Olaf Scholz und der Cum-Ex-Skandal - Des künftigen Kanzlers schmutzige Wäsche

Am Mittwoch hat der Investigativjournalist Oliver Schröm sein Buch „Die Cum-Ex-Files“ an der Berliner Volksbühne vorgestellt. Er ist sich sicher: Für Olaf Scholz ist die Affäre um die Hamburger Warburg-Bank noch lange nicht gegessen. Könnte sie ihn sogar den Kanzlerposten kosten?

Hat Deutschland bald einen Kanzler, der einer kriminellen Vereinigung die Steuerschulden erlassen hat? / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Der Bundestagswahl ging eine aufmerksamkeitsökonomische Schieflage voraus. Olaf Scholz ist in den größten Finanzskandal der Bundesrepublik verwickelt. Das Oberlandesgericht Frankfurt bezeichnete die Cum-Ex-Geschäfte, bei denen sich die Akteure durch Tricks Kapitalertragsteuern mehrfach auszahlen ließen, als „gewerbsmäßige[n] Bandenbetrug“. Diskutiert wurde aber vor allem über Annalena Baerbocks Plagiate und Armin Laschets Lachen. Scholz musste nur schweigen und nichts tun, um die Wahl zu gewinnen – auch, weil seine Gegner die Steilvorlage nicht annahmen und ihn nicht konfrontierten.

Grund zum Aufatmen hat er dennoch nicht. Vor allem ein Mann könnte ihm gefährlich werden: Christian Olearius, Gesellschafter und Geschäftsführer der Hamburger Privatbank M.M. Warburg. Ab 2007 ergaunerte die Warburg-Bank mit Cum-Ex-Geschäften eine Geldsumme im dreistelligen Millionenbereich. Scholz steht unter Verdacht, der Bank die Rückforderung der Beute bewusst erlassen zu haben. Glaubt man dem Journalisten Oliver Schröm, der Olearius‘ Tagebücher gelesen hat, ist der Banker ein „Herrenmensch“, der um sich schlagen und auspacken könnte. Wäre Scholz dann Bundeskanzler, hätte die Bundesrepublik einen erpressbaren Kanzler. Aber dazu später mehr.

Cum-Ex ist simpler, als es scheint

Oliver Schröm: „Die Cum-ex-files“,
Ch.Links, 368 Seiten, 18 Euro

Der Cum-Ex-Skandal ist nicht griffig, deswegen ging er in der Öffentlichkeit zwischen all den Erregungslappalien unter. Dessen ist sich auch Oliver Schröm bewusst. Der Investigativjournalist hat die letzten acht Jahre maßgeblich an der Aufdeckung des Finanzskandals mitgewirkt. Die Öffentlichwerdung von Scholz‘ Verstrickungen ist ebenfalls auch ihm und seinem Team zu verdanken. Nun hat er ein Buch über seine Recherchen geschrieben, das er am Mittwochabend an der Berliner Volksbühne gemeinsam mit der Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann von der taz und dem Linken-Politiker und Finanzexperten Fabio De Masi vorgestellt hat: „Die Cum-Ex-Files. Der Raubzug der Banker, Anwälte und Superreichen – und wie ich ihnen auf die Spur kam“ (Ch.Links Verlag, 368 Seiten, 18 Euro).

Dem vom Verlag als „Wirtschaftskrimi“ beworbenen Buch sind viele Leser zu wünschen, weil es umfassend aufklärt und zugleich unterhaltsame Übersetzungsarbeit für Normalverbraucher leistet. Im Grunde sei Cum-Ex leicht zu erklären, sagt Oliver Schröm in der Diskussionsrunde an der Volksbühne. Beim Dieselskandal müsse man ja auch nicht wissen, wie die Abschalteinrichtung im Detail funktioniert, mit der VW die Abgaswerte seiner Diesel-Fahrzeuge manipuliert hat. Wichtig sei nur: VW hat willentlich betrogen. Ähnlich sei es mit Cum-Ex. Die Tricks und Methoden der Finanzjongleure seien voller verzwickter Details, doch im Kern müsse man nur wissen, dass es sich um Diebstahl handelt. Oder, wie Schröm sagt, um „Steuerraub“ – ein Kunstbegriff, den es in der Rechtsprechung wohl nicht gibt, der aber das Wesen von Cum-Ex auf den Punkt bringt.

So funktioniert das Betrugssystem

Cum-Ex ist keine klassische Form der Steuerhinterziehung, bei der jemand sein Geld in einem Offshore-Inselstaat versteckt, um keine Steuern zahlen zu müssen. Sondern hier greift ein Akteur aktiv in die Staatskasse und nimmt sich jenes Steuergeld der Bürger, das dem Gemeinwesen dienen soll. Ein Satz von Hanno Berger, einem der Haupakteure im Cum-Ex-Skandal, bringt es so auf den Punkt: „Wer sich nicht damit identifizieren kann, dass in Deutschland weniger Kindergärten gebaut werden, weil wir solche Geschäfte machen, der ist hier falsch“, soll er seinen Kollegen eingebläut haben.

Grob zusammengefasst haben sich Banken und Akteure wie Berger nur einmal abgeführte Kapitalertragsteuern mehrmals zurückzahlen lassen. Dazu wurden große Pakete von Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch rund um den Stichtag für die Ausschüttung in schneller Folge hin- und hergeschoben. Durch die gezielt undurchsichtigen Transaktionen verloren die Finanzbehörden den Überblick. Fabio De Masi, der sich mit seiner energischen Arbeit im Finanzausschuss einen Namen gemacht hat, zieht für diesen Vorgang gerne einen anschaulichen Vergleich: „Ich kopiere mir zu Hause einen Pfandbon, gehe direkt an die Supermarktkasse und löse den Bon ein, obwohl ich keine Flaschen abgeben habe.“

In puncto Digitalisierung in der Steinzeit

Aber wie kann es überhaupt angehen, dass die Finanzverwaltung es nicht merkt, wenn sich Akteure ihre Steuern mehrmals auszahlen lassen? Die Antwort ist simpel: Deutschland ist in puncto Digitalisierung ungefähr auf Windows-95-Stand. Es gibt fünf veraltete Rechenzentren, die nicht miteinander vernetzt sind und deswegen nicht abgleichen können, ob die Kapitalertragsteuer mehrfach ausgezahlt wurde. Ein modernes IT-System einzurichten wäre finanziell nichts im Vergleich zu den Verlusten durch Steuerraub, allein der politische Wille fehlt.

Der weltweite Schaden durch Cum-Ex, Cum-Cum (eine weniger komplexe Form des Steuerraubs) und vergleichbare Betrugssysteme soll bei 150 Milliarden Euro liegen, allein in Deutschland wurden den Steuerzahlern etwa 31,8 Milliarden Euro gestohlen. Fabio De Masi zieht auch hier gerne einen Vergleich: Damit könnte man in jede der etwa 30.000 Schulen in Deutschland eine Million Euro investieren.

Johannes Kahrs, der Organisator

Christian Olearius (links) im Jahr 2008

Beim Stichpunkt „politischer Wille“ führt kein Weg an Olaf Scholz und der Hamburger Privatbank M.M. Warburg vorbei, dem Hauptthema am Premierenabend an der Volksbühne. Ab 2007 machte die Warburg-Bank durch Cum-Ex-Geschäfte Gewinne im dreistelligen Millionenbereich. Nachdem Cum-Ex für kriminell erklärt wurde, ließen Hamburgs Steuerbehörden im Jahr 2016 Rückforderungen in Höhe von 47 Millionen Euro gegen die Privatbank einfach verjähren. 2017 sollten der Bank abermals Rückforderungen, diesmal in Höhe von 43 Millionen Euro, erlassen werden – damals griff aber das Bundesfinanzministerium ein und forderte das Hamburger Finanzamt auf, die Rückforderung nicht noch einmal verjähren zu lassen.

