Machtkampf in der AfD - Extreme Abwege

Die Annullierung der Parteimitgliedschaft von Andreas Kalbitz hat für einen neuen Höhepunkt im AfD-internen Machtkampf gesorgt. Jetzt stehen sich Parteichef Jörg Meuthen und der Ehrenvorsitzende Alexander Gauland frontal gegenüber. Am Ende könnte es zu einer Spaltung der Partei kommen.

Meuthen über Gauland: „Ich wünschte mir, Herr Gauland hätte sich bei der Kommentierung der Schiedsgerichtsentscheidung mehr Zurückhaltung auferlegt“ / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

So erreichen Sie Alexander Marguier:

Anzeige

Es war nicht zu erwarten, dass mit der Entscheidung des parteiinternen Schiedsgerichts vom vergangenen Samstag Ruhe einkehren würde in die AfD. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, die Causa Kalbitz entwickelt sich zu einer neuen Zerreißprobe für die „Alternative für Deutschland“.

Es geht dabei im Wesentlichen um die Frage, ob sich die „Gemäßigten“ um den Bundessprecher Jörg Meuthen durchsetzen können. Oder die „Völkisch-Nationalen“, für die eben Andreas Kalbitz, bisheriger Partei- und Fraktionschef in Brandenburg, oder dessen thüringisches Pendant Björn Höcke stehen, einstige Leitfigur des aufgelösten rechtsnationalen „Flügels“. Der Richtungskampf ist nicht entschieden, er nimmt dieser Tage vielmehr erst richtig Fahrt auf.

Meuthen träumt von Koalitionen

Mit der Entscheidung des Schiedsgerichts, die Parteimitgliedschaft von Andreas Kalbitz zu annullieren, schien der Machtkampf einen vorläufigen Höhepunkt erreicht zu haben. Dem 47-jährigen ehemaligen Berufssoldaten war zum Vorwurf gemacht worden, bei Eintritt in die AfD seine einstige Teilnahme an einem Sommerlager der rechtsextremen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ sowie eine frühere Mitgliedschaft bei den Republikanern verschwiegen zu haben. Kalbitz, der Anfang der 1990er Jahre auch schon einmal Mitglied der CSU gewesen war, ist immer wieder durch enge Verbindungen zum Rechtsextremismus aufgefallen.

In den Augen gemäßigter AfDler wie Jörg Meuthen unterminieren solche Leute die Anschlussfähigkeit der Partei an das bürgerlich-konservative Lager. Während Vertreter des aufgelösten (aber informell weiter existierenden) „Flügels“ sich in rechter Fundamentalopposition gefallen, träumt Meuthen davon, irgendwann einmal in Koalitionen mit Union und FDP Regierungsbeteiligung zu erlangen.

Kalbitz weiter Fraktionschef

Doch der Schiedsgerichtsspruch von Samstag war allenfalls ein Etappensieg für Meuthen – wenn überhaupt. Tatsächlich ist Andreas Kalbitz nämlich trotz Annullierung seiner Mitgliedschaft weiterhin Vorsitzender der brandenburgischen AfD-Landtagsfraktion, und ob er dieses Amt auch weiterhin behalten wird, ist derzeit unklar.

Fakt ist, dass Kalbitz mit Unterstützung aus Fraktion und Landesverband rechnen kann, womöglich steht sogar die Mehrheit seiner Fraktionskollegen immer noch hinter ihm. Es gilt jedenfalls als sicher, dass er die AfD-Fraktion auch dann dominieren würde, wenn er nicht mehr deren Chef, sondern nur noch einfaches Mitglied wäre. Eine Fraktionsspaltung, zu der es 2016 etwa im baden-württembergischen Landtag gekommen war, ist auch in Potsdam nicht auszuschließen. Es wird mit harten Bandagen gekämpft.

Gaulands „inakzeptabler“ Vorwurf

Zu einer weiteren Eskalation des Machtkampfes kam es an diesem Montag, als der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland für Kalbitz Partei ergriff, indem er dem eigenen Schiedsgericht die Unabhängigkeit absprach und ihm unterstellte, es verfolge „bestimmte politische Interessen“.

