Nancy Faesers Maßnahmenkatalog - Es gerät etwas aus den Fugen in diesem Land

Nancy Faesers Maßnahmenkatalog gegen Rechtsextremismus ist ein Angriff auf den liberalen Rechtsstaat. Er operiert mit vagen Begriffen und kriminalisiert das Recht des Bürgers auch auf radikale Meinungen.

Nancy Faeser mit Verfassungsschutzpräsident Haldenwang und BKA-Chef Münch (li.) / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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„Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen.“ So die Ansage von Innenministerin Faeser am vergangenen Dienstag in Gegenwart von BKA-Präsident Holger Münch und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang. Menschen mit Freude am Sarkasmus hätten in diesem Moment eigentlich den Verfassungsschutzpräsidenten auffordern müssen, die Innenministerin als Verdachtsfall einzustufen. Aber das wäre natürlich einer Verhöhnung des Staates gleichgekommen und verbietet sich – wie wir nun gelernt haben – von selbst.

So wurde der verblüffte Zuhörer Zeuge der Wiedereinführung des Straftatbestandes der Majestätsbeleidigung unter den Vorzeichen der Demokratie. Eine bemerkenswerte Entwicklung. Man wird sich in Zukunft vorsehen müssen als Kabarettist, um auf keinen Fall den Staat oder die Regierung zu verhöhnen. Besser fährt man, wenn man die Opposition kritisiert oder verspottet.

Unscharfer Staatswohl-Begriff

Apart auch der neue Umgang mit dem ohnehin etwas unscharfen Begriff des Staatswohls. Das wurde bisher zumeist aus dem Zylinder gezaubert, wenn Regierungen auf ihr Recht zur Geheimhaltung pochten und der Öffentlichkeit Informationen vorenthielten.

Doch neuerdings kann das Staatswohl auch durch Meinungen und freie Rede von Bürgern gefährdet werden – auch von Bürgern anderer Staaten. Über den Begriff „Remigration“ zu diskutieren sei zwar nicht strafrechtlich relevant, aber eben staatswohlgefährdend, so Bundesverfassungsschutzpräsident Haldenwang. Daher sei es auch zu begrüßen, dass etwa der Begriff „Remigration“ zum Unwort des Jahres gewählt worden sei. Denn entsprechende Denk- und Sprachmuster dürften sich nicht in unsere Sprache einnisten. Welch eine bemerkenswerte Entwicklung: Der Verfassungsschutzpräsident als Wächter unseres Denkens und Redens.

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Dazu passt, dass es in Zukunft nicht allein tatsächliche verfassungsfeindliche Bestrebungen sind, die Eingriffe der Behörden rechtfertigen, sondern schon der Verdachtsfall ein solches Vorgehen rechtfertigen kann. Ohnehin lohnt es sich, auf die Sprache von Frau Faeser zu achten: „Ich will mit einer Gesetzesänderung deshalb dafür sorgen, dass es auf das Gefährdungspotenzial ankommt“, so die Bundesinnenministerin. Dabei gehe es um „Aktionspotenzial und gesellschaftliche Einflussnahme“. Nur wie das Potential genau definiert werden soll, wann ein Gefährdungspotential vorliegt, das ließ Frau Faeser im Dunkeln. Die Botschaft lautet: Überall dort, wo möglicherweise, eventuell und gegebenenfalls Gedankengut im Umlauf ist, das man als potentiell rechtsextrem deklarieren kann, werden die Sicherheitsorgane „jeden Stein umdrehen“.

Kampf gegen unliebsame Meinungen

Es gerät etwas aus den Fugen in unserem Land. Unter dem Vorwand, den politischen Extremismus zu bekämpfen, bekämpft man nicht nur Extremisten, sondern befugt Polizei und Verfassungsschutz, gegen unliebsame Meinungen und Ansichten vorzugehen. Dafür wird ganz bewusst der Begriff des Extremismus zwischen den Zeilen geweitet. Denn erkennbar geht es nicht nur um den Kampf gegen Rechtsextreme allein. Es geht um den Kampf gegen rechts und gegen alles, was man für rechts hält oder als rechts etikettieren kann. Und dazu gehören Meinungen und Ansichten zu Migration, zur inneren Sicherheit, zur Umwelt- oder Energiepolitik, die von der linken politischen Agenda abweichen, so wie sie von der Bundesregierung vertreten werden.

Zu diesem Zweck scheut man nicht davor zurück, massiv und mit autoritärem Gestus in die Gesellschaft einzugreifen. Zumindest hat es einen faden Beigeschmach, wenn Frau Faeser sich vornimmt, die Resilienz von Journalisten zu stärken und den öffentlichen Rundfunk zu schützen. Denn der Schutz der Resilienz von Journalisten gehört sicher nicht zu den Aufgaben des Innenministeriums.

Politisierung aller Lebensbereiche

Mindestens ebenso problematisch ist die radikale Politisierung quasi aller Lebensbereiche, die mit dem Kampf gegen Rechtsextremismus einhergeht. So sollen etwa Sportvereine und -verbände mit dem Ziel gefördert werden, „die demokratisch-integrative Kraft im gemeinnützigen, organisierten Sport zu stärken“. Wo es früher entpolitisierte Räume gab und Menschen über ideologische Grenzen hinweg Fußball, Handball oder was auch immer spielten, sollen nun die Vereine auf Linie gebracht werden.

Deutschland bewegt sich auf eine zunehmend abschüssige Bahn. Wir laufen Gefahr, zu einem Gesinnungsstaat zu werden. Man beginnt rhetorische Drohkulissen aufzubauen. Die sollen vor allem pädagogische Wirkung haben. Der Bürger soll richtig denken und richtig sprechen. Und all jene, die sich dem richtigen Denken und Sprechen verweigern, sollen eingeschüchtert werden, auf dass die Schweigespirale sich zu drehen beginnt und nur noch die offiziellen Sprachregelungen selbst das private Sprechen beherrschen.

Welch ein unwürdiges Szenario für eine Demokratie!

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