Mona Neubaur - Räubertochter als Ministerin

Sie ist ein Naturmensch vom Dorfe. Jetzt, nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, will Mona Neubaur das Ruhrgebiet klimafreundlich machen. An der Grünen-Politikerin kommt in Düsseldorf keiner vorbei.

An der Landesvorsitzenden der Grünen Mona Neubaur wird in NRW kein Weg vorbei führen / dpa
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Maximilian Plück leitet die Redaktion Landespolitik bei der Rheinischen Post

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Fragt man Mona Neubaur danach, wer sie dazu gebracht habe, aktiv in die Politik zu gehen, dann sind es nicht etwa Grünen-Promis wie Petra Kelly, Joschka Fischer oder sonstige Ikonen ihrer Partei. Die Grünen-Co-Chefin von NRW kramt stattdessen einen Sozialdemokraten aus der Schublade: Franz Müntefering sei das gewesen, sagt die 44-Jährige. Und grinst herausfordernd, um das Rätsel nach kurzer Kunstpause aufzulösen. Am Abend des 22. Mai 2005 hatte die politisch zwar interessierte, aber nicht engagierte Neubaur mit Freunden eine Wahlparty veranstaltet. Im Fernsehen verfolgten sie, wie Jürgen Rüttgers (CDU) nach knapp 40 Jahren die Sozialdemokraten in ihrer Herzkammer aus dem Amt trieb. Nach Bekanntgabe des Ergebnisses trat Müntefering vor die Kameras, um Neuwahlen auch im Bund zu verkünden. „Da habe ich gedacht: Jetzt brauchen wir die Grünen.“ Sie meldet sich beim Kreisverband Düsseldorf und wird gleich für die Wahlkampfkommission akquiriert. Es ist der Beginn einer Berufspolitikerinnen-Karriere. 

17 Jahre später sieht es so aus, als rückte Neubaur endgültig in die erste Reihe der Landespolitik auf. Dass sie im neuen NRW-Kabinett einen Ministerposten und das Amt der Vize-Ministerpräsidentin in Anspruch nimmt, gilt als ausgemachte Sache. An der blonden Frau, die stets im schwarzen Outfit mit weißen Turnschuhen in Erscheinung tritt, die bislang über keinerlei Parlaments- oder Regierungserfahrung verfügt, führt in Düsseldorf wohl kein Weg mehr vorbei. Dabei ist die grüne Königsmacherin unüberhörbar keine Nordrhein-Westfälin, sondern stammt aus dem bayerischen Dorf Oberpeiching, 188 Einwohner. Die Mutter war Krankenschwester, blieb aber bei Mona Neubaur und ihrem Bruder daheim, der Vater war Justizbeamter. „Ich habe in meiner Kindheit immer gedacht, ich sei Ronja Räubertochter. Vor mir lag die gefühlt größte aller Welten, in der ich mich frei bewegen konnte.“ Mit ihrem älteren Bruder streift Neubaur stundenlang in der Natur umher. Als erstes Mädchen des Dorfes kommt sie aufs Gymnasium. 

Von Oberpeiching nach NRW

Die Enge von Oberpeiching wird trotzdem irgendwann offensichtlich. Es wird getuschelt, als Neubaur nicht mehr in die Dorfkirche geht. Sie beschließt, weit weg von der Heimat zu studieren. Ihre Wahl fällt auf NRW, weil es die Konstellation von Fächern – Pädagogik, Soziologie und Psychologie – nirgends sonst gab. Parallel zum Studium in Düsseldorf, das sie mit Diplom abschließt, arbeitet sie beim Energieanbieter Naturstrom und landet dort in der Öffentlichkeitsarbeit. „Ich war Ende 20 und musste mich dann auf Podien mit den gestandenen Stadtwerke-Chefs in Doppelreiher-Goldknopf-Sakkos auseinandersetzen, die sich von einer jungen Frau erklären lassen sollten, dass die Energiewende eine Chance für die Energiewirtschaft ist.“ Doch sie zieht weiter, wird bei der Böll-Stiftung NRW erst Referentin für Umwelt, Demokratie, später arbeitet sie vier Jahre lang als deren Geschäftsführerin.

Die politische Karriere will anfangs nicht so recht in Schwung kommen. Zweimal, 2009 und 2013, kandidiert sie erfolglos für den Bundestag. Bei der Landtagswahl 2017 verzichtet sie bewusst auf eine Kandidatur. „Ich hatte nicht das Gefühl, als Parteivorsitzende fertig zu sein. Ich war ja 2014 auf einen Schnellzug aufgesprungen.“ Die rot-grüne Landesregierung befindet sich damals in einem Krisenreaktionsmodus: Flüchtlingskrise, Verunsicherung in der Innenpolitik sowie der Schul- und Bildungspolitik, aber auch im Bereich Umwelt. Das Wahlergebnis fällt katastrophal aus.

Wenn zwei sich streiten...

Doch Neubaur gelingt in den fünf darauffolgenden Jahren die Aktion Revitalisierung mit einem starken Abschneiden bei der Europa- und Kommunal- und nun auch der Landtagswahl. Im Wahlkampf haben die Grünen sich aus der Schlammschlacht, die sich SPD und CDU lieferten, herausgehalten. „Wenn zwei sich streiten, arbeitet der Dritte“, sagte Neubaur nach dem Wochenende, an dem die CDU nach dem Sturz ihrer Umweltministerin Ursula Heinen-Esser über ihr „Mallorca-Gate“ mit Vorwürfen gegen die SPD in Sachen Ausspähversuche und Russland-Connection massiv zurückgekeilt hatte. „Wir betreiben den Wahlkampf mit Ernsthaftigkeit und Zuversicht.“ 

Dabei ist ihr der Spagat gelungen, sowohl im Lager der Klimaaktivisten zu punkten als auch Vorbehalte in der nordrhein-westfälischen Industrie abzubauen. Kurz vor der Wahl lud Neubaur Evonik-Chef Christian Kullmann als Gastredner zum kleinen Bundesparteitag nach Düsseldorf, der sich dann mit einer Lobhudelei auf die Ökopartei revanchierte. Das passt zu Neubaurs Ziel, NRW zur ersten klimaneutralen Industrieregion Europas zu machen. Als pragmatische Räubertochter wird sie an die Arbeit gehen.

 

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen.

 

 

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