Niedersächsischer Finanzminister - „Wenn der Staat mit der Gießkanne austeilt, verschärft er die Inflation“

Der Niedersächsische Finanzminister Reinhold Hilbers warnt vor weiteren Entlastungspaketen. Tankrabatt oder 9-Euro-Ticket seien nicht zielführend, sagt der CDU-Politiker. Der Staat könne nicht alle entlasten und alles auffangen, was durch die Kriegssituation und deren Folgen an Belastungen auf alle zukomme. Vielmehr sei es richtig, auf Investitionen und Wirtschaftswachstum zu setzen.

Wenn kein Treibstoff mehr da ist, hilft auch kein Tankrabatt / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Reinhold Hilbers (CDU) ist seit 2017 niedersächsischer Finanzminister.

Herr Hilbers, ab Oktober sollen die Verbraucher mit einer Gasumlage an den steigenden Energiepreisen beteiligt werden. Ist das aus Ihrer Sicht der richtige Weg?

Wir müssen im Hinblick auf die Daseinsvorsorge aufpassen, dass uns die Stadtwerke und Versorger nicht wegbrechen. Sie befinden sich durch die erheblichen Mehrkosten in einer Zangensituation. Es kann gut sein, dass eine Art von Umlage das probate Mittel ist. Ich glaube, dass sie derzeit noch viele handwerkliche Fehler hat. Hier muss noch nachgebessert werden.

Wollen Sie die Bürger dann von diesen steigenden Energiekosten entlasten?

Der Staat wird nicht alles kompensieren können, aber zielgerichtete Hilfen sind angezeigt. Notwendig ist sicher, diejenigen zu unterstützen, die diese Energiepreise alleine nicht stemmen können. Das sind beispielsweise die Transferempfänger, aber eben nicht nur die. Wir müssen aber ehrlich feststellen, dass der Staat nicht alle entlasten und alles auffangen kann, was durch diese Kriegssituation und deren Folgen an Belastungen auf alle zukommt. Wir haben richtigerweise Sanktionen gegen Russland verhängt, nun müssen wir die Konsequenzen gemeinsam tragen. Es wird uns alle etwas kosten, unsere westlichen Werte zu verteidigen. Im Übrigen halte ich es für falsch, bei den Preisen zu entlasten. Diese müssen ihre Lenkungswirkung behalten.

Wir befinden uns erneut in einer der schwersten Krisen unserer Geschichte, braucht es da nicht eine Art Solidaritätszuschlag, um handlungsfähig zu sein?

Das ist der falsche Ansatz. Nochmal: Der Staat kann in dieser Lage nicht alles auffangen. Er hätte die Möglichkeit, innerhalb der Bevölkerung weiter umzuverteilen. Doch das tut er ja schon in großem Umfang. Die Staatsquote liegt bei 51,6 Prozent. Schon jetzt müssen die Bürger bis weit in den Juli hinein für den Staat arbeiten, erst dann arbeiten sie für sich selbst. Das ist nicht unendlich dehnbar. Es würde unsere wirtschaftliche Leistungskraft ersticken, jetzt die Steuern zu erhöhen.

Aber ist es dann nicht vertretbar, die Schuldenbremse erneut ein Jahr auszusetzen, so wie es bei Corona geschehen ist?

Reinhold Hilbers

Dann verteilt der Staat die Lasten von heute in Form von Schulden auf die zukünftige Generation. Das wäre die zweite Art der Umverteilung. Wenn wir immer mehr Schulden machen, verlagern wir die Verteilungskonflikte in die Zukunft. Das ist nicht zielführend, sondern verantwortungslos und inflationstreibend. Deswegen sollte der Staat zielgerichtet diejenigen entlasten, die in großer Not sind. Die Entlastung sollte direkt erfolgen und nicht über den Preis, sonst wird der Anreiz zum Energiesparen geschwächt.

CSU-Chef Markus Söder fordert eine Ausweitung des Entlastungspakets, Tankrabatt, Wohngeld und Nahverkehrsticket. Mit der Gießkanne gegen die Kriegsfolgen?

Es ist nicht effizient, mit der Gießkanne Geld zu verteilen und so zu versuchen, den Bürger zu entlasten. Es stimmt allerdings, dass die Bundesregierung an bestimmten Stellen zu wenig tut. Da dürfen die Dinge auch nicht vermischt werden. Die Forderung nach einem bundeseinheitlichen Ticket im öffentlichen Personennahverkehr kann beispielsweise eine sinnvolle Frage der Daseinsvorsorge sein. Das muss aber nicht für 9 Euro geschehen. Da wird eine Nachfrage geschaffen, der kein Angebot gegenübersteht.

Wie soll der Staat mit der steigenden Inflation umgehen?

Wenn der Staat weiter mit der Gießkanne austeilt, dann verschärft er zusätzlich das Inflationsgeschehen. Stattdessen kann ich Inflation auch bekämpfen, indem ich Staatsverschuldung reduziere. Das trägt erheblich zur Stabilität bei. Die Inflation ist etwas Unsoziales, und die muss bekämpft werden. Und deswegen ist es falsch, eine ausufernde Fiskalpolitik zu machen, die durch neue Schulden finanziert wird.

Ist es nicht sinnvoll, den Tankrabatt fortzuschreiben?

