diese Dienste würde der Mitstreiter dereinst mit dem Posten des Reichskantinenoberwirts belehnt und mit Stern und Mascherl dekoriert werden. 

„Als Rechtsgelehrte gebe ich zu bedenken, dass wir bei Durchführung des Putschs mit einer mindestens sechsstelligen Zahl von Kriegsgefangenen zu rechnen hätten, für welche die Vorschriften der Genfer Konvention anzuwenden wären, weshalb ihre Versorgung deshalb gewisser logistischer Vorbereitungen bedarf!“, meldete sich Richterin Malsack-Winkemann zu Wort. Kein Wunder: Als künftige Justizministerin des Reichs hatte sie das gedeihliche Einvernehmen mit dem Rest der Welt gefällig im Blick zu behalten. 

„Frau Malsack-Winkemann, mit Ihnen teilt meine Ente das Wasser nicht!“ Mit dieser Anspielung auf den wohl größten deutschen Humoristen – und auf seine eigene Pekingente – hoffte der Sternekoch, den Einwand der Juristin abzuwenden. Denn wie sollte er auch eine sechsstellige Zahl von Menschen jeden Tag alleine und eigenhändig auf höchstem Niveau verköstigen? Schließlich hatte er einen Ruf als Gourmetkoch zu verlieren!    

Die Revolution muss vorerst ausfallen

Der alte Oberst hatte lange geschwiegen. Nun räusperte sich der Soldat und hub an: „Wir dürfen keine Gefangenen machen. Polizei und Heer haben sich freiwillig zu ergeben und dem Deutschen Reich zu unterstellen. Das werden sie auch tun. Denn wir werden ihnen die Konsequenzen einer Zuwiderhandlung klarmachen und knallharte Exempel statuieren!“

Mit bedeutsamem Blick klopfte der Oberst auf die alte Dienstpistole zu seiner Rechten und fügte hinzu: „Hierdurch gewinnen wir schlagartig eine Streitmacht von mehr als 500.000 Kräften [aktuell: 333.600 Polizisten , 182.505 Soldaten ;) = 516.105]. Diese sind dann sofort zu vereidigen. Sie werden fürderhin im Dienst des Reiches stehen. Ihre Krönung zum König der Deutschen, mein Prinz, ist dann nur noch eine Frage weniger Stunden!“ 

Der Oberst hatte sich in Rage geredet. Er wischte sich die Speichelfäden vom Mund und verneigte sich kurz und ehrerbietig. Mit glänzenden Augen blickte Heinrich auf seinen alten Vorderlader und nickte glücklich. Zu gleicher Zeit traten dem Sternekoch bei der groben Berechnung der benötigten Rationen die Schweißperlen auf die Stirn. Er wurde blass und verkündete entschlossen: „Die Revolution muss vorerst ausfallen. Denn so viele Sojasprossen kann ich unmöglich alleine ziehen!“ – Und so bestimmte der Rat abschließend, dass wenigstens zwei Küchenhelfer dem lästigen Bedenkenträger bei der Verpflegung aller Beteiligten zu Diensten stehen sollten.

***

Die Verhaftung des Prinzen 

Ob die Planungen des vermeintlichen Staatsstreichs so oder ähnlich abgelaufen sind, wissen wir nicht. Denn wir verfügen nur über wenige dürre Fakten, die uns wie Brosamen hingeworfen werden. Wir müssen deshalb auf die Stilmittel der Gebrüder Grimm, Heinrich Heines und Loriots zurückgreifen, um das neue deutsche Märchen zu erzählen. 

Dass es sich um die „größte Durchsuchungsaktion der bundesdeutschen Geschichte“ gehandelt habe, hielt man für erwähnenswert. Ebenso die Tatsache, dass 3.000 Journalisten, sekundiert von Spezialkräften der Polizei, daran beteiligt gewesen wären. Oder war es umgekehrt? – Wer die Fotos der Verhaftung des ominösen Prinzen betrachtet, kommt diesbezüglich tatsächlich in Verwirrung: Neben dem schon seit Tagen avisierten Objekt der Begierde scheinen die Fotografen sich vor allem gegenseitig ins Visier genommen zu haben. Kann es eine fragwürdigere Inszenierung geben als diese kameratauglich arrangierte Verhaftung einer angeblich hochgefährlichen Gruppe?

Abgrund einer terroristischen Bedrohung

Auch die bisher vermeldeten Waffenfunde nehmen sich diesbezüglich eher zweifelhaft aus. Während Innenministerin Faeser verkündet, die Ermittlungen ließen „in den Abgrund einer terroristischen Bedrohung aus dem Reichsbürgermilieu blicken“, wurde BKA-Präsident Münch konkreter: Es seien in immerhin 50 Objekten „auch Waffen gefunden worden, von der Armbrust und Steinschleuder bis zu Pistolen und Langwaffen sowie Munition.“ 

Was das genau bedeutet, bleibt nebulös. Haben die Sicherheitsbehörden etwa Wilhelm Tell und König David verhaftet sowie den Ahnensaal von Prinz Heinrich XIII. Reuß geplündert? Zählt eventuell sogar jeder alte Vorderlader in dieser Hinsicht zur Gattung der Langwaffen? – Wir wissen es nicht. Alles, was wir wissen, ist, dass für 23 der 25 Verhafteten inzwischen Untersuchungshaft angeordnet wurde und – so eine Meldung vom 09.12.2022 um 13:10 Uhr –, dass den Obleuten des Innenausschusses des Bundestags der Fund von „zwei Langwaffen, einer Kurzwaffe sowie Schwertern und Armbrüsten, Schreckschuss- und Signalschusswaffen“ mitgeteilt worden sein soll. 