Der Verdacht politischer Einflussnahme steht im Raum. Insgesamt drei Mal hat Scholz den Warburg-Chef Olearius getroffen. Der damalige SPD-Kreisvorsitzende in Hamburg-Mitte, Johannes Kahrs, und der in Hamburg altbekannte SPD-Grande Alfons Pawelczyk sollen Olearius geholfen haben, ein Treffen zu bekommen. Kahrs erhielt zudem eine Spende für seinen Wahlkreis in Höhe von 45.500 Euro von einem Tochterunternehmen der Warburg-Bank.

Eine Hand wäscht die andere

Die Warburg-Bank am Hamburger Jungfernstieg

Scholz empfing Olearius in seinem Amtszimmer. Ein wahrlich nicht leicht zu ergatternder Termin – Olearius, gegen den wohlgemerkt damals schon wegen schwerer Steuerhinterziehung ermittelt wurde, bekam ihn quasi über Nacht zugesprochen. Über das Motiv des damaligen Bürgermeisters können De Masi und Schröm nur mutmaßen. „Gegen die Elbchaussee ist in Hamburg keine Wahl zu gewinnen“, soll Scholz einmal in vertrauter Runde gesagt haben. Die Elbchaussee ist eine noble Gegend, in der die einflussreichsten Wirtschaftsleute Hamburgs sitzen. Was bedeutet: Mit der mächtigen Warburg-Bank legt man sich nicht an. Die Geschichte dürfte für Scholz, der sich in der Cum-Ex-Affäre nicht selbst bereichert hat, eine machtstrategische Abwägung im Sinne eines hanseatischen „Eine Hand wäscht die andere“ gewesen sein.

Scholz wurde auf das erste Treffen inhaltlich vorbereitet, Olearius legte ihm zudem ein siebenseitiges Papier mit Scheinargumenten vor, weshalb seiner Bank die Rückforderungen erlassen werden müssten, etwa deswegen, weil die Bank sonst angeblich pleite gehe (was nachweislich nicht stimmt). Das ist ungefähr so, als würde ein Bankräuber sagen, er könne seine Beute nicht zurückgeben, weil er sonst pleite wäre.

Die Öffentlichkeit sollte nichts erfahren

Scholz durfte sich als Bürgermeister in derart heikle Steuerangelegenheiten gar nicht einmischen. Doch einige Tage später rief er Olearius proaktiv an und gab ihm den Tipp, das siebenseitige Papier „kommentarlos“ (mutmaßlich, damit man Scholz keine Verwicklung nachweisen kann) an den damaligen Finanzsenator und heutigen Bürgermeister Peter Tschentscher zu schicken. Der gab das Papier an seine Behörde weiter, notierte aber noch in grüner Tinte, er wolle auf dem neuesten Stand gehalten werden: „Mit der Bitte um Information zum Sachstand“. Nur acht Tage später erhielt Olearius die Nachricht, dass die Stadt die Rückforderung in Höhe von 47 Millionen doch nicht zurückverlange.

Von alldem sollte die Öffentlichkeit nichts erfahren. Noch im November 2019 lautete die Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken, es habe keine persönlichen Gespräche zwischen Senatoren und der Warburg-Bank über das Cum-Ex-Verfahren gegeben. Womit der heute angehende Bundeskanzler nicht gerechnet hatte, ist, dass Olearius seit Jahrzehnten akribisch und höchst diszipliniert Tagebuch führt. Die Absurdität muss man sich vor Augen halten: Ein in kriminelle Machenschaften verwickelter Bankchef schreibt tagtäglich auf, was er so treibt. Auch die Treffen mit Scholz hat er festgehalten.

Scholz ist unglaubwürdig

Linken-Politiker Fabio De Masi

Investigativjournalist Oliver Schröm gelangte an die Tagebücher. Im Februar 2020, kurz vor der Hamburger Bürgerschaftswahl, berichtete er über ein Treffen zwischen Scholz und Olearius. Was Scholz schließlich einräumte. Allerdings seien die Vorwürfe politischer Einflussnahme unwahr, es sei nur ein harmloses Treffen gewesen, sagte er. Am 4. März wurde er vom Finanzausschuss des Bundestags um Fabio De Masi einberufen. Der fragte Scholz, ob es weitere Treffen gegeben habe. Scholz, so berichtet es De Masi, habe sinngemäß gesagt: Es gebe nichts, außer dem, was in der Presse steht. In der Presse wurde zu diesem Zeitpunkt von einem Treffen berichtet, nichts von den anderen beiden Treffen und Scholz‘ Anruf bei Olearius. Bei einer weiteren Anhörung im Juli verschwieg er all das ein zweites Mal.

