Abhängig von Putin - Deutschlands Energiepolitik ist gescheitert

Mit Putins kriegerischem Überfall auf die Ukraine wird deutlich, wie abhängig Deutschland von Brennstoffimporten aus Russland ist. Die falsch angegangene Energiewende hat das Problem noch vergrößert und die Bundesrepublik verwundbar gemacht. Mehr Windkraftanlagen, wie von der Bundesregierung forciert, werden daran nichts ändern.

Deutschlandzentrale des russischen Energieunternehmens Gazprom in Berlin / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

So erreichen Sie Daniel Gräber:

Anzeige

Schon bevor Putins Soldaten in die Ukraine einmarschiert sind – ein friedliches Nachbarland, dessen einziges Verbrechen darin bestand, stärker an westlicher Freiheit als an russischem Größenwahn interessiert zu sein –, befand sich die deutsche Energiepolitik in einer schwierigen, ja fast aussichtslosen Lage. Niemandem, nicht mal dem neuen Supertransformationsminister Robert Habeck, ist klar, wie das Kunststück gelingen soll, den fast vollendeten Atomausstieg durch einen rasanten Kohleausstieg zu ergänzen und gleichzeitig Elektroautos, Elektroheizungen (Wärmepumpen) und Elektrohochöfen zum Durchbruch zu verhelfen.

Die Menge an Strom, die dafür gebraucht wird, lässt sich niemals allein mit Windkraft- und Solaranlagen in Deutschland erzeugen. Selbst wenn es Habeck gelingen sollte, seine überaus ehrgeizigen Ausbauziele gegen störrische Anwohner und widerspenstige Landesregierungen durchzusetzen, wird die Bundesrepublik nicht ohne Energieimporte auskommen. Zumindest nicht, wenn die heimische Wirtschaft im Land bleiben soll.

Autarkie-Idee ist Urfehler der Energiewende

Darauf hat der Wasserstoffforscher Robert Schlögl in einem Cicero-Interview noch einmal klar und deutlich hingewiesen. „Wir importieren heute 80 Prozent unserer Energie aus dem Ausland. Wenn wir ein florierender Industriestandort bleiben, werden wir das auch in Zukunft tun“, sagte er. „Das größte ideologische Hindernis in Deutschland ist die falsche Vorstellung, wir könnten ein autarkes Energiesystem schaffen. Das ist blanker Unsinn und einer der Urfehler der deutschen Energiewende.“

Schlögl kommt zu diesem Schluss, weil er, anders als viele Verfechter der Energiewende-Ideologie das Gesamtsystem betrachtet. Elektrische Energie mache derzeit gerade einmal ein Viertel des deutschen Energiebedarfs aus. „Ein weiteres Viertel ist mechanische Energie, die wir für den Transport nutzen. Aber den mit Abstand größten Teil unseres Energiesystems macht Wärme aus. Wir brauchen sie, um Gebäude zu beheizen und für Produktionsprozesse in der Industrie.“

Sind wir bereit, für die Freiheit zu frieren?

Und damit sind wir beim Thema Russland und Ukraine. Denn ein Großteil der in deutschen Industrieanlagen, Gebäudeheizungen und Automotoren verfeuerten Energieträger kommt aus Putins Reich. Die größte Abhängigkeit herrscht beim Erdgas. Etwa die Hälfte des in Deutschland benötigten Gases liefert Russland. Scharfe Wirtschaftssanktionen, die auch Geschäfte mit dem Staatsunternehmen Gazprom betreffen, würden uns selbst empfindlich treffen. Die Frage lautet daher nicht nur: Sind wir bereit, für die Freiheit zu frieren? Sondern es geht um unseren gesamten Wohlstand. Denn die deutsche Industrie, allen voran die chemische, benötigt gewaltige Mengen an Erdgas.

Lesen Sie mehr zum Thema:

Dementsprechend hilflos reagieren deutsche Spitzenpolitiker, wenn sie dieser Tage auf den Krieg in der Ukraine, mögliche Sanktionen gegen Russland und deren Folgen für die deutsche Energieversorgung angesprochen werden. Wirtschafts- und Klimaminister Habeck gab sich bei Sandra Maischberger im ARD-Fernsehen zwar kämpferisch. Im entschlossenen Ton erklärte er den Bau von neuen Stromleitungen, Kraftwerken und Windkraftanlagen zur Frage der nationalen Sicherheit. Was es kostet, spiele keine Rolle. „Am Ende ist es nur Geld“, sagte Habeck.

Gaskraftwerke sollen Energiewende retten

Doch genau dieser Weg, die Fokussierung auf das utopische Ziel einer Selbstversorgung aus wetterabhängigen Energiequellen, führt in die falsche Richtung. Abgesehen vom Mengenproblem: Mit Windkraft- und Solaranlagen alleine lässt sich keine stabile Stromversorgung aufbauen. Sie sind unzuverlässig und brauchen einen gewaltigen Park an Schattenkraftwerken, die einspringen, wenn es dunkel ist oder Flaute herrscht. Und diese Kraftwerke will die Ampelkoalition, weil sie sich nicht traut, am Atomausstieg zu rütteln, mit Erdgas betreiben. Das bedeutet: nicht weniger, sondern mehr Abhängigkeit von Putin.