Und das leitet über zu dem bedenklichsten Punkt der Sache, an dem auch der satirische Rahmen zu verlassen ist: Das Bundeskriminalamt und ebenso die Bundesanwaltschaft sind Behörden, die in der Regel seriös, effektiv und rechtsstaatlich handeln. Sicherlich sind auch sie atmosphärisch gelegentlich eingebettet in politische Stimmungslagen. Dennoch muss zunächst davon ausgegangen werden, dass die erlassenen und von den Ermittlungsrichtern des Bundesgerichtshofs bekräftigten Haftbefehle einen plausiblen Hintergrund haben. 
 

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Auch ist von Rechts wegen anzunehmen, dass der behauptete Verdacht einer Unterstützung bzw. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sich auf Tatsachen gründet. Umso erstaunlicher ist es, dass der Generalbundesanwalt in seiner öffentlichen Stellungnahme vom 07.12.2022 zu der Faktenlage, auf die sich die Haftbefehle stützen, nichts ausführt. 

Am 09.12.2022 wird durch den Generalbundesanwalt noch eine weitere Pressemitteilung publiziert, in der er zwar darüber berichtet, die Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hätten am 07.12. und am 08.12.2022 nach Vorführung der festgenommenen Beschuldigten 23 Haftbefehle in Vollzug gesetzt, gegen zwei weitere Beschuldigte sei durch den Ermittlungsrichter ein Haftbefehl erlassen, auf deren Grundlage die Bundesanwaltschaft Auslieferungsersuchen stellen werde. 

Ein Schutz vor Verdunkelung

Aber auch nach der Verkündung der Haftbefehle wird durch den Generalbundesanwalt zu den Tatsachen, die die Haftbefehle stützen, nichts berichtet. Ein Schutz vor Verdunkelung dürfte kaum Motiv für diese Geheimhaltung sein. Denn gemäß § 114 Absatz 2 Nummer 4 der Strafprozessordnung sind in dem Haftbefehl die Tatsachen, aus denen sich der Tatverdacht ergibt, anzuführen. Dieser Haftbefehl ist jedem Beschuldigten und – so zugegen – jedem Verteidiger auszuhändigen. Diese Fakten stehen nach Verkündung des Haftbefehls nicht mehr unter Geheimschutz.

Weshalb ist in den Veröffentlichungen des Generalbundesanwalts hierzu nichts zu lesen? Waren es Observationen, waren es abgehörte Telefongespräche oder überwachte digitale Nachrichten, waren es Zeugen oder gar V-Leute oder verdeckte Fahnder, die zu der Einschätzung, es handele sich um eine terroristische Vereinigung, beitrugen? V-Leute der Ämter für Verfassungsschutz waren es, die maßgeblich wegen ihrer augenscheinlichen Verstrickung 2003 zum Scheitern des NPD-Verbotsverfahrens beim Bundesverfassungsgericht beitrugen. Sollten sie hier auch wieder eine Rolle spielen?

Sturmgeschütz der Demokratie

Das sind naheliegende Fragen, die von den Ermittlungsbehörden bislang nicht beantwortet wurden. Stattdessen werden von Informanten der Sicherheitsbehörden gezielt genehme Journalisten angesprochen und – zum Teil unter Nennung von Privatadressen der Beschuldigten – dazu animiert, den Verhaftungsaktionen beizuwohnen. 

Das rudelmäßige Auflaufen von Fotojournalisten bei der Festnahme den Prinzen Heinrich XIII. Preuß ist anders nicht zu erklären. Teilweise auch scheinen schon vor Wochen gezielt bestimmte Journalisten mit dem Inhalt der Ermittlungen bekannt gemacht worden sein. Die neueste Titelgeschichte des Spiegel, in der zahlreiche biographische Details der Hauptbeschuldigten ausgebreitet werden, liest sich wie das „wesentliche Ergebnis der Ermittlungen“ für die noch gar nicht gefertigte Anklageschrift des Generalbundesanwalts.

Dass der aktuelle Chefredakteur des Spiegel diese Titelgeschichte in einem Brief an die Leser auch noch zum Anlass nimmt, daran zu erinnern, dass sein Nachrichtenmagazin als „Sturmgeschütz der Demokratie“ gelte, ist historisch nicht frei von Ironie. 1962, als dieses Bonmot entstand, widmeten sich die Redakteure des Spiegel noch nicht der Unterstützung der Bundesanwaltschaft. Rudolf Augstein, Conrad Ahlers sowie seine damaligen Chefredakteure Claus Jacobi und Johannes K. Engel kamen in Untersuchungshaft auf Betreiben der Bundesanwaltschaft.

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