Lauterbach bei Maybrit Illner - Von der Leine gelassen

Karl Lauterbach hat es als neuer Gesundheitsminister nun auch in den Titel einer Talkshow geschafft. Zu dem Thema „Corona – neuer Minister, neue Sorgen?“ diskutierten eben jener Lauterbach, Tobias Hans (CDU), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die Physikerin Viola Priesemann und die Journalistin Tina Hildebrandt. Dabei machte der Gesundheitsminister eine durchaus respektable Figur.

Der neue Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu Gast bei Maybrit Illner / Screenshot aus der Sendung
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Autoreninfo

Jonas Klimm studierte Interdisziplinäre Europastudien in Augsburg und absolvierte ein Redaktionspraktikum bei Cicero.

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Als das Gästetableau der jüngsten Maybrit Illner-Ausgabe bekannt gegeben wurde, herrschte unter Lauterbach-Fans allenthalben Erleichterung. Das Signal des Talkshow-Auftritts war klar: Ich war dabei, und ich werde auch künftig dabei bleiben. Die Sorge, Lauterbachs lange ersehntes und nun endlich erreichtes Amt als Gesundheitsminister könnte ihm endgültig keine Zeit mehr lassen, im inoffiziellen Ranking als meisteingeladener Talkshowgast des Landes zu reüssieren, wurde damit zerstreut. Nun flimmert der mit Amtsdignität ausgestattete Rheinländer also weiter (unter anderem) donnerstagabends über die TV-Bildschirme dieses Landes, während seinem Vorgänger Jens Spahn (CDU) nichts davon geblieben ist: weder das Amt noch die Aufmerksamkeit. 

Somit wundert es nicht, dass Maybrit Illner zunächst auf die Person Lauterbach abhebt, der „gestern noch Gesundheitsminister der Herzen war und heute echter Gesundheitsminister“ (O-Ton Illner) ist. Die Themen Omikron und Impfpflicht müssen sich hintanstellen. Zunächst darf Marie-Agnes Strack-Zimmermann ihre Ansicht zu Scholz’ Wahl des Gesundheitsministers abgeben. Illner möchte von ihr wissen, ob sie vor der Wahl bei einem Gesundheitsminister Lauterbach die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen hätte. Antwort der Verteidigungsexpertin: „Nein, überhaupt nicht. In der Tat hat er auch selten danebengelegen.“ Für Lob ist es am zweiten Tag der Ampel-Koalition wohl noch zu früh, anders kann das rhetorische Herauswinden nicht verstanden werden. 

Beste Wünsche vom politischen Gegner

Nächster Versuch von Illner, dieses Mal bei der Physikerin Viola Priesemann, aus ihr müsste doch etwas deutlich Positiveres über Lauterbach hervorzulocken sein, so von Wissenschaftlerin zu Wissenschaftler. Doch auch hier vorsichtige Zurückhaltung. Sie schätze Lauterbach sehr dafür, dass „er sich extrem gut in das Thema eingelesen hat“. Ist das bereits ein Lob, oder sollte das nicht von jedem Minister erwartet werden können? Nachdem die Journalistin Tina Hildebrandt Lauterbach attestiert, dass dieser eine „gesundheitspolitische Wundertüte“ sei, springt dann doch noch jemand für ihn in die Bresche. Von Illner gefragt, ob der Union in Anbetracht der Lage nicht mehr Selbstkritik guttun würde, zeigt sich Tobias Hans zuvorderst ganz entzückt über den neuen Gesundheitsminister. „Ich möchte Karl Lauterbach zu seinem neuen Amt gratulieren. Ich will, dass er Erfolg hat. Ich werde nicht gleich auf ihm rumhacken, auch wenn mal ein Fehler passiert.“ Sollte Armin Laschet in diesem Moment vor dem Fernseher gesessen haben, wird er bei so viel Kollegialität, sogar zwischen unterschiedlichen Parteien, eine Träne verdrückt haben. 