Doch dann wurden auch die anderen beiden Treffen öffentlich, darunter das erste in Scholz‘ Amtszimmer. Ein Treffen fand in Anwesenheit eines Referenten statt, die weiteren zwei ohne Zeugen. Das Lügen und Verschweigen vor dem Ausschuss ist strafbar. Scholz, der Jurist ist, beteuerte, er könne sich an die Treffen nicht erinnern – Erinnerungslücken sind juristisch keine Lüge. Bei dieser Version bleibt er bis heute. Glaubwürdig ist das insofern nicht, als der Fast-Kanzler als detailverliebter Aktenwälzer mit gutem Gedächtnis gilt. Außerdem: An ein harmloses Treffen mit Olearius erinnert er sich, aber nicht an jenes, in dem es um 47 Millionen Euro Steuerrückzahlungen eines mutmaßlich Kriminellen geht?

Die Sache ist noch lange nicht gegessen

Die Geschichte zwischen Scholz und Olearius ist lang und verzwickt, eine ausführliche Schilderung ist hier nachzulesen. Zusammenfassend festgehalten werden kann: Scholz hat mehrfach die Unwahrheit gesagt, er hat das Parlament belogen, und seine angeblichen Erinnerungslücken sind äußerst unglaubwürdig. Juristisch ist er damit bislang durchgekommen. Bleibt das so? Kann die Cum-Ex-Affäre ihm noch gefährlich werden, ihn gar die Kanzlerschaft kosten? Das ist auch die große Frage am Buchpremierenabend an der Berliner Volksbühne.

Die Sache ist noch lange nicht gegessen, sind sich De Masi und Schröm einig. Ein wichtiger Punkt sind die derzeitigen Strafermittlungen. Die damals für die Warburg-Bank zuständige Finanzbeamtin Frau P. sprach sich 2016 für eine Rückforderung der Cum-Ex-Gelder aus, plötzlich änderte sie ihre Meinung radikal. Frau P. wurde dieses Jahr als Zeugin geladen. Das Hamburger Abendblatt schrieb: „Zeugin entlastet Scholz und Tschentscher“.

Hausdurchsuchung bei „Entlastungszeugin“

Doch kurz nach der Bundestagswahl kam es zu Razzien bei Johannes Kahrs, Alfons Pawelczyk, im Hamburger Finanzamt – und auch bei Frau P. zu Hause. Ihr werden Begünstigung, Strafvereitelung, Geldwäsche und Untreue vorgeworfen. Es müsse nur eine Klitzekleinigkeit gefunden werden, und schon würde es für Scholz wirklich eng, sagt Schröm. Und irgendwas gebe es immer.

Gegen Ende der Veranstaltung an der Volksbühne zeigt sich ein Zuschauer im Publikum wütend. Ob man denn die ganze Zeit über Scholz reden müsse, ruft er dazwischen. Möglicherweise sympathisiert er mit den Sozialdemokraten. Auch das dürfte ein Grund dafür sein, warum Scholz im Wahlkampf verschont wurde. Selbst Fabio De Masi sei für seine Hartnäckigkeit gegenüber Scholz kritisiert worden, erzählt er. Als Linker müsse er sich doch eine starke SPD wünschen, auch in Hinsicht auf eine rot-rot-grüne Koalition. Aber es gehe hier nicht nur ums Geld, sagt der Ex-Bundestagsabgeordnete, sondern um Rechtstaatlichkeit. Außerdem könne es nicht sein, dass jemand, der Kanzler wird, einer kriminellen Vereinigung die Steuern erlässt.

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