Meuthen bezeichnete Gaulands Vorwurf daraufhin als „inakzeptabel“, gegenüber Cicero sagte er: „Ich wünschte mir, Herr Gauland hätte sich bei der Kommentierung der Schiedsgerichtsentscheidung mehr Zurückhaltung auferlegt“. Das ist noch sehr diplomatisch formuliert. Meuthen weist zudem darauf hin, dass alle neun Mitglieder des Schiedsgerichts an diesem Dienstag in einem gemeinsamen Brief an Alexander Gauland ihre Empörung gegenüber dem Ehrenvorsitzenden und seiner Kritik an ihrer Entscheidung zum Ausdruck gebracht hätten.

Jörg Meuthen bleibt unbeirrt

Die Frontverläufe sind damit klar, zumal sich Alice Weidel als Vorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion inhaltlich hinter Gauland gestellt hat. Im Meuthen-Lager wiederum macht man darauf aufmerksam, dass der Bundessprecher bis zum Dezember 2021 in dieses Amt gewählt sei und es schon einer Zwei-Drittel-Mehrheit auf einem Bundesparteitag bedürfte, um ihn vorzeitig abzulösen. Was wohl soviel heißen soll wie: Jörg Meuthen wird seinen Kurs unbeirrt fortsetzen.

Meuthen könnte allerdings schon bald einen Rückschlag erleben. Dann nämlich, wenn Andreas Kalbitz jetzt den Weg über die ordentliche Gerichtsbarkeit beschreiten sollte, um gegen die Entscheidung des AfD-Schiedsgerichts vorzugehen. Genau dies hatte Kalbitz am Montag angekündigt, Gauland hat ihn darin ausdrücklich bestärkt. Gut möglich also, dass Kalbitz einen Eilantrag stellt und bei entsprechendem Erfolg bis zum Ende des Hauptsacheverfahrens AfD-Mitglied bleibt. Diese Hängepartie könnte gut und gern mehrere Jahre dauern; Meuthens Versuch, Rechtsradikale aus der AfD zu drängen, wäre damit ein Rohrkrepierer ähnlich wie das Bemühen der SPD, Thilo Sarrazin loszuwerden.

„Totale Polarisierung“

AfD-Mitglieder sprechen von einer „totalen Polarisierung“, die sich derzeit innerhalb der Partei vollziehe. Im Wesentlichen besteht die AfD aus mehreren Lagern – wobei nicht ganz klar ist, wie groß Meuthens Truppe der „Gemäßigten“ ist, die für sich in Anspruch nimmt, ideologisch in etwa die Helmut-Kohl-CDU der 1980er Jahre zu repräsentieren. Zwar sehen die Meuthen-Anhänger sich selbst in der (knappen) Mehrheit, doch auch ihnen ist klar, dass mindestens ein Viertel der AfD-Mitglieder Höcke- und Kalbitz-affin sind und weitere geschätzte fünf Prozent sogar noch weiter rechts stehen.

Es geht den Antagonisten vom völkisch-nationalen Lager einerseits und den „Gemäßigten“ andererseits also insbesondere darum, die parteiinternen Wechselwähler für sich zu gewinnen. Das sind jene vielleicht 20 Prozent AfD-Mitglieder, die zwar als grundsätzlich querulatorisch gelten, aber auf Parteitagen etwa durch eine gute Rede in die eine oder die andere Richtung gezogen werden können.

Trotz und Zorn

Alexander Gauland, so heißt es bei den „Gemäßigten“, reagiere derzeit aus Trotz und Zorn darüber, dass Meuthen sich dem Kurs der duldsamen Einbettung des rechten Ex-Flügels in die Partei widersetze. Die Gauland-Anhänger wiederum unterstellen Meuthen, dieser betreibe die Spaltung der AfD. Und dann gibt es noch Protagonisten wie Alice Weidel aus der „Perlenketten-Fraktion“, die inhaltlich zwar eher bei den Gemäßigten zu verorten wäre, dort aber nicht wirklich gut ankommt und deshalb um Stimmen aus dem rechten Lager buhlt.

Aber selbst, wenn Meuthen sich am Ende durchsetzen sollte, heißt das noch lange nicht, dass er auch sein eigentliches Ziel erreicht. Denn ob CDU und CSU tatsächlich eines fernen Tages mit der AfD koalieren würden, nur weil diese die Rechtsradikalen aus den eigenen Reihen verbannt hat, darüber entscheidet nicht die „Alternative für Deutschland“. Sondern die Union. Und ob man sich dort wirklich nach einem Koalitionspartner sehnt, der die CDU der 1980er Jahre verkörpern will, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Anzeige