Anschlagsfantasien und Verbindungen zu Polizei und Kirche - Was treibt eigentlich die „Letzte Generation“?

Die „Letzte Generation“ duldet gewaltbereite Personen in offiziellen Chatgruppen. Gleichzeitig vernetzen sich die Klima-Aktivisten mit Polizei und Kirche, um die angestrebte Veränderung der Gesellschaft zu erreichen.

Das Evangelium nach Carla Hinrichs: Die Sprecherin der Letzten Generation in der St.-Thomas-Kirche in Berlin-Kreuzberg / dpa
Anzeige

Autoreninfo

York Herder ist ausgebildeter Journalist und hospitiert derzeit bei Cicero.

So erreichen Sie York Herder:

Anzeige

Anfang dieser Woche sind Chats aus den Reihen der „Letzten Generation“ aufgetaucht, in denen mutmaßliche Mitglieder der Gruppe Gewaltfantasien äußern, die bis zu Brand- und Sprengstoffanschlägen reichen. Als erstes berichtet darüber das Medium Apollo News. So forderte ein Chatteilnehmer: „Der Bagger muss brennen!!“, und in einer weiteren Nachricht: „... und die Zentrale muss ebenfalls brennen“. Ein anderer Chatteilnehmer schrieb: „Das Zeug brennt nicht gut“ und forderte deshalb, Sprengstoff zu verwenden.

Ein Investigativjournalist der Welt, Lennart Pfahler, zeigte auf Twitter, dass diese Aussagen auf großen Widerstand stießen. Dennoch: Die „Letzte Generation“ duldet gewaltaffine Personen, die dafür offen sind, Anschläge zu begehen, in offiziellen Chatgruppen. Über mehrere Tage hinweg hat sich die „Letzte Generation“ gegenüber Cicero nicht zu den Vorfällen geäußert. Da „die ganze Bewegung ihren Fokus auf die Integration neuer Menschen“ setze, so eine automatische Antwort, würden die Anfragen nur unregelmäßig eingesehen werden. Von den sieben Presseteams hat keines auf die Anfragen von Cicero reagiert.

Die Chatverläufe zeigen beispielhaft, wie heterogen die radikale Klimaