Rechtsextremismus in der Polizei - „Noch ist nichts bewiesen“

In Hessen ermittelt das LKA wegen Volksverhetzung gegen ein Netzwerk von Polizisten. Es besteht der Verdacht, dass sie unter dem Namen NSU.2.0 eine Morddrohung an die Anwältin eines NSU-Opfers verschickt haben. Die politische Einstellung von Polizisten sollte bundesweit untersucht werden, fordert der hessische Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Dirk Peglow.

"Eine besondere Empfänglichkeit für Rechtsextremismus schließe ich aus“, sagt Dirk Peglow (BdK) / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Dirk Peglow ist Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK) in Hessen und stellvertretender Bundesvorsitzender des BDK.

Herr Peglow, in Frankfurt am Main sind sechs Polizisten, gegen die wegen Volksverhetzung ermittelt wird, vom Dienst suspendiert worden. Auslöser war ein anonymer Drohbrief an die Anwältin eines NSU-Opfers, der mit NSU 2.0 unterzeichnet worden war. Belegt das, was viele schon lange befürchtet haben – dass der NSU a) immer noch aktiv ist und dass er b) mit den Sicherheitsbehörden vernetzt ist?
Noch ist nicht bewiesen, dass dieser Drohbrief aus dem Kreis dieser Beamtinnen und Beamten formuliert wurde. Es wurde lediglich erhoben, dass in dem Drohbrief Angaben zu der betreffenden Rechtsanwältin enthalten waren, die über einen Arbeitsplatz beim 1. Polizeirevier in Frankfurt am Main abgefragt wurden. Daraufhin wurde ein Ermittlungsverfahren gegen eine Polizeibeamtin dieses Reviers eingeleitet – und Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt. Im Rahmen dieser Durchsuchungsmaßnahmen stießen die Ermittler auf eine Chatgruppe, in der strafrechtlich relevante Nachrichten ausgetauscht wurden. Der Drohbrief belegt zum jetzigen Zeitpunkt, dass zumindest ein unbekannter Täter furchtbare Drohungen gegen die Rechtsanwältin formuliert und diese mit „NSU 2.0“ unterschrieben hat.

Ist das nur ein Trick, um Angst zu verbreiten?
Möglicherweise. Ich halte es derzeit auf jeden Fall für unseriös, davon zu sprechen, dass eine Gruppierung wie der „NSU“ noch oder wieder aktiv ist. Demzufolge ist die Annahme einer Vernetzung in Kreisen der Sicherheitsbehörden aus meiner Sicht auch nicht zulässig. Aber diese Fragen untersucht jetzt eine beim LKA Hessen eingerichtete 20-köpfige Arbeitsgruppe. 

Im hessischen Kassel fand 2006 einer der spektakulärsten NSU-Morde statt. In einem Internetcafé wurde ein Mann in Anwesenheit eines Verfassungsschutzbeamten erschossen. Der Beamte aber will von dem Verbrechen nichts gesehen oder gehört haben. Erklärt dieser braune Fleck auf der Weste der Sicherheitsbehörden auch, warum die LKA jetzt mit einer stattlichen Ermittlergruppe in die Offensive geht? 
Die Einrichtung dieser Arbeitsgruppe beim LKA hat mit einem wie auch immer gearteten Fleck nichts zu tun. Sie ist hauptsächlich die polizeiliche Reaktion darauf, dass die Ermittlungen mittlerweile überörtlich zu führen sind, da der Kreis der Beschuldigten inzwischen über das Polizeipräsidium Frankfurt hinaus ausgeweitet wurde – was nicht heißt, dass die neue Fällen in Verbindung zu dem Sachverhalt in Frankfurt stehen.

