Ministerpräsidentenkonferenz - Politischer Kehraus

Versprechen gebrochen, falsche Hoffnungen geweckt, Ungeimpfte vom öffentlichen Leben ausgeschlossen - der heutige „Corona-Gipfel“ war eine weitere Wegmarke in Richtung einer dystopischen Gesellschaft.

Gleich zwei Bundeskanzler kuratierten heute weitere Freiheitseinschränkungen / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Wenn es jetzt heißt, Bund und Länder hätten sich auf deutschlandweit „deutlich schärfere Vorgaben und Einschränkungen“ geeinigt, um die vierte Corona-Welle in Deutschland zu brechen, mag das nach den Aufgeregtheiten der vergangenen Tage und angesichts steigender Infektionen willkommen und vielleicht sogar sinnvoll erscheinen. Tatsächlich aber sind die Ergebnisse der heutigen Ministerpräsidentenkonferenz vor allem eine Bankrotterklärung wenn nicht der Politik, so doch zumindest der politischen Kommunikation.

Aber weil in einer Demokratie die Kommunikation zwischen den Bürgern und den Parlamenten beziehungsweise der Regierung ein unerlässlicher Transmissionsriemen ist, der letztendlich so etwas wie die Legitimitätsgrundlage unseres Gemeinwesens darstellt, wird auch der heutige Tag nicht als Sternstunde in die bundesrepublikanische Geschichte eingehen. Denn die neuen „Maßnahmen“ sind vor allem eines: ein faktisches Eingeständnis der Politik, falsche Hoffnungen geweckt zu haben.

Denn natürlich steht zuallererst eine ganz große Frage im Raum: Wie kann es eigentlich sein, dass die Inzidenzen höher sind denn je, wo doch im Vergleich zu vor einem Jahr ein Großteil der Menschen geimpft ist? Dass die Vakzine noch vor einigen Monaten als „Gamechanger“ in der Pandemie angepriesen wurden, war zweifelsfrei mehr Ausdruck von Hoffnung als eine Gewissheit. Natürlich ahnte damals wohl kaum jemand, dass die Wirkung der Impfstoffe relativ bald wieder nachlassen würde, dass also schon wenige Monate nach dem zweiten „Pieks“, wie es immer so verniedlichend heißt, ein weiteres Nachboostern nötig ist. Das wirft den politischen Verantwortungsträgern aber auch keiner vor. Sehr wohl hingegen andere Dinge, die in ihrer Gesamtheit erheblich zur gegenwärtigen Frustration beigetragen haben.

Ungedeckte Versprechungen

Da wäre zum einen das bis vor Kurzem noch ubiquitäre Versprechen durch praktisch alle Parteien hinweg, niemand werde dazu verpflichtet, sich impfen zu lassen – weil es dabei ja nicht zuletzt um Selbstschutz gehe. Dass es nun ganz anders kommen soll, dass schon mit der neuen Beschlusslage die Ungeimpften faktisch vom sozialen Leben ausgeschlossen sind, wäre noch im Sommer als Verschwörungsszenario gebrandmarkt worden, das unverzüglich sämtliche „Faktenchecker“ dieses Landes auf den Plan gerufen hätte. Womit hier, und das muss man inzwischen ja stets ausdrücklich betonen, nicht die Sinnhaftigkeit des Impfens an sich in Frage gestellt werden soll. Nur eben der Umgang mit der ernüchternden Tatsache, dass die Pandemie trotz der Vakzine offenbar heftiger wütet als je zuvor.

Der künftige Bundeskanzler Olaf Scholz moderiert diesen Sachverhalt in einem aktuellen Zeit-Interview mit der lakonischen Bemerkung ab: „Wenn sich die Lage ändert, muss man seine Position überdenken.“ Das mag wohl sein. Allerdings könnte man als Bürger auch erwarten, dass Politiker zumindest dieses Kalibers eine mögliche Lageänderung antizipieren. Anstatt aus wahlkampftaktischen Gründen falsche oder zumindest ungedeckte Versprechungen abzugeben, die es alsbald wieder zu revidieren gilt.

„Diese Wochen zeigen gerade“, so Scholz in besagtem Interview, „welche bösen Folgen es haben kann, wenn nicht genügend Bürgerinnen und Bürger geimpft sind.“ Leider ist es nur so, dass diese Aussage einigermaßen unhinterlegt ist, solange nicht einmal der Präsident der „Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin“ (DIVI), Gernot Marx, im Bundestag Auskunft darüber geben kann, wie hoch der Anteil der Ungeimpften an den Covid-Patienten auf den Intensivstationen überhaupt ist. Dass sie überproportional oft entsprechend behandelt werden müssen, mag man durchaus glauben. Aber um Akzeptanz für eine derart harsche Ungleichbehandlung finden zu können, wären ein paar valide Daten sicherlich nicht verkehrt. Sonst könnte nämlich der Eindruck entstehen, dass da gerade mit der Schrotflinte in den dunklen Raum geballert wird. Und zwar als pures Ablenkungsmanöver. Die Ungeimpften mögen sich irrational verhalten, zumindest aus epidemiologischer Makro-Perspektive. Für die Politik sind sie derzeit aber zweifelsfrei ein Mittel zur Rechtfertigung eigener Unzulänglichkeit.

Gewöhnungseffekt

Vieles, allzu vieles ist im Zuge der Corona-Bekämpfung nicht nachvollziehbar gewesen – und ist es bis heute nicht. Das Problem daran ist ein gewisser Gewöhnungseffekt: Wer „Maßnahmen“, und seien sie noch so absurd oder diskriminierend, hinzunehmen lernt, der verliert auf der Strecke auch jegliche Sensibilität gegenüber anderen Freiheitseinschränkungen. Die Pandemie darf aber nicht dazu führen, eine ganze Gesellschaft dergestalt weichzukochen, dass einstige Dystopien als neue Realität akzeptiert werden. Der heutige „Corona-Gipfel“ ist aber in dieser Hinsicht eine abermalige Wegmarke. Nicht zuletzt unter dem Aspekt, dass er von gleich zwei Bundeskanzlern kuratiert wurde. Dass Angela Merkel sich im Anschluss daran zum Großen Zapfenstreich verabschieden durfte, um es dort musikalisch rote Rosen regnen zu lassen, ist da ein eher schwacher Trost.

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