So lautete zumindest der rot-grün-gelbe Plan, bevor der Kreml-Herrscher die Ukraine überfallen hat. Inzwischen wird immer deutlicher: Nicht nur die deutsche Russland-, sondern auch die Energiepolitik ist krachend gescheitert. Wie Atomausstieg, Klimaneutralität, Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit jetzt noch miteinander in Einklang zu bringen sein sollen, weiß niemand. Politikern, die darüber reden müssen, ist ihre Ratlosigkeit anzusehen.

Spitzenpolitiker wirken ratlos

Außenministerin Annalena Baerbock, die in einem gewissen Konkurrenzverhältnis zu ihrem Co-Parteichef steht, betonte in einem aktuellen ZDF-Interview, „dass wir hinter Energielieferungen nicht nur Energielieferungen sehen, sondern die geostrategische Frage, die dahinter steht.“ Doch der daran anschließenden Frage, ob die Grünen angesichts der russischen Aggression denn bereit dazu wären, mehr Kohle zu verbrennen oder Atomkraftwerke länger laufen zu lassen, wich Baerbock aus.

Stattdessen erzählte sie davon, dass nun Gasreserven und Kohlevorräte angelegt würden – für den Fall, dass Russland nicht mehr liefere. Und sie sagte: „Die Energiepreise werden steigen. Aber diesen Preis zahlen wir.“ Ist es in einer solchen Notlage verantwortbar, die drei noch verbliebenen deutschen Kernkraftwerke wie geplant Ende diesen Jahres stillzulegen? Dazu sagte sie kein Wort.

Für Finanzminister Christian Lindner, dessen FDP-Anhänger den deutschen Atomausstieg mehrheitlich nach wie vor für einen Fehler halten, ist diese Frage nicht weniger brenzlig. Auch er traut sich offenbar nicht, öffentlich einen Kursschwenk zu fordern. Als Lindner am Donnerstag bei Maischberger zu Gast war, mahnte er an, dass „wir unsere Energieversorgung unabhängiger von Russland aufstellen müssen“. Und erläuterte dazu: „Wir brauchen in Deutschland Flüssiggasterminals, um aus anderen Quellen Gas importieren zu können. Wir müssen auch aus anderen Weltregionen Energieträger importieren. Zum Beispiel Wasserstoff oder synthetische Flüssigkraftstoffe. Die energiepolitische Abhängigkeit von Russland, das ist eine Flanke und wir müssen diverser werden.“

Als sei das Ausstiegsgesetz vom Himmel gefallen 

Nur auf das eigentlich naheliegende Thema, dass Deutschland seine nach höchsten Sicherheitsstandards gebauten und betriebenen Atomkraftwerke, die zuverlässig und nahezu CO2-frei Strom produzieren, vielleicht doch noch ein paar Jahre länger laufen lassen könnte, ging er von sich aus nicht ein. Etwas überraschend, weil im öffentlich-rechtlichen Fernsehen bislang kaum vorstellbar, fragte ihn aber die TV-Journalistin Maischberger direkt danach.

„Wir haben ein Gesetz über den Ausstieg aus der Kernenergie“, antwortete Lindner ausweichend. „Das ist nicht die politische Haltung dieser Bundesregierung, der ich angehöre, sondern wir haben ein Gesetz.“ Er tat so, als sei das nach dem Reaktorunglück in Fukushima 2011 beschlossene „13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes“ vom Himmel gefallen und könnte nicht durch ein „14. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes“ revidiert werden.

Christian Lindner lässt etwas Spielraum

Mit einem Satz, den Lindner im Maischberger-Interview noch anfügte, ließ er dann doch etwas Spielraum für Spekulationen. Er sagte: „Allerdings steht das weitere Abschalten von Kernkraftwerken jetzt nicht in diesen Tagen an“. Wer weiß, was in den kommenden Monaten noch geschieht. Vor allem die Grünen müssten dazu über ihren Schatten springen und sich einen historischen Irrtum eingestehen.

Der erste Vorstoß in diese Richtung kommt derweil aus der SPD. Die Bundestagsabgeordnete Isabel Cademartori forderte, ernsthaft zu prüfen ob „Strom der drei verbliebenen AKWs länger als 2022 benötigt wird“.

Allerdings ist die Zeit knapper als Lindner suggeriert. Denn wenn sich Deutschland wirklich dazu durchringen sollte, die Laufzeit der verbliebenen Kernkraftwerke zu verlängern, wäre es sinnvoll, dies nicht nur für die drei Meiler zu tun, die aktuell noch in Betrieb sind. Sondern dann sollten auch die drei Standorte gerettet werden, die erst Ende vergangenen Jahres stillgelegt wurden. Technisch wäre das laut Brancheninsidern noch möglich. Doch damit das so bleibt, müsste die Bundesregierung möglichst schnell ein Rückbauverbot verhängen und die Betreiber dazu verpflichten, die Kraftwerke zu erhalten.

 

Anzeige