Diskussionen um SPD-Vorsitz - Partei des „donnernden Sowohl als auch“

Der SPD-Vorstand berät heute über das Verfahren für die Vorsitzendenwahl. Die neue Parteispitze soll früher als geplant bestimmt werden. Ob das die Partei retten wird, ist fraglich. Die Umweltbewegung hat die Arbeiterbewegung abgelöst. Nicht nur deshalb ist die SPD in existenzielle Not geraten

Keine Richtung, keine Führung und keine Vorstellung – Der Niedergang der SPD / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Und dann wollten sie für einen kurzen Moment sogar einmal Dänen sein. Der frühere Parteivorsitzende Sigmar Gabriel empfahl der SPD eine „robustere Flüchtlingspolitik“: „Während sich in der deutschen Sozialdemokratie selbst bei den relativ harmlosen Initiativen der Bundesregierung zur schnelleren Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländerinnen und Ausländer und gegen illegale Migration schon wieder Widerstand und innerparteilicher Protest regt, hat sich die dänische Sozialdemokratie auf eine gelinde gesagt 'robuste' Ausländer- und Asylpolitik festgelegt“, schrieb er in einer Kolumne nach dem Wahlsieg der Parteifreunde im Norden.

Auch der frühere Fraktionschef Thomas Oppermann forderte nach der Dänenwahl eine „knallharte“ Migrationspolitik. Auch der jüngste Vorstoß von Familienministerin Franziska Giffey, sich als SPD für Sicherheitsbelange stark zu machen, geht in diese Richtung.

Keiner traute sich aufzubegehren

Das Problem: Wer soll das der SPD noch glauben? Sigmar Gabriel saß 2015/2016 mit dem „Refugees Welcome“-Button neben Bundeskanzlerin Angela Merkel auf der Kabinettsbank im Bundestag. Thomas Oppermann dachte zwar schon damals so wie heute, traute sich aber nicht, das zu sagen. Kein einziger namhafter Sozialdemokrat lehnte sich seinerzeit gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin auf.

Hätten sie das getan, stellte die Partei heute womöglich den Kanzler. Aber ihr Kandidat Martin Schulz nahm die Wahlkampfempfehlung seines Vorgängers Gabriel im Abschiedsinterview des Stern nicht auf, sondern blieb an seiner Formulierung kleben, die er in seiner Heidelberger Rede 2016 gehalten hatte. Was da an Menschen käme, das sei „wertvoller als Gold“.

Die Grünen halten ihren Standpunkt durch

In etwa zeitgleich formulierte die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, Deutschland werde im Zuge der Migration eine anderes Land werden, „und ich freue mich darauf“.

Warum haben die Grünen von der gleichen Position in einer der Schlüsselfragen unserer Zeit profitiert, und die SPD ist abgeschmiert? Warum war das die Wasserscheide, die das Wasser von da an nur noch auf die Mühlen der Grünen lenkte? Weil die Grünen ihren Standpunkt glasklar durchhalten und ihre Klientel diesen Standpunkt auch goutiert. Forderungen und Ansichten der Klientel sind kongruent.

Die SPD, eine Partei von Wankelmut

Nicht so bei der SPD. Deren „grüne“ Position in der Flüchtlingspolitik wird von weiten Teilen ihrer Klientel gar nicht geteilt, weil sie sich diese Position im Unterschied zur Grünen-Klientel gar nicht leisten kann. Die Wähler der Grünen, die wahre Partei der Besserverdienenden, wohnt dort, wo sich die Auswirkungen dieser politischen, einschneidenden Maßnahme nicht zeigen. Und sie können sich die Folgen leichter vom Leib halten.

Noch erschwerender ist, dass die SPD einen Standpunkt nicht durchhält. Wie kann ein und derselbe Mann erst mit einem Jubel-Sticker vor den Kameras stehen und dann drei Jahre später das glatte Gegenteil fordern?  Wer soll einer Partei von dieser Wankelmütigkeit überhaupt irgendeinen Standpunkt abnehmen?

Ein hadernder Haufen

Ebenso verhielt es sich vor vielen Jahren mit der Agenda 2010. Sie ist, obwohl mit dem Makel versehen, nicht gleich den Mindestlohn an die Seite gestellt bekommen zu haben, ein Grund dafür, dass es dem Land heute gut geht. Aber die SPD haderte und zweifelte. Sie wusste über ein ganzes Jahrzehnt nicht, ob sie die Agenda nun für sich in Anspruch nehmen soll und zu ihr stehen, oder sie lieber komplett verteufeln soll.

Und so verschwindet sie zwischen allen Ritzen. Sie ist nicht im Reinen mit sich selbst. Wen soll so ein verzagter und mit sich hadernder Haufen begeistern?

Vor 40 Jahren erkannt, bis heute nicht gebannt

Im Unterschied zu den Grünen, die mit geschwellter Brust für sich in Anspruch nehmen, die einzige Kraft zu sein, die die Welt vor dem Klimauntergang noch retten kann. Weil die Umweltbewegung die Arbeiterbewegung abgelöst hat, haben sie das Momentum obendrein auf ihrer Seite. So wie seinerzeit die SPD, als sie eine ganze gesellschaftliche Klasse aus der Unterdrückung und Benachteiligung führte.

Während sich also die Grünen als Wellenreiter feiern, hadern die Sozialdemokraten führungslos wieder einmal mit sich selbst. Sie haben keine Richtung, keine Führung und auch keine Vorstellung davon, ob sie weiterregieren oder doch lieber eine Regenerierung in der Opposition suchen sollen. Als Kollektiv tun die Sozialdemokraten genau das, was Willy Brandt ihnen schon vor 40 Jahren vorgehalten hat und damals schon nicht austreiben konnte – eine Partei des „donnernden Sowohl als auch“ zu sein.  

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