Politische Ménage à trois - Vier Jahre – oder auch nicht

Die neue Regierung ist mit viel Optimismus gestartet. Olaf Scholz plant schon über das Jahr 2025 hinaus. Doch das ist politisches Pfeifen im Walde. Angesichts der absehbaren Machtkämpfe in der SPD, sich widersprechender politischer Vorstellungen und gegenläufiger strategischer Ziele aller drei Koalitionäre kann er jedoch schon froh sein, wenn die neue Legislaturperiode nicht vorzeitig endet.

Nicht unbedingt Liebe zu dritt: Bundeskanzler Scholz mit Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Nun ist sie also seit drei Tagen im Amt, die neue Bundesregierung. Und weitere 1457 Tage werden noch folgen, so ungefähr zumindest. Zudem ließ der neue Bundeskanzler – man muss sich nach 16 Jahren erst wieder an dieses Wort gewöhnen –, ließ also der neue Bundeskanzler keinen Zweifel daran, dass er gedenkt, die Koalition auch über die aktuelle Legislaturperiode hinaus zu führen. Soweit zumindest sein Statement auf dem SPD-Parteitag am letzten Samstag.

Die Bürger sind in dieser Hinsicht deutlich skeptischer. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov glauben zwei Drittel der Befragten nicht daran, dass Scholz länger als vier Jahre im Amt sein wird. 20 Prozent rechnen sogar damit, dass die Regierung noch vor der kommenden Wahl auseinanderbricht. Und 44 Prozent gehen davon aus, dass Scholz nicht wiedergewählt wird. Wer ist realistischer: der Kanzler oder die Wähler?

Zunächst das Offensichtliche: Scholz führt das erste Dreierbündnis auf Bundesebene seit 64 Jahren (in Adenauers zweitem Kabinett saßen Minister der Union, der FDP, der DP und der BHE). Die Erfahrungen hinsichtlich der Stabilität einer Ampel auf Landesebene sind gemischt. Die einschlägigen Experimente Anfang der 90er-Jahre in Brandenburg und Bremen scheiterten jeweils kurz vor Ende der Legislatur. Durchgehalten hat hingegen das rot-gelb-grüne Bündnis in Rheinland-Pfalz ab 2016, das in diesem Mai sogar in die zweite Runde ging.

Frust über die FDP

Doch Bundespolitik ist nicht Landespolitik. Hier liegen ganz andere Fußangeln verborgen. Konflikte, die man im Halbschatten einer Provinzresidenz heimlich, still und leise beilegen kann, drohen im grellen medialen Scheinwerferlicht Berliner Bühnen zu eskalieren. Die Bundespolitik hat zudem eine ungleich größere symbolische Bedeutung. Hier Kompromisse einzugehen fällt dementsprechend schwerer. Vor allem aber haben bundespolitische Entscheidungen naturgemäß ein anderes Gewicht.

Ungemach droht der Ampel schon beim Dauerthema unserer Tage: Corona. Nicht wenige FDP-Wähler, das kann man schon jetzt sagen, werden von den jüngsten Äußerungen Christian Lindners enttäuscht sein. Die FDP wurde auch gewählt, weil viele, insbesondere Jüngere, sich einen liberaleren und weniger obrigkeitsstaatlichen Umgang mit der Krise wünschten.

Überhaupt die FDP: Sie ist der Fremdkörper in diesem Dreierbündnis. Wenn nicht alles täuscht, hat Christian Lindner in den Koalitionsverhandlungen rausgeholt, was rauszuholen war. Einigen rot-grünen Lieblingsprojekten konnte er so erst einmal den Zahn ziehen – von Steuererhöhungen bis zum Tempolimit.

Habeck will Kanzler werden

Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass die FDP ihr Pulver weitgehend verschossen hat. Ob die politische Kraft des kleinsten Koalitionspartners noch ausreicht, so brillante Vorhaben wie etwa das von Familienministerin Spiegel geplante Gendern von Gesetztexten oder Lauterbach’sche Regelungsorgien zu verhindern, ist die Frage. Zudem kollidieren viele Projekte der Koalition (etwa das Bürgergeld) erheblich mit Linders Absicht, sich als strenger Hüter der Finanzen zu profilieren.

Die (durchaus gelungene) moderne und optimistische Selbstinszenierung der neuen Regierung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die gesamte Konstruktion unter erheblicher Spannung steht. Das liegt auch daran, dass alle drei Partner gegenteilige strategische Ziele verfolgen. Die Grünen hatten diesmal das Momentum gegen sich. Das soll in vier Jahren anders sein und der Kanzler nicht Scholz, sondern Habeck heißen. Scholz will genau das verhindern. Und die FDP strebt ohnehin in Richtung eines Bündnisses mit einer Union unter Merz.

Spätestens wenn die Umfragen für eine oder zwei der beteiligten Parteien wegsacken, da die jeweiligen Wähler mit den ausgehandelten Kompromissen unzufrieden sind, wird das Dreierbündnis beginnen zu bröckeln. Jeder Bündnispartner wird dann sein Heil in der Verschärfung der eigenen Programmatik suchen, was die Krise noch verschärfen wird.

Gegner in der eigenen Partei

Problematisch werden kann das auch für Olaf Scholz selbst. Seine Stellung beruht allein auf seinem Wahlerfolg – nicht auf Zuneigung seitens seiner Partei. Sein Überraschungscoup vom September zwang die SPD-Linke in die Defensive. Die Berufung Kevin Kühnerts zum Generalsekretär soll diese perspektivisch einbinden. Wieder einmal, das dritte Mal nach Schmidt und Schröder, hat ein SPD-Bundeskanzler die gefährlichsten Gegner in der eigenen Partei.

Es liegt im Wesen der Ménage à trois, labil zu sein. Schnell fühlt sich einer zurückgesetzt. Kompromisse müssen dreipolig ausgehandelt werden. Zudem befinden sich mit FDP und Grünen zwei ideologische Gegenpole in der Regierung, was schnell Frust bei Wählern und Beteiligten aufkommen lässt, wenn sich so dürftige gemeinsame Projekte wie die „Verantwortungsgemeinschaften“ aufgebraucht haben – und das wird schnell der Fall sein. Nicht unwahrscheinlich also, dass Scholz’ Blick über das Jahr 2025 hinaus allzu optimistisch war und wir uns alle deutlich früher an den Wahlurnen wiederfinden.

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