Regierungserklärung von Olaf Scholz - Mehr Bierzelt wagen

Bundestagsdebatten neigen in Krisenzeiten dazu, in den Duktus der Sonntagsrede zu verfallen. Das tut der politischen Kultur in Deutschland nicht gut. Im Parlament braucht es nicht den Austausch von Selbstverständlichkeiten, sondern den Streit und auch die Zuspitzung. Das kann Friedrich Merz besser als Bundeskanzler Olaf Scholz, was sich auch in der heutigen Bundestagsdebatte zeigte.

„Frieden, Freiheit und, äh - Recht“: Olaf Scholz während seiner heutigen Regierungserklärung / dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge hat heute im Bundestag dem Unions-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz vorgeworfen, seine Beiträge in der Generaldebatte immer „wie Bierzeltreden zu beginnen“. Dies sei unpassend und fehl am Platz angesichts des Krieges in der Ukraine und der bedrohlichen Lage in Europa. Im konkreten Schlagabtausch im Parlament mag das ja sogar ein guter Konter gewesen sein, inhaltlich aber zeigt es ein geradezu sediertes Verständnis von politischer und auch parlamentarischer Debatte.

Dies liefe darauf hinaus, dass in Krisenzeiten mit ansteigender Dramatik die politische Rhetorik sich gegenläufig in der Form abschwächen müsste. Das Gegenteil aber muss in der Demokratie der Fall sein, es muss auch in großer Not engagiert debattiert und gerungen werden, selbstverständlich mit Respekt und Anstand, aber dazu bedarf es keineswegs nur der Redeweise der Sonntagsrede oder wahlweise des Duktus der Grabrede oder der Moralpredigt.

Anlass für die heutige Bundestagsdebatte war die Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz zum bevorstehenden Europäischen Rat der Regierungschefs. Es ist seit einigen Jahren guter Brauch, dass der Regierungschef nicht nur im Nachhinein das Parlament über die Ergebnisse unterrichtet, sondern im Vorhinein seine Pläne und Vorhaben darlegt. Dies tat Scholz heute inhaltlich wenig überraschend und auch rhetorisch in Rahmen seiner Fähigkeiten. Die sind ihm im Grundsatz nicht vorzuwerfen, er ähnelt da tatsächlich im Stil seiner Vorgängerin. Wenn aber zur Demokratie die politische Rede eben auch als Teil des politischen Handelns begriffen werden muss, dann ist auch eine formale Kritik geboten.

Gute Reden gehörten zu einer funktionierenden Demokratie

Der Versuch des Bundeskanzlers etwa, der dramatischen Lage und der Größe der Herausforderungen mit einer gewissen Pathetik Ausdruck zu verleihen, gelang ihm doch nur mittelmäßig bis gar nicht. Bis hin zu dem fast loriothaften Missgeschick am Ende seiner Ansprache, als er mit großem Gestus schließen wollte. Die Herausforderungen würden wir meistern, weil wir wüssten, was es zu verteidigen gelte, erklärte Scholz. Dann – als Schlusspunkt – wollte er aufzählen, was denn die drei Kernwerte seien, die es hochzuhalten gelte: „Frieden, Freiheit“, sagte er, um dann für den dritten Begriff ins Manuskript zu schauen, kurz zu zögern, und dann den Begriff „Recht“ nachzuliefern. Natürlich ist das nicht wirklich schlimm, daran entscheidet sich auch nicht, ob das Land gut regiert wird. Aber dennoch, gute Reden gehörten zu einer funktionierenden Demokratie – genauso wie schlechte. Und es ist durchaus angebracht, die eine von der anderen zu unterscheiden.

Vielleicht hatte Angela Merkel das Glück, dass sie in den 16 Jahren ihrer Regentschaft nur wenige rhetorisch großkalibrige Gegenspieler auf der anderen Seite hatte, die ihre rednerische Sparsamkeit mit entsprechender Opulenz hätten demaskieren können. Christian Lindner war vielleicht am ehesten ihr Counterpart am Pult. Mit Friedrich Merz betritt hingegen ein alter Hase wieder das Parlamentsrund, der sozusagen – auch was die Gepflogenheiten des Hohen Hauses angeht – aus einer anderen Zeit kommt. Zumindest hätten Herbert Wehner (SPD) und Franz-Josef Strauß (CSU), die aus noch ferneren Zeiten stammen, die Zaghaftigkeit heutiger Debatten nicht verstanden.

Ein rhetorischer Trick, mit dem Merz punktete

Friedrich Merz setzte an den Anfang seiner Rede ein Olaf-Scholz-Zitat: „Ich werde mich nicht einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin was machen“, das hatte der Kanzler bei RTL mit Blick auf eine mögliche Ukraine-Reise gesagt. Merz fragte nun rhetorisch, wen Scholz denn gemeint habe, etwa den UNO-Generalsekretär oder die deutsche Außenministerin. Mit dieser Volte sorgte er natürlich für mächtige Aufregung in den Regierungsfraktionen.

Es war ein rhetorischer Trick, mit dem Merz punktete, das ist es, was die Grünen-Fraktionschefin als Bierzelt-Rhetorik abkanzelt. Aber warum nur? Wenn solche Zuspitzungen bei Parlamentsreden fehlen, dann verlagert sich die eigentliche politische Debatte nur noch weiter in Talkshows und Interviews. Das kann doch auch nicht das Anliegen von Katharina Dröge sein.

In der Bundestagsdebatte wurden gestern wieder einmal zu viele Selbstverständlichkeiten verkündet und zu wenig substanziell diskutiert. Natürlich darf sich die Auseinandersetzung nicht auf ein Kräftemessen der rhetorischen Mittel reduzieren. Aber die Friedens-und Solidaritätsbekundungen machen eben noch keine Debatte, Betroffenheit und Beistandsfloskeln noch keinen Diskurs. Deswegen muss der Bundestag sich noch nicht zum Bierzelt wandeln, aber mehr ehrliche Auseinandersetzung und pointierte Kontroverse – und leidenschaftlicher Austausch von Ideen und Konzepten – gehören in die Herzkammer der Demokratie. Dazu leistet Friedrich Merz immerhin einen Beitrag.

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