Marco Wanderwitz - Der Thesen-Beauftragte

Der Ostbeauftragte Marco Wanderwitz stellt heute im Deutschen Bundestag den Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit vor. Schon im Vorfeld sprach er davon, dass er so manche Ostdeutsche für verloren halte. Über einen Mann, der aneckt und der es trotzdem noch weit bringen könnte.

Marco Wanderwitz will mehr als Ostbeauftragter sein / Jürgen Lösel
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Martin Debes ist Chefreporter der Thüringer Allgemeinen.

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Mit seinem Sieg bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt hat Reiner Haseloff ziemlich viel gerettet. Sein Amt als Ministerpräsident, die Macht seiner Landes-CDU, die Chancen von Armin Laschet auf das Kanzleramt. 
Und die Karriere von Marco Wanderwitz.

Wenige Tage vor der Wahl hatte der ostdeutsche Ostbeauftragte kundgetan, was er vom AfD-wählenden Teil der Ostdeutschen hält. Nämlich gar nichts. „Wir haben es mit Menschen zu tun, die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach 30 Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind“, sagte er. Nur ein geringer Teil der AfD-Wähler sei „potenziell rückholbar“, man könne da nur noch „auf die nächste Generation“ hoffen.

Hat Wanderwitz der CDU genützt?

Die Entrüstung in seiner Partei war groß. Die Granden der Union, die Bundeskanzlerin, der sächsische Ministerpräsident und natürlich Haseloff selbst distanzierten sich maximal von Wanderwitz. Hingegen standen jene, die ihm applaudierten, nahezu ausschließlich links. Der Beauftragte schien abgeschrieben. 

Aber dann gewann Haseloff die Wahl, deklassierte die AfD. Plötzlich waberten neue Fragen durch den politik-medialen Raum: Hatte Wanderwitz der CDU gar genutzt? Hatte er die Wähler wachgerüttelt? Geschadet, sagt er, habe seiner Partei die Debatte jedenfalls nicht. 

Dennoch müht er sich nun um stärkere Differenzierung, spricht über die 30 Jahre seit der Wende und berechtigten Protest. Die Union müsse versuchen, dem Gegner AfD „Teile seiner Wählerschaft zu entreißen“, sagt er am Telefon, „und gleichzeitig den harten, extremistischen Kern isolieren“.

Nicht nur Ost-Beauftragter

Ansonsten aber kann der Beauftragte („Ich bin hart verpackt“) Konflikte aushalten – ja, er scheint sie sogar zu suchen, vor allem dann, wenn es gegen die AfD geht. Das schafft immer Aufmerksamkeit, sogar die, die nützen kann. 
Als im Februar 2020 in Thüringen Thomas Kemmerich von AfD, Christdemokraten und FDP zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, gehörte der sächsische CDU-Bundestagsabgeordnete Wanderwitz zu jenen, die am lautesten die Parteifreunde in Erfurt kritisierten. Dagegen beging sein Thüringer Fraktionskollege und Ostbeauftragter Christian Hirte den Fehler, Kemmerich öffentlich zu gratulieren. Drei Tage und einen Anruf der Bundeskanzlerin später war er zurückgetreten.

Seitdem darf Marco Wanderwitz den Titel „Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer“ tragen. Nebenbei, darauf legt er Wert, ist er noch Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, zuständig für Europa und Außenwirtschaft. „Der Beauftragte steht bei Weitem nicht im Mittelpunkt meiner Tätigkeit“, sagt er. „Das liegt auch daran, dass sich viele Probleme weitgehend erledigt haben“, ob nun bei Rente, Wirtschaftsentwicklung oder DDR-Unrecht.

Aufstieg mit kleineren Schönheitsfehlern

Die These, dass es, jenseits der AfD natürlich, kaum noch Probleme im sogenannten Beitrittsgebiet gibt, ist ziemlich sportlich. Aber sportliche Thesen sind nun mal das Ding von Wanderwitz. Im Jahr 2010, mitten in der Eurokrise, schlug er Griechenland vor, ein paar Inseln zu verkaufen, um die Schulden zu tilgen. Später meinte er, dass Übergewichtige höhere Kassenbeiträge zahlen sollten, sie verursachten ja auch höhere Kosten. Die Aussage klebt bis heute an ihm.

Damals saß der Sachse längst im Bundestag. Geboren 1975 in Chemnitz, als es noch Karl-Marx-Stadt hieß, studiert er nach Abitur und Wehrdienst Jura – und gelangt parallel zum Referendariat im Jahr 2002 ins Parlament. Dort steigt er rasch in den Vorstand der Unionsfraktion auf. Nebenbei arbeitet er als Rechtsanwalt. Nach der jüngsten Bundestagswahl wird Wanderwitz Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium, bis ihn der Kemmerich-Skandal ins Wirtschaftsressort spült.

Sprungbrett 

Nun also ist er Ostbeauftragter. Es ist ein diffus definiertes Amt, das schon immer weder seine Inhaber noch den Osten zufriedenstellte. Wie auch: Wanderwitz verfügt weder über viele Mitarbeiter noch Kompetenzen. Ab und an darf er am Kabinettstisch dabeisitzen, einmal im Jahr trägt er im Parlament den Bericht zur Deutschen Einheit vor. Der Rest ist größtenteils Politfolklore.

Natürlich will dies der Beauftragte etwas anders betrachtet haben. Beim Ziel etwa, mehr Behörden im Osten zu installieren, sei er gemeinsam mit den Ost-Ministerpräsidenten gut vorangekommen. „Da haben wir wirklich etwas geschafft.“
Eine zentrale Forderung im Namen des Ostens hat Marco Wanderwitz aber dann doch noch. Wenn demnächst Angela Merkel aus dem Amt scheide, sagt er, würden „im Bundeskabinett ostdeutsche Köpfe gebraucht“. Womöglich hat der Ostbeauftragte ja schon eine sportliche These, wer das sein könnte.

 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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