CDU-Abgeordneter in Marzahn-Hellersdorf - „Menschen am Stadtrand fühlen sich von den Linken nicht mehr vertreten“

Mit seinem Bundestagsdirektmandat in Marzahn-Hellersdorf ist Mario Czaja (CDU) ein historischer Erfolg gelungen. Denn lange Zeit war der Ostberliner Bezirk fest in den Händen der Linken-Politikerin Petra Pau. Die Linke wirft ihm unsaubere Methoden vor, Czaja weist die Vorwürfe als „absurd“ zurück und nennt andere Gründe für seinen Erfolg.

Das ehemalige IGA-Gelände in Berlin-Marzahn mit Sicht auf Plattenbauten und den Berliner Fernsehturm / dpa
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Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Mario Czaja (CDU) wurde 1975 in der Charité geboren, er ist in Berlin-Mahlsdorf aufgewachsen und ging in der heutigen Ulmen-Grundschule in Kaulsdorf-Süd zur Schule. Ab 2011 war er Senator für Gesundheit und Soziales in Berlin, dieses Jahr wurde er für seinen Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf direkt in den Bundestag gewählt.

Herr Czaja, das Direktmandat für Marzahn-Hellersdorf war die letzten zwei Jahrzehnte fest in Petra Paus Händen, nun haben Sie es ihr überraschend deutlich abgerungen. Waren Sie vom Ergebnis so überrascht wie die meisten?

Nein. Ich war überrascht über den Abstand – dass die Linke nochmal so viel verliert, hatte ich nicht erwartet. Ich wusste zwar, dass Petra Pau von Bundestagswahl zu Bundestagswahl eine bestimmte Anzahl an Wählern verliert, aber dass sie nochmal 16000 Stimmen verliert, hätte ich nicht gedacht. Ich hatte es allerdings für durchaus möglich gehalten, dass ich den Wahlkreis direkt gewinne.

Wie erklären Sie sich den Umschwung?

Auf der Straße habe ich schon gespürt, dass da gerade etwas ganz Wesentliches passiert. Bei den Informationsständen zum Thema „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ und der Auswirkung auf die Genossenschaften, kamen vor allem die Älteren, die Ur-Marzahner zu mir und sprachen mit mir. Die in der Vergangenheit stets zu den Stammwählern der Linken gehörten, sich aber von der stark ausgeprägten Innenstadtpolitik der Linken hier am Stadtrand nicht mehr vertreten fühlen.

Sie haben im Wahlkampf gesagt, „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ wolle auch Genossenschaften enteignen, obwohl das nicht im Gesetzesvorschlag der von den Linken unterstützten Initiative steht. In Marzahn-Hellersdorf gehören fast ein Viertel aller Wohnungen Genossenschaften. Die Linke wirft Ihnen deswegen gezieltes Lügen vor.

Derartige Vorwürfe sind absurd. Der Beschlusstext riskiert, dass auch Genossenschaften enteignet werden; ob gewollt oder ungewollt. Mir war es wichtig, auf diese Gefahr hinzuweisen. Zur Abstimmung stand kein Gesetzesvorschlag, sondern ein verkürzter Beschlussentwurf, der keine wirksamen Ausnahmen für Genossenschaften enthält. Übrigens erst, nachdem ich die Kritik dazu geäußert habe, wurde ein Gesetzentwurf nachgereicht. Darin werden zwar Ausnahmen für Genossenschaften als Willenserklärung benannt, allerdings bleibt es weiterhin juristisch umstritten, ob eine Abgrenzung zu anderen privatwirtschaftlichen Gesellschaften möglich ist und verfassungskonform wäre.

Inwiefern umstritten?

Mario Czaja / dpa

Gerade die betroffenen Genossenschaften haben selbst eine Reihe an Gutachten erstellt und verweisen in ihren Publikationen – genauso wie ich – auf das Risiko, dass man mit einem Volksbegehren allein unter dem Gleichheitsgrundsatz nicht eine Form davon ausnehmen kann. Genossenschaften sind privatwirtschaftlich organisiert, sie gehören nämlich den Genossenschaftsmitgliedern, die eine Gewinnerzielungsabsicht haben. Damit kann man sie nicht von der Forderung ausnehmen, wenn man der Auffassung ist, dass man alle Wohnungsbaugesellschaften über 3000 Wohneinheiten – übrigens eine willkürlich gegriffene Zahl – enteignen will.

Die Initiative entgegnet, das Argument sei juristisch zu kurz gegriffen. Zwar seien Genossenschaften tatsächlich „nur“ Gemeingut ihrer Mitlieder, aber Artikel 15 des Grundgesetzes beziehe sich auch auf „andere Formen von Gemeinwirtschaft“, wenn ihr Hauptzweck nicht der Profit ist, sondern die Versorgung ihrer Mitglieder mit einem lebensnotwendigen Gut. Genossenschaften zählen laut Initiative dazu.

Genossenschaften sind keine gemeinwirtschaftlichen Unternehmen, sie gehören nicht und dienen auch nicht der Allgemeinheit und stehen eben nicht im öffentlichen Eigentum. Auch Genossenschaften erwirtschaften Gewinne und dies ist auch im Sinne ihrer Mitglieder und Mieter, um Bestände zu sanieren sowie Neubau zu finanzieren. Übrigens hat man mit der gleichen Argumentation zur Gemeinwirtschaft gesagt, man nehme die Genossenschaften beim Mietendeckel und bei der Zweckentfremdung – beide ebenfalls mit dem Gleichheitsgrundsatz begründet – außen vor. Das hat nicht geklappt, denn die darin beschriebene Form des gemeinwohlorientierten Eigentums gibt es in Deutschland gar nicht, worauf selbst Die Linke in ihren Publikationen hinweist.

Frau Pau hat über Sie im Interview mit dem Tagesspiegel gesagt: „Er versteht es sehr gut zu verschweigen und zu verstecken, dass er in der CDU ist.“ Trifft sie einen Punkt?

Das ist vielleicht die Sicht von Frau Pau. Die Wählerinnen und Wähler wissen sehr wohl, dass ich für die CDU kandidiert habe, aber sie haben mich häufig vor allem als Person unterstützt. Das war übrigens auch Petra Paus Vorteil in den vergangenen Jahren. Sie hat immer viel mehr Wählerinnen und Wähler an sich gebunden als ihre Partei, ähnlich wie Gregor Gysi oder auch Gesine Lötzsch. Bei Gregor Gysi war gar kein Parteilogo mehr zu sehen, weil sein persönlicher Bezug so stark ist. Die Linke hatte bei der letzten Wahl 30000 Zweitstimmen und Petra Pau hatte fast 47000 Erststimmen. Das heißt, jeder Dritte, der bei der letzten Wahl Petra Pau gewählt hat, hat nicht mit der Zweitstimme Die Linke gewählt. Bei mir ist es jetzt so, dass jeder Zweite, der mich gewählt hat, eine andere Partei gewählt hat.

In einem Werbe-Video auf Ihrer Facebook-Seite sieht man Sie vor einem sozialistischen Wandgemälde, Sie werben darin mit Gregor Gysi und kritisieren die fehlende Akzeptanz ostdeutscher Lebensleistungen. Wie viel Die Linke war in Ihrem Wahlkampf?

Aus welchem Teil Deutschlands kommen Sie?

Niedersachsen.

Dann verstehe ich auch ihre Frage. Aber hier geht es nicht um ein Thema der Linken. Ich setze mich seit vielen Jahren dafür ein, die Lebensleistung der Menschen im Osten zu akzeptieren und auch wertzuschätzen und ihnen nicht den Eindruck zu vermitteln, dass das ein Teil ihres Lebens ist, den man am besten auslöscht. Sondern dass sich darauf Erfahrungen für das wiedervereinigte Deutschland ergeben, die gewinnbringend und sinnstiftend sind. Die Anerkennung ostdeutscher Lebensleistungen ist kein Thema, das man alleine den Linken überlassen sollte. So halte ich es seit mehr als zwei Jahrzehnten und sehe mich dabei durchaus unterstützt von zahlreichen Parteifreunden.

Sie haben Recht, das ist nicht per se ein Linken-Thema. Aber die anderen Punkte zeugen zumindest von Die-Linke-Motiven.

Parteien vermitteln gerne den Eindruck, sie alleine hätten ein bestimmtes Thema gelöst – das gilt sowohl für Die Linke als auch für die CDU und andere Parteien. Ich will mit dem Video ausdrücken, dass die Wählerinnen und Wähler wissen, dass es zum Beispiel eine Gemeinschaftsleistung war, das Krankenhaus Kaulsdorf zu erhalten und eine Lösung zu finden, es wirtschaftlich und qualitativ hochwertig zu erhalten. Gregor Gysi schreibt in einem Buch über diesen gemeinsamen Kampf für dieses Haus und die gesundheitliche Versorgung in dieser Region. Ich weise in dem Video darauf hin, dass ich als Senator meinen Beitrag dazu leisten konnte, dass 35 Millionen Euro Fördermittel dafür zur Verfügung gestellt wurden und dass damals die Kooperation mit Gregor Gysi begann.

Trotz der CDU-Erfolge in Ostberliner Bezirken fiel bei Verteilung der Listenplätze für die Bundestagswahl von den zehn Kandidatinnen nur eine aus einem reinen Ostberliner Bezirk. Hätten Sie das Direktmandat knapp verpasst, hätten Sie also nicht über Landesliste in den Bundestag einziehen können – trotz eines bemerkenswerten Ergebnisses. Ärgert Sie das?

Ich habe bereits öffentlich und in aller Deutlichkeit kritisiert, dass die Berliner CDU dem Osten der Stadt erneut keine aussichtsreichen Listenplätze gegeben hat. Ich werbe bei den Wählerinnen und Wählern um das Vertrauen. Diese können entscheiden, ob die Liste das Entscheidende ist oder die Direktmandate. Und sie haben sehr deutlich entschieden.

Kann die Bundes-CDU von Ihrem Erfolg etwas lernen?

Ich halte nichts davon, anderen ungefragt Ratschläge zu geben. Das Ergebnis auf Bundesebene hat viele Gründe, ein wichtiger ist sicherlich die Frage der Kanzlerkandidatur – und da war es sehr deutlich so, dass Armin Laschet ein Angebot gemacht hat, das einem Großteil der Wählerinnen und Wähler nicht zugesagt hat. Wir in Marzahn-Hellersdorf sind gegen den Trend aus der Kommunalwahl als stärkste Partei hervorgegangen, weil wir hier seit Jahren eine eng abgestimmte und verzahnte Kommunal-, Landes- und Bundespolitik betreiben, die dauerhaft dicht bei den Sorgen und Problemen der Menschen ist. Womit ich aber nicht sagen will, dass das nicht auch in anderen Teilen des Landes bei der CDU passiert.

In Hellersdorf ist jedes zweite Kind von Hartz IV betroffen. Was für eine Politik möchten Sie die nächsten vier Jahre für die weniger privilegierten Menschen machen?

Die Zahlen, die Sie gerade nennen, haben wir auch in Marzahn. Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf besteht zu zwei Dritteln aus der Großsiedlung, was man in Westdeutschland gemeinhin Plattenbausiedlung nennt, und zu einem Drittel aus einem Einfamilienhausgebiet. Der Bezirk Marzahn-Hellersdorf hat fünf Ortsteile, in Marzahn und Hellersdorf sind die sozialen Herausforderungen sehr viel größer als in den Einfamilienhausgebieten in Biesdorf, Kaulsdorf und Mahlsdorf.

Womit wollen Sie die sozialen Herausforderungen angehen?

Mir ist es wichtig, dass wir die Unterstützungsprogramme des Bundes – etwa Austausch- und Stipendienprogramme – für die sozial prekären Kieze noch stärker in den Bezirk holen. Vereinen und Institutionen muss dabei geholfen werden, Patenschaftsprojekte umzusetzen, wie wir sie vom Straßenkinder e.V. und von der Arche kennen. Davon sollte es noch viel mehr geben. Dazu gehört aber auch das Förderprogramm für Sport- und Freizeitanlagen – es gibt rund 60 Freibäder in Berlin, in Marzahn und Hellersdorf ist kein einziges vorhanden. Gleichzeitig verlassen 30 Prozent der Drittklässler die Schule, ohne dass sie schwimmen können. Außerdem soll der Wirtschaftsstandort Marzahn-Hellersdorf gestärkt werden. Der Bezirk hat weiterhin das Potenzial das Schlafstadtimage abzulegen auch in dem neue Arbeitsplätze entstehen und sich neues Gewerbe ansiedelt.

Wie genau?

Wir haben ein großes Gewerbegebiet, den CleanTech Business Park, der größer als die Gewerbegebiete von Tegel und Tempelhof zusammen ist. Trotzdem ist es in den letzten Jahren nur unzureichend gelungen, dort Unternehmen anzusiedeln. Das liegt auch daran, dass dort ein wissenschaftlicher Kern als Katalysator, eine universitäre Einrichtung, fehlt. Das, was in Adlershof beispielhaft gelungen ist, möchte ich auch in Marzahn-Hellersdorf umsetzen.

Viele Menschen aus dem Stadtzentrum ziehen wegen der hohen Mieten an den Stadtrand. Sehen Sie die Gefahr, dass die weniger wohlhabenden Menschen im Bezirk noch weiter an den Rand verdrängt werden?

Ich sehe eine Gefahr darin, dass momentan jede vierte neue städtische Wohnung in Marzahn-Hellersdorf gebaut wird, während in der Innenstadt kaum Wohnungen gebaut werden. Ich sehe in der sehr hohen Sozialquote, dass jede zweite Wohnung mit einem WBS-Schein vergeben wird, ein Problem. Weil sich so sozial besonders herausfordernde Kieze bilden und die, die es sich leisten können, wegziehen. Vor allem die Genossenschaften haben in den vergangenen Jahren sehr gute Arbeit geleistet, weil sie immer großen Wert darauf gelegt haben, eine gesunde Durchmischung in Wohnungsbeständen zu gewährleisten. Das gelingt ihnen besser als den städtischen Gesellschaften, weil sie nicht die staatlichen Vorgaben umzusetzen haben. Wenn der Staat vorgibt, dass jede zweite städtische Wohnung mit einem WBS-Schein vergeben werden soll, dann mag das in Berlin-Mitte, wo die städtische Gesellschaft 10 Prozent des Bestandes hat, ein gesunder Mix sein. Aber in Marzahn-Hellersdorf, wo 50 Prozent der Wohnungsbaubestände kommunal sind, führt das leider zu einem fast unvermeidlichen Kippen der Kieze.

Die Fragen stellte Ulrich Thiele.

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