Linksradikale „Freiheitskämpfer“ in Berlin - Brandanschlag auf die S-Bahn für eine bessere Welt

Am Montag gab es erneut einen Anschlag auf die Infrastruktur der Berliner S-Bahn – mit gravierenden Folgen für zehntausende Pendler. Selbsternannte linksradikale „Freiheitskämpfer“ brüsten sich mit der Tat. Doch es geht schlicht um Gewaltkriminalität gegen die Bevölkerung.

Polizeibeamte sichern Spuren des Brandanschlags am S-Bahnhof Frankfurter Allee / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Es war mal wieder ein Volltreffer. Mit einem Brandanschlag auf mehrere Kabelleitungen am Bahnhof Frankfurter Allee legten unbekannte Täter am frühen Montagmorgen Teile des Berliner S-Bahn-Netzes und des Regionalverkehrs lahm. Betroffen waren mehrere, vor allem von Pendlern genutzte Linien sowie der Umsteigeknotenpunkt Ostkreuz. Die Reparaturen werden frühestens im Laufe des Dienstags abgeschlossen sein, ein störungsfreier Regelverkehr ist wohl erst am Mittwoch wieder zu erwarten.

Am Montagmittag tauchte dann ein wirres Bekennerschreiben einer bislang nicht in Erscheinung getretenen „Feministisch-Revolutionär-Anarchistischen-Zelle“ auf. Begründet wurde der Anschlag vor allem mit der bevorstehenden Räumung eines „anarcha-queer-feministischen Hausprojekts“ im Bezirk Friedrichshain, sowie als „Quittung für die Erniedrigung von Menschen ohne Geld und ihre Vertreibung aus der City“ und „die Bullenübergriffe der letzten Jahre“, da „dies die einzige Sprache ist, die verstanden wird“. Zum Schluss folgt noch die große Botschaft der Aktion: „Kraft und Liebe allen verfolgten, gefangenen und gefolterten Anarchist:innen und Feminist:innen.“

Seit 2010 Anschläge auf die S-Bahn

Für die Hauptstadt ist das ein Déjà-vu. Brandanschläge auf die Schieneninfrastruktur gehören seit einem Jahrzehnt sozusagen zur Berliner Folklore. Es begann im November 2010, es folgten ähnliche Aktionen im Mai 2011, August 2014, August 2015, Juni 2017, Februar 2018 und September 2019.

In den meisten Fällen gab es Bekennerschreiben mehr oder weniger fiktiver Gruppen, die sich entweder auf aktuelle politische Ereignisse wie Asylgesetzgebung, Auslandseinsätze der Bundeswehr, den G-20-Gipfel in Hamburg und die Klimabewegung bezogen oder ganz allgemein „gegen den kapitalistischen Alltag“ gerichtet waren. In dieser Dekade gab es weitere Brandanschläge auf kleinere Infrastruktureinrichtungen, die allerdings vergleichsweise wenig Schäden anrichteten. 

Mit „links“ hat das nichts zu tun

Das Ganze wird dann landläufig der „linksradikalen Szene“ zugeordnet, was bei der Analyse allerdings kaum weiter hilft. Denn man kann links und auch radikal links sein und für eine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung eintreten, ohne auf die menschenverachtende Idee zu kommen, gravierende Anschläge auf die Mobilität vor allem von Berufstätigen zu verüben, mit denen man ganz sicher weder die verhassten Immobilienspekulanten noch die „Kapitalistenklasse“ trifft. 

Es wäre wohlfeil und müßig, jetzt von jedem irgendwie links verorteten Menschen eine Distanzierung von derartigen Aktionen zu verlangen. Oder von allen Feministinnen, weil die Brandstifter sich auf den Feminismus berufen. Da gibt es nichts, wovon man sich distanzieren kann. Da gibt es auch nichts, worüber es sich zu diskutieren lohnt. Denn es geht nicht um Politik, sondern um nackte, brutale Gewaltkriminalität, die sich unmittelbar gegen die Bevölkerung richtet. 

Anschläge delegitimieren berechtigten Widerstand

Es mag sein, dass die Täter in der wahnhaften Vorstellung leben, Anschläge auf den Berliner Nahverkehr seien ein besonders gelungener Einsatz für die Bedrängten und Marginalisierten in der Stadt und in der ganzen Welt. Es ist auch nicht auszuschließen, dass der eine oder andere Aktivist der Szene Bauchschmerzen hat, da einen klaren, unmissverständlichen Trennungsstrich zu ziehen.

Ich erinnere mich sehr gut, welchen Anfeindungen ich ausgesetzt war, als ich mich vor rund zehn Jahren in der linken Tageszeitung „Junge Welt“ mit ähnlichem Tenor zur seinerzeitigen Anschlags-Premiere äußerte. Doch es geht nicht anders, auch um den berechtigten Widerstand gegen bestimmte Entwicklungen – etwa auf dem Immobilienmarkt – nicht zu delegitimieren. Den Rest müssen die Ermittlungsbehörden und die Justiz erledigen.

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