Niedergang der SPD - Abkehr von der Marktwirtschaft

Der Niedergang der SPD schreitet voran. Gerade die bayerischen Sozialdemokraten eilen von einem Tiefstwert zum nächsten. Ihre wiedergewählte Landesvorsitzende Natascha Kohnen plädiert derweil für Staat, Staat und noch mehr Staat

Natascha Kohnen rief den Delegierten zu: „Es gibt nicht den Markt, sondern es gibt nur dahinter Menschen“ / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Tatsächlich macht es keinen Spaß, einer Partei beim Niedergang zuzuschauen, erst recht nicht der SPD. Denn es waren zahlreiche selbstbewusste und kluge Sozialdemokraten – Kanzler, Minister, Ministerpräsidenten, Abgeordnete –, die über viele Jahrzehnte wichtige und gute Impulse für die gesellschaftliche Entwicklung Deutschlands gesetzt haben. Vernünftige Politik klang nicht selten sozialdemokratisch, tut es ja in einigen Bereichen bis heute. Und dennoch kennt die SPD fast nur noch eine Richtung: nach unten. „Die Partei hat keine Kunden mehr“, konstatierte Thilo Sarrazin nach den verheerenden Landtagswahlen in Bayern, denn sie habe verlernt, eine in der Politik nicht ganz unwichtige Frage zu stellen: „Wen möchte ich zufriedenstellen?“ Stattdessen folgten viele Funktionäre nur noch ihrer privaten Ideologie. Sarrazins Worte werden freilich keinerlei Folgen haben, denn der Mann gilt ja bekanntlich als des Teufels und soll deshalb aus der SPD ausgeschlossen werden.

Die bayerische SPD hat mit ihrer Spitzenkandidatin Natascha Kohnen bei der Wahl im vergangenen Herbst jedenfalls nur noch 9,7 Prozent geholt. In riesigen Lettern waren die Worte „Anstand“ und „Haltung“ auf den Wahlplakaten zu lesen gewesen, und beim Landesparteitag am vergangenen Wochenende, der auch einer Aufarbeitung der historischen Niederlage dienen sollte, wurde die Frage aufgeworfen, ob da womöglich die falschen Akzente gesetzt worden seien. Allerdings ging es dabei, und das ist kein Witz, nicht um den Inhalt, sondern um die dunkle Farbgebung der Plakate. Nun sind Anstand und Haltung zweifelsfrei erstrebenswert. Doch Sarrazin würde vermutlich fragen, wen genau man mit diesen apodiktischen Schlagworten eigentlich habe ansprechen wollen. Was stellt eine Partei ihren potentiellen Wählern in Aussicht, indem sie großflächig „Haltung“ verspricht? Oder „Anstand“?

Nur ein bisschen zu verhalten

Wer Natascha Kohnens Rede beim jetzigen Aufarbeitungs-Parteitag (wo sie übrigens mit 79,3 Prozent der Delegiertenstimmen als Landesvorsitzende bestätigt wurde) gesehen hat, muss sich – nicht nur wegen des vermeintlichen Plakatfarben-Problems – ernsthaft die Frage stellen, ob die bayerische SPD noch zu retten ist. Denn im Prinzip, so lautete Kohnens Botschaft, habe man das meiste richtig gemacht und sei lediglich ein bisschen zu verhalten gewesen. Eine klarere Ablehnung des neuen bayerischen Polizeiaufgabengesetzes, ein deutliches Votum für Tempolimit auf Autobahnen: Damit hätte man punkten müssen.

Und weil die bayerische SPD am 14. Oktober nicht weniger als 210.000 Wähler an die Grünen verloren hat, sah sich Kohnen zu einer weiteren fulminanten Kurskorrektur veranlasst: Die sozialdemokratische Umweltpolitik müsse künftig auch soziale Aspekte stärker berücksichtigen. Insbesondere der letzte Punkt wurde präsentiert wie das Ei des Kolumbus. Themen wie Migration, Integration und damit einhergehende Verdrängungswettkämpfe am unten Ende der sozialen Leiter kamen in Natascha Kohnens mehr als halbstündiger Analyse nicht einmal am Rande vor – wahrscheinlich wegen „Anstand“ und „Haltung“. Hat ja auch nichts mit Sozialdemokratie zu tun. Lieber Tempolimit. Es ist wie in einer Sekte.

Bayern als frühkapitalistische Knochenmühle

Soviel zum selbstkritischen Vorgeplänkel der wiedergewählten Landesparteivorsitzenden. Was danach folgte, war im Prinzip – man kann es nicht anders sagen – eine Abkehr vom Godesberger Programm. Vielleicht sollte man Kohnens Ausführungen nicht allzu ernst nehmen, aber solange die SPD einen Teil der Bundesregierung stellt und Bayerns oberste Sozialdemokratin auch dem Vorstand der Bundes-SPD angehört, ist eine gewisse Aufmerksamkeit nicht unangebracht. Staat, Staat und noch mehr Staat: So lautet jedenfalls Kohnens Rezept für die Zukunft der Sozialdemokratie in einem Land, bei dem es sich aus ihrer Sicht um eine frühkapitalistische Knochenmühle zu handeln scheint.

„Nein, es gibt nicht den Markt, sondern es gibt nur dahinter Menschen, die Interessen haben, die aber garantiert alles andere als sozial gerecht sind“, rief sie den Delegierten entgegen. Überhaupt müsse ihre Partei „der Erzählung entgegentreten, dass Fortschritt und Erfindungen durch die Kräfte des Marktes getrieben werden“. Und weiter im Originalton: „Machen wir uns doch mal deutlich, wer ist denn die Grundlage dafür, dass überhaupt Innovation geschehen kann? Das ist der Staat!“ Das alles klingt mehr nach Arbeiter- und Bauernparadies als nach einer freiheitlichen Demokratie. Oder nennt man es neuerdings „Haltung“?

Vielleicht sollte man bei dieser Gelegenheit aber auch deutlich machen, dass eine führende deutsche Sozialdemokratin mit solchen Sätzen die wesentliche Errungenschaft des Godesberger Parteitags von 1959 kurzerhand rückabwickelt, nämlich das Bekenntnis zur Marktwirtschaft. Wenn dies zum neuen Ton der Verzweiflung werden sollte, kann man der SPD auf ihrer weiteren Reise nur viel Glück wünschen. Oder eben auch nicht. In Bayern steht die Partei neusten Umfragen zufolge bei nur noch sechs Prozent. „Der Markt ist kein Naturgesetz“, deklamierte Natascha Kohnen auf dem Parteitag. Es ist allerdings auch kein Naturgesetz, dass die SPD in einem deutschen Landesparlament vertreten ist.

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