Dirk Peglow

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) gerät wegen der Enthüllungen um den NSU 2.0-Fall zunehmend unter Druck. Die Opposition wirft ihm vor, er habe dem Innenausschuss wegen der Landtagswahl bewusst Informationen vorenthalten. Tatsächlich datiert der Durchsuchungsbeschluss für die Dienststelle in Frankfurt vom 4. September. Durchsucht wurden die Räume aber erst Ende Oktober.
Inwieweit Innenminister Beuth unter Druck gerät, sollten wir abwarten. Der hessische Landtag wird im Januar zu seiner konstituierenden Sitzung zusammenkommen und die Abgeordneten werden alle Möglichkeiten haben, das Handeln von Herrn Beuth in dieser Sache zu hinterfragen. Ich muss Sie aber korrigieren: Der erste Durchsuchungsbeschluss wurde nach einer Woche vollstreckt, am 11. September. Dieses Verfahren richtete sich aber ausschließlich gegen die Beamtin, mit deren Zugangscode die Daten der bedrohten Rechtsanwältin abgefragt wurden. Nach der Auswertung der Chatprotokolle wurden weitere Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte des 1. Reviers eingeleitet, in denen wiederum Durchsuchungsbeschlüsse ergingen. Diese wurden am 25. Oktober vollstreckt .

Ermittelt wird jetzt auch noch gegen Polizeibeamte in anderen hessischen Gemeinden. Sind das alles Einzelfälle, oder gibt es Hinweise darauf, dass es sich um ein Netzwerk handeln könnte?
Nach meinem Kenntnisstand gibt es keine Verbindungen zwischen den weiteren Ermittlungsverfahren und den beanstandeten Chats im 1. Revier. Der Begriff Netzwerk ist in keinem Fall angebracht.

Zwei der suspendierten Polizisten wurden Verbindungen zu den Reichsbürgern nachgesagt. Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an. Wie passt das zusammen?
Das passt gar nicht zusammen. Die Tätigkeit als Polizeibeamter oder Polizeibeamtin lässt sich in keinem Fall mit einer Gesinnung in Richtung Reichsbürger vereinbaren.

Was macht die Reichsbürger so gefährlich?
Neben der Tatsache, dass sie die Existenz der Bundesrepublik und das bestehende Rechtssystem einschließlich seiner Organe ablehnen, ist es die Feststellung, dass mehr als 900 Personen, die diesem Milieu zuzurechnen sind, über waffenrechtliche Erlaubnisse verfügen. Dass mit dem Gebrauch dieser Waffen zu rechnen ist, mussten wir sehr schmerzhaft 2016 bei einem Einsatz in Bayern erfahren, bei dem ein Kollege von einem Reichsbürger erschossen wurde.

Die taz hat gerade ein Netzwerk von Soldaten, Polizisten und  Mitarbeitern des Verfassungsschutzes enttarnt, das Morde an linken Politikern und einen bewaffneten Umsturz geplant haben soll. Müssen wir eine Unterwanderung des Rechtsstaates fürchten?
Das halte ich für übertrieben. Wir sollten uns aber die Frage stellen, ob unsere Sicherheitsarchitektur vor dem Hintergrund dieser und anderer Bedrohungsszenarien noch ausreichend wehrfähig ist. Nicht nur der Aufbau der deutschen Sicherheitsbehörden, auch die gesetzlichen Grundlagen im Bereich der Polizeigesetze sind von einer Heterogenität geprägt, die bei länderübergreifenden polizeilichen Maßnahmen eher hinderlich sind.

Können Sie ein Beispiel geben?
Bestimmte polizeirechtliche Maßnahmen wie zum Beispiel die Telekommunikationsüberwachung sind nicht in allen Polizeigesetzen der Länder geregelt. Der Bund Deutscher Kriminalbeamten (BdK) fordert aus diesem Grund, neben einer Harmonisierung des Aufbaus der Kriminalpolizei in den Ländern schon lange ein Musterpolizeigesetze, in dem wesentliche Eingriffsbefugnisse für alle Bundesländer gleich geregelt sind. Nur so können länderübergreifende polizeiliche Maßnahmen wie zum Beispiel die Verfolgung extremistischer Gruppierungen erfolgreich durchgeführt werden.  

Sind Polizisten besonders empfänglich für Rechtsextremismus?
Ich würde sagen, dass sich ein großer Teil meiner Kolleginnen und Kollegen eher mit konservativen Haltungen identifiziert. Entsprechende Untersuchungen gehen zumindest in diese Richtung. Eine besondere Empfänglichkeit für Rechtsextremismus möchte ich jedoch ausschließen. Jedenfalls habe ich in fast 30 Berufsjahren als Polizeibeamter noch keine Situation erlebt, bei der ich von einer rechtsextremen Einstellung einer Kollegin oder eines Kollegen Kenntnis genommen oder von einer solchen berichtet bekommen habe. In Hessen haben wir rund 14.000 Polizeibeamtinnen und -beamte. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie sich für die freiheitlich demokratische Grundordnung einsetzen.

