Marco Bülow - Querulant mit ernsten Anliegen

Der Dortmunder Marco Bülow wurde fünfmal für die SPD in den Bundestag gewählt. Jetzt versucht er es noch einmal – für die Satirepartei Die Partei. Bülow will Wäh­lergruppen erschließen, die sich zunehmend von der Politik abwenden.

Marco Bülow 2020 im Deutschen Bundestag / dpa
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Paul Christoph Gäbler ist freier Journalist, Podcaster und Fotograf und lebt in Berlin.

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So ein buntes Publikum hat das Paul-Löbe-Haus lange nicht erlebt. In einem der Säle, in dem sonst die Ausschüsse tagen, sind Vertreter der Piraten, der Tierschutzpartei, von Fridays for Future, Extinction Rebellion und vieler weiterer kleiner Gruppierungen zusammengekommen. Eingeladen hat unter dem Titel „Reclaim the house“ Marco Bülow, früherer SPD-Bundestagsabgeordneter, nun fraktionslos. Es ist sein vermutlich letztes Jahr im Bundestag. Er wolle neue Allianzen schließen, zwischen verschiedenen Gruppierungen, die prinzipiell in dieselbe Richtung wollen, aber schlecht zusammenfinden.

Einer der Gäste: Martin Sonneborn, Chef der Satirepartei Die Partei. Vor ihm baut eine Aktivistin einen bedenklich wackelnden Turm aus Bauklötzen auf. Sie versucht ihn zu überzeugen, einen „Container“ zu etablieren, einen losen Zusammenschluss verschiedenster Kleinparteien und Der Partei als Zugpferd, um bei der Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen. „Wer das nicht mitmacht, der macht alles kaputt“, sagt sie energisch.

Aufrechter Querulant

Sonneborn lehnt die Idee des Containers ab. Dies lasse sich so kurz vor der Wahl nicht realisieren. Er lässt sich zu der Aussage „Dann muss das Klima eben noch mal vier Jahre warten“ hinreißen – Satiriker eben. Die Stimmung im Saal kühlt spürbar ab, die Aktivistin ist frustriert. Heute ist sie Mitglied der CDU. Marco Bülow wiederum ist inzwischen Der Partei beigetreten. Er sagt, ihm sei an diesem Tag bewusst geworden, wie schwer es ist, progressive Gruppierungen zusammenzubringen: „Wir reden schnell darüber, was uns trennt, anstatt die Gemeinsamkeiten zu suchen.“

Frühere Fraktionskollegen sagen über Bülow, er sei ein Querulant, ein Unbequemer, der immer gegen den Strom schwimmen müsse. Seine früheren Dortmunder Wähler, die ihn fünfmal hintereinander direkt in den Bundestag wählten, sehen in ihm einen der letzten aufrechten Politiker, der sich vom Berliner Politikbetrieb nicht hat verbiegen lassen.

Vom Juso zum MdB

Bülow, Jahrgang 1971, Borussia-Fan, wächst in Dortmund-Nord auf, einem sozialen Brennpunkt der Stadt. Seine Eltern sind Pflegekräfte, er selber der erste Akademiker in der Familie. Ein Aufstieg, wie ihn die SPD nicht besser hätte erzählen können. Er studiert Geschichte, Politikwissenschaft und Journalismus, gründet die Juso-Hochschulgruppe, wird in den Asta gewählt. Bei seinen Jusos gilt Bülow als rechts – weil er früh mit klassischen sozialistischen Idealen bricht. „Profitmaximierung und technologischer Fortschritt gingen immer mit einem Raubbau der Natur einher. Ich habe von Anfang an die ökologische Perspektive mitgedacht.“

2002 zieht er in den Bundestag ein. In seiner ersten Legislaturperiode muss er über die Agenda 2010 mitentscheiden. Er stimmt dafür – unter großen Bauchschmerzen. Schon wenige Jahre später verweigert er seiner Fraktion die Zustimmung zur Verlängerung des Afghanistan-­Einsatzes. 2018 verwehrt er der dritten Großen Koalition die Zustimmung. Beliebt wird man so nicht in der Fraktion.

Undemokratische Hinterzimmer-Spielchen

So laufe das nun mal, sagen ihm die erfahrenen Kollegen: Die Fraktion habe geschlossen abzustimmen, ansonsten sei das ein Anzeichen für Unzuverlässigkeit. „Wenn so die Spielregeln sind“, findet er, „dann müssen wir sie ändern.“ Den Fraktionszwang hält er für undemokratisch. „Ich bin nicht meinem Parteichef verpflichtet, nicht meinem Fraktionsvorsitzenden, sondern meinem Gewissen.“

Auch von Koalitionsverträgen hält er wenig, nennt sie demokratiezersetzend. Debatten wandern in die Hinterzimmer ab. „Was spricht dagegen, Anträge der Opposition anzunehmen?“ In seinen 18 Jahren im Parlament sei das kein einziges Mal vorgekommen. Bülow wundert es nicht, dass die AfD mit ihren elitenfeindlichen und populistischen Thesen Zulauf gewinnt.

Sachpolitik für Die Partei

2018, die Groko hat sich erneut gebildet, gibt Bülow sein Parteibuch ab und veröffentlicht eine Liste mit Kritikpunkten: die fehlende Klimapolitik, die Abkehr der SPD von den „kleinen Leuten“, der ausufernde Lobbyismus, wo Industrievertreter ganze Gesetze schreiben. Martin Schulz meldet sich bei ihm, will die Gründe für den Austritt wissen – und legt der kommenden Parteichefin Andrea Nahles Bülows Papier auf den Tisch. Bei ein paar Punkten, soll Schulz gesagt haben, habe er durchaus recht.

Nun versucht Bülow es erneut. Für Die Partei, in der seit einiger Zeit ein heftiger Kampf zwischen den Satirikern und den Realpolitikern tobt. Eine Grundsatz­entscheidung steht an: Passt man sich an den Betrieb an oder macht man sich weiter destruktiv über Politik lustig? Bülow will Sachpolitik machen, Die Partei in eine neue Richtung bringen und Wäh­lergruppen erschließen, die sich zunehmend von der Politik abwenden. Dass er am 26. September wieder in den Bundestag einzieht, schätzt er aber selbst als unwahrscheinlich ein: „Ich bin ja auch kein Satiriker, sondern Politiker.“

 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

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