Der Tankrabatt hat ja seine Wirkung überhaupt nicht gezeigt. Ich wäre eher dafür, die Pendlerpauschale anzuheben, um diejenigen, die mit dem Auto zur Arbeit lange Strecken zurücklegen müssen, auch ab dem ersten Kilometer schon deutlich zu entlasten. Und die kalte Progression, der sogenannte Mittelstandsbauch, muss abgebaut werden. Das sind gezielte Maßnahmen, die sinnvoll sind. Einkommensschwache Haushalte brauchen Unterstützung bei den Energiekosten, das ist klar. Aber weitere pauschale und flächendeckende Hilfen sind falsch.

Haben Sie denn den Eindruck, dass diese Linie innerhalb der Union auch steht? Oder gibt es nicht doch auch die Sehnsucht, mit dabei zu sein, wenn Wohltaten verteilt werden? Zumal wenn die Krise sich verschärft?

Wir verzeichnen nach wie vor Wirtschaftswachstum. Es ist zwar abgeschwächt, aber keinesfalls gänzlich zum Erliegen gekommen. Und die Steuereinnahmen wachsen ebenfalls. Das sind für mich Anzeichen dafür, dass der Staat mit seinen Ausgaben jetzt haushalten muss und nicht immer neue Schulden machen sollte. Ich habe also keine Anzeichen dafür, dass wir uns in einer Notlage befinden, die ein Aussetzen der Schuldenbremse rechtfertigen würde. Deswegen tut die Union gut daran, für solide Finanzen in unserem Land einzustehen und eine weitere Staatsverschuldung zu verhindern. Genau das macht ein Staatswesen resilient, und das sollte man auch jetzt im Blick haben. Wir konnten in der Corona-Pandemie nur so wirkungsvoll helfen, weil wir unsere Staatfinanzen vorher in Ordnung gebracht haben. Die nächste Generation wird voraussichtlich auch vor Krisen und Herausforderungen stehen. Wir dürfen nicht alles auf die nächste Generation buchen. Die Menschen wissen das längst. Deswegen ist ein Wettlauf, wer die größten Versprechungen macht, falsch. Wir brauchen wirtschaftliches Wachstum, dafür sind zusätzliche Belastungen kontraproduktiv. Wir brauchen mehr Freiraum für Investitionen. In Niedersachsen haben wir Planungserleichterungen bei der Errichtung von LNG-Terminals auf den Weg gebracht. Sowas ist jetzt wichtig, statt große neue Hilfsprogramme aufzulegen.

Die Bundesregierung hat den Energieversorger Uniper durch Staatsbeteiligung gerettet. Das Engagement des Staates in der jetzigen Krisenzeit erscheint doch notwendig?

In der sozialen Marktwirtschaft kann auch der Staat gefordert sein. Krisenzeiten sind immer dazu geeignet, dass der Staat an Einfluss, insbesondere auf die Wirtschaft, gewinnt. Wenn die Krise dann wieder zurückgeht, wie beispielsweise nach einer Pandemie, dann ist es schwer, den Einfluss des Staates wieder zurückzudrängen. Das geht immer zulasten von Wettbewerb und Freiheit. Deswegen ist es wichtig, dass die Union auch jetzt ihr ordnungspolitisches Profil wieder betont. Die soziale Marktwirtschaft setzt bei der Verantwortung des Einzelnen an. Es geht um Leistungsanreize, nicht um größtmögliche Umverteilung. Durch Teilhabe und Befähigung und auch durch das Versprechen vom Aufstieg sorgt der Staat dafür, dass alle am Wohlstand teilhaben. Das ist das Modell der sozialen Marktwirtschaft, und dafür muss die Union werben. Weniger Staat und Staatverschuldung und dafür mehr Wettbewerb – das führt dazu, dass wir am Ende wieder gemeinsam stark werden. Die Soziale Marktwirtschaft steht vor einer Bewährungsprobe, aber sie kann nur erfolgreich sein, wenn sie an ihren Prinzipien ausgerichtet wird. Das müssen wir tun, auch wenn es Anstrengung kostet.

Sie stehen vor einer Landtagswahl, lässt sich mit so einer Linie Wahlkampf machen – oder verschreckt das nicht die Leute?

Die Menschen merken, wenn ihnen nur das Blaue vom Himmel versprochen wird. Wir halten in Niedersachsen die Schuldenbremse ein, haben aber unsere Investitionen um fast 40 Prozent gesteigert. Bereits vor der Pandemie haben wir erstmals in der Geschichte Niedersachsens aktiv Altschulden getilgt. Wir nehmen schon in 2022 keine neuen Kredite mehr in Anspruch. Das zeigt ja, dass solide Finanzpolitik funktioniert. Ich bin überzeugt, dass die Menschen längst verstanden haben, dass es nicht immer mit einer überbordenden Staatsverschuldung weitergeht. Nur wenn es Wirtschaftswachstum gibt, werden alle am Wohlstand partizipieren können. Wir werden uns wieder alle etwas mehr anstrengen müssen, um unseren Wohlstand zu sichern. Unser Modell ist anspruchsvoller, als das Angebot von SPD und Grünen, es ist schwieriger zu erklären. Aber am Ende führt es dazu, dass der Kuchen größer wird, dass es mehr zu verteilen gibt. Und dann haben alle mehr davon. Das Modell muss die Union wieder stärker vertreten.

Das Gespräch führte Volker Resing.

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