Woher kommt dann das Vorurteil, Polizisten seien auf dem rechten Auge blind?
Sie sagen es, es ist ein Vorurteil. Ähnlich wie bei der unterstellten Empfänglichkeit für rechtsextreme Tendenzen können wir leider nicht auf aktuelle Untersuchungen zurückgreifen, die solche Aussagen be- oder widerlegen. Meines Wissens reichen die letzten Forschungen zur politischen Einstellung von Polizisten in die 90er Jahre zurück. Die Frage müsste also lauten: Wieso werden solche Untersuchungen nicht aktualisiert?

Verändert es das Weltbild, wenn man durch den Beruf immer nur mit den Schattenseiten des Lebens konfrontiert wird?
Es kann zumindest bei jungen Menschen dazu führen, dass ihre Wahrnehmung durch ihre dienstlichen Erfahrungen beeinflusst wird. Der Dienst auf einem Schwerpunktrevier, wie zum Beispiel dem 1. Revier in Frankfurt ist sowohl von einer enormen Einsatzdichte als auch von mehreren Kriminalitätsschwerpunkten geprägt. Die Kollegen haben in einer sehr geballten Form mit einer sogenannten „Problemklientel“ zu tun. Die Frequenz der Einsätze, in denen es zu körperlichen Auseinandersetzungen kommt, ist enorm hoch.

Inwieweit werden die Beamten auch selber Gewalt ausgesetzt?
Das Aggressionspotential gegenüber Einsatzkräften nimmt seit Jahren zu. Oft haben es die Beamten mit Menschen mit Migrationshintergrund zu tun. Viele Kollegen nehmen aufgrund der hohen Mietpreise in Frankfurt längere Anfahrtszeiten zum Dienst in Kauf. Sie kennen die Stadt Frankfurt nur vom dienstlichen Kontext, der häufig eben problembelastet ist. Sie erleben immer wieder, dass sie bestimmte Personen mehrfach hintereinander wegen verschiedener Delikte festnehmen. Am nächsten Tag begegnen sie ihnen wieder und werden ausgelacht.

Aber solche Erfahrungen rechtfertigen doch keine Morddrohung.
Nein, es rechtfertigt auch nicht, dass sich Polizisten volksverhetzend in einer Chat-Gruppe über solche Leute äußern. Die Polizei sollte aber darüber nachdenken, wie man solche Kollegen begleitet und wie man unmittelbare Vorgesetzten für „extremistische Grundhaltungen“ sensibiliert.

Der geschasste Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, hatte im September in Chemnitz, wenn auch indirekt, mit rechten Demonstranten sympathisiert. Hat er damit nicht den Mitarbeitern in Sicherheitsbehörden einen Freibrief erteilt, sich ebenfalls rechts zu positionieren?
Soweit ich mich erinnere, hat Herr Maaßen nicht seine grundsätzliche Sympathie für rechte Demonstranten, sondern seine Skepsis bezüglich „rechtsextremistischer Hetzjagden“ zum Ausdruck gebracht, indem er unter anderem die Authentizität eines veröffentlichten Videos bezweifelte. Die Beschäftigten der Sicherheitsbehörden benötigen keine „Freibriefe“ der jeweiligen Behördenleitungen. Sie unterliegen grundsätzlich dem sogenannten Mäßigungsgebot des Beamtenrechts  – das heißt, sie sind beruflich zur  Neutralität verpflichtet. Das heißt jedoch nicht, dass Beamte sich nicht politisch betätigen und eine Funktion im Vorstand der AfD oder der Partei Die Linke wahrnehmen dürfen.

Aber in ihrer Freizeit dürfen Sie demonstrieren, mit wem Sie wollen – auch mit Gruppen, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden?
Das Demonstrationsrecht unterliegt aus gutem Grund keiner Einschränkung. Natürlich dürfen Beamte in ihrer Freizeit demonstrieren. Die Öffentlichkeit kann doch kein Interesse daran haben, eine unkritische Beamtenschaft zu etablieren. Die politische Betätigung hat aber dort ihre Grenzen, wo man sich Gruppen oder Demonstrationen anschließt, die den Staat und seine Ordnung ablehnen, angreifen oder die Demonstration nutzen, um aus ihr heraus Straftaten zu begehen. 

Aber wenn der Verfassungsschutzpräsident sich öffentlich positioniert, dann könnte er doch zumindest jene Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden ermutigen, die seine Einstellung teilen. 
Das kann natürlich sein. Herr Maaßen war zudem als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz befugt, Pressearbeit für seine Behörde zu machen. Meiner Wahrnehmung nach war sein größerer Fehler, dass er für die von ihm getätigte Aussage, dass das veröffentlichte Video nicht „authentisch“ sei, keine Belege hatte. Er hat sich zu weit aus dem Fenster gelehnt – mit allen Folgen des öffentlichen Zurückruderns. Die Konsequenz dessen war, dass man ihm in der Folge unterstellte, das rechte Milieu zu unterstützen und diese Diskussion dann in Teilen dazu führte, dass die Arbeit der Verfassungsschutzämter grundsätzlich infrage gestellt wurde. Diese Konsequenz halte ich eher für bedenklich.

Was kann die Polizei jetzt gegen rechtsextreme Umtriebe in Sicherheitsbehörden tun?
Nochmal: Wir sollten diese unterstellten „rechtsextremen Umtriebe“ erst mal erforschen. Das heißt, wir brauchen eine neu aufgelegte empirische Untersuchung, die rechte Meinungsbilder und deren Ursachen innerhalb der Polizei erhebt. Es wundert mich schon, dass entsprechende Forderungen weder seitens der politischen noch der polizeilichen Führung artikuliert wurden.

Wie sieht es aus mit dem Nachwuchs: Wird der vor der Einstellung auf seine Verfassungstreue getestet – und wenn ja, wie?
Grundsätzlich können Sie jedem Bewerber und jeder Bewerberin leider nur vor den Kopf gucken. Einstellungen und politische Meinungen können allenfalls im Rahmen durchgeführter Einzel- und Gruppengespräche ergründet werden. Neben der standardisierten Abfrage der vorliegenden polizeilichen Erkenntnisse der Bewerberinnen und Bewerber werden solche „Befragungen“ in Hessen seit geraumer Zeit durchgeführt. In Hessen haben wir seit geraumer Zeit die Möglichkeit, Daten über Bewerber auch in den nachrichtendienstlichen Informationssystemen abzufragen. Ich halte das für einen wichtigen Schritt, der bundesweit möglich sein sollte.

Die Opposition in Hessen fordert, es müsse nach dem Vorbild des Wehrbeauftragten bei der Bundeswehr Polizeibeauftragte geben, die Hinweise auf rechte Tendenzen entgegennehmen. Eignet sich das als Frühwarnsystem?
Die hessische Landesregierung hat zwischenzeitlich den gerade verhandelten Koalitionsvertrag vorgelegt, der die Einrichtung einer Ombudsstelle beim Hessischen Landtag vorsieht. Ihre Aufgabe wird es sein, Beschwerden von Bürgern und Angehörigen der Sicherheitsbehörden entgegenzunehmen. Als Frühwarnsystem eignet sich eine solche Stelle allerdings nur dann, wenn sie auch eine Nadelöhrfunktion hat.

Was meinen Sie damit?
Es muss gewährleistet sein, dass diese Stelle alle Beschwerden zentral erfasst, um gleich gelagerte Entwicklungen überhaupt zu bemerken. Solange die unterschiedlichen Beschwerdesachverhalte bei unterschiedlichen Stellen wie bei Polizei und Staatsanwaltschaften ankommen, können Zusammenhänge nicht erkannt werden.

Steht sich die Bürokratie selber im Weg? 
Die besten Frühwarnsysteme sind entsprechend geschulte Vorgesetzte, die sich nicht scheuen, Probleme offen anzusprechen und dafür auch von der übergeordneten  Führungsebene geschätzt werden. Weiterhin halte ich auch die Einstellung von Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund für sehr wichtig, da sie aus meiner Sicht allein durch ihre Anwesenheit dazu beitragen, bestimmte Formen der innerbetrieblichen Gesprächskultur zu unterbinden. Diese Kollegen müssen allerdings auch durch die jeweiligen Vorgesetzten gestärkt werden, um sich bei anfallenden Problemen bemerkbar zu machen.

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