Nach der Hauptpersonalie dieser Tage das Hauptthema derselben: Omikron. Großer Auftritt von Lauterbach. „Gestern hatten wir 1,1 Millionen Impfungen, das war ein neuer Impfrekord. Bis Ende des Jahres haben wir genug Impfstoff, das habe ich präzise geprüft“, sagt er. Und fügt sogleich hinzu: „Morgen machen wir in Vollbesetzung eine Inventur im Haus, das betrifft den Impfstoff für nächstes Jahr. Wir werden jeden Stein umdrehen“, verspricht er. Mit den Impfstoffherstellern sei er schon in Kontakt, sollte es einen auf die Omikron-Variante angepassten Impfstoff geben, „werden wir den auch bekommen“. Lauterbach lässt zudem keinen Zweifel daran, dass er schon an der Europäischen Union vorbei bilateral mit den Herstellern verhandelt. Selbstverständlich muss sich Lauterbach an seinen Taten messen lassen. Wie er spricht, und wie er scheinbar innerhalb von zwei Tagen als neuer Gesundheitsminister bereits handelt, überzeugt aber. Lauterbach wirkt im besten Sinne wie ein Hund, der nach Jahren der Ankettung endlich von der Leine gelassen wurde. 

Genug Impfstoff für Omikron

Zurück zu Omikron: Ein Einspieler erklärt, dass momentanen Studien zufolge mit der doppelten Impfung nach sechs Monaten kein Schutz mehr vor einer Ansteckung mit der neuen Variante besteht. Lauterbach bestätigt das, betont aber erneut, er habe noch am heutigen Tag im Gesundheitsministerium dafür gesorgt, dass es genug angepassten Impfstoff für die Omikron-Variante geben werde. Ob die derzeitige Impfung trotzdem vor schweren Verläufen wegen Omikron schütze, dazu gebe es noch keine Daten, sagt Priesemann. 

„Sollten die Zahlen wieder schnell steigen, bräuchten wir schnelle und harte Maßnahmen. Niemand möchte mehr einen Lockdown light oder mittel“, ergänzt Priesemann. „Kurz und hart durchgreifen bringt langfristig weniger Belastung als diese halben Lockdowns“, so die Physikerin. Illner nutzt die Gunst der tristen Stunde. Sie möchte aus ihren Diskutanten herauslocken, ob ein Lockdown im ganzen Land wieder möglich werden könnte. „Es gibt schon genug Gastwirte, die sagen, am liebsten wäre mir, es wäre wieder zu. Es ist zwar offen, aber keiner kommt. Würden Sie sagen, es muss schnell eine Entscheidung her?“

Es folgt der stärkste Moment von Strack-Zimmermann an diesem Abend, sichtlich irritiert über Illners Frage, die jeglicher Beweise für ihre Behauptung schuldig bleibt: „Es ist nicht so, dass die Restaurants alle leer sind. Was passiert denn, wenn wir die Restaurants schließen? Dann treffen sich die Leute zuhause oder bei Freunden und feiern dort. Ich verstehe aus wissenschaftlicher Sicht, dass die harte Antwort vernünftig wäre. Aber diese Welt kann man nicht nur wissenschaftlich betrachten, man muss sie auch sozial betrachten. Es muss einen Weg geben, dass das gesellschaftliche Leben nicht völlig zum Erliegen kommt.“

Kein Impfregister in Deutschland

Bei diesem Punkt ist sich die FDP seit Pandemiebeginn größtenteils treu geblieben. Beim Thema allgemeiner Impfpflicht geraten die Liberalen hingegen seit einiger Zeit ins Schleudern. Stets betonte Christian Lindner, dass es zu keiner Impfpflicht kommen werde. Vor kurzem bezeichnete er diese aber als „verhältnismäßig“, das heißt, sie wird wohl kommen. Strack-Zimmermann bemüht zur Erklärung des Sinneswandels bei Maybrit Illner das Bild eines Brandes: Wenn es brenne und mit einem kleinen Schlauch das Feuer nicht gelöscht werden könne, benötige es eben einen größeren. Nicht der glücklichste Vergleich der sonst so schlagfertigen FDP-Politikerin. 

Bleibt noch die Frage, wie Impfverweigerer „aufgespürt" und anschließend sanktioniert werden können. In Deutschland gibt es kein Impfregister wie beispielsweise in Österreich, wo sich Impfverweigerer ab März kommenden Jahres auf 600 Euro Strafzahlung alle drei Monate einstellen können. Wie also sollen die ungeimpften Personen in Deutschland gefunden werden, fragt Illner. Antwort Tobias Hans: „Wir können auf Basis unserer jetzigen Daten sehen, in welchen Gegenden zu wenige Menschen geimpft sind.“ Ein Sinnbild für Deutschland nach 21 Monaten Pandemie: Im Dunkeln tappen ist zur Normalität geworden.

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