Rückzug von Martin Schulz - Der erste Wahlverlierer ist gefallen

Der Verzicht von Martin Schulz auf das Außenministerium zeigt, wie schnell die Dinge ins Rutschen geraten können, wenn eine Partei und ihr Vorsitzender das Gespür für die Wirklichkeit verlieren. Das verstärkt den Druck auch auf Angela Merkel

Martin Schulz verzichtet auf das Außenministerium / picture alliance
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Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Rumms. So schnell kann das gehen. Eben noch mächtiger Parteiversitzender und schon einfacher Abgeordneter, eben noch Aussicht auf eines der wichtigsten Ämter der Bundesregierung und schon bleibt nur noch der Rückzug aufs politische Altenteil (Lesen Sie hier die Erklärung im Wortlaut)

Innerhalb von 48 Stunden ist Martin Schulz tief gefallen, sehr tief. Natürlich zahlt er jetzt die Zeche für die vielen Fehler, die er in den vergangenen 13 Monaten gemacht hat, für die desaströse Wahlniederlage und für gravierende strategische Fehler in den Wochen danach, für falsche Versprechen und für den Vorwurf des Wortbruchs. Erhoben von einem populären Genossen, den Martin Schulz vor kurzem noch einen „Freund“ genannt hat. 

Das Gespür für die Stimmung verloren

Letztendlich zeigt der Fall des Martin Schulz jedoch vor allem eines: Wie schnell die Dinge ins Rutschen geraten können, wenn ein Parteivorsitzender, wenn eine Parteiführung völlig das Gespür für die Stimmung im Lande und in der Partei verloren hat. Schulz stürzte so tief, dass er nach dem Parteivorsitz auch auf das Amt des Außenministers verzichten muss, weil die Wähler und auch die Mitglieder der Partei angewidert waren von dem Postengeschacher der Spitzengenossen. 

Nach außen erklärten diese in den vergangenen Monaten ein ums andere Mal, dass es ihnen nur um die Sache gehe, um die Menschen im Lande, um gute Politik zum Wohle des deutschen Volkes. Doch dann konnten alle in den Zeitungen minutiös nachlesen, wie Martin Schulz und die Seinen eine ganze Nacht lang nur um Posten und Pöstchen pokerten und nicht um eine bessere Politik rangen zum Beispiel für Arbeitnehmer, Rentner, Mieter oder Patienten. Der anschwellende Genossenzorn reichte, um Martin Schulz zum Rückzug zu zwingen, ganz ohne Mitgliederbefragung. Man könnte auch sagen: Die Wirklichkeit hat sich in der SPD Bahn gebrochen, und mit einem halben Jahr Verspätung wurde der erste von drei Verlierern der Bundestagswahl abgeräumt. 

Auch auf Merkel wächst der Druck

Als CDU, CSU und SPD am Mittwoch Nachmittag der Öffentlichkeit das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen präsentierten, standen mit Martin Schulz, Horst Seehofer und Angela Merkel drei Verlierer der Bundestagswahl an den Mikrofonen. Der erste ist jetzt weg, der zweite hat bereits das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten abgeben müssen. Und das heißt: Nach dem Rückzug von Martin Schulz blicken jetzt alle auf Angela Merkel. Der Druck auf die Kanzlerin ist groß, denn auch an der CDU-Basis ist die Unzufriedenheit groß über das, was die CDU-Führung in den vergangenen Tagen als Erfolg der Koalitionsverhandlungen zu verkaufen versucht. 

Natürlich, Angela Merkel ist gerissener als Martin Schulz, machtpolitisch kennt die Christdemokratin anders als der Sozialdemokrat jeden Trick. Jeden ihrer Fehler hat die Kanzlerin bislang erfolgreich ausgesessen, alle ihre innerparteilichen Gegner ins Leere laufen lassen. Und anders als die SPD-Basis ist die CDU zum Aufstand strukturell nicht in der Lage. Aber wenn etwas ins Rutschen gerät, lassen sich die Dinge nicht mehr aufhalten. Nicht ausgeschlossen, dass sich auch in der CDU in den kommenden Tagen die Wirklichkeit Bahn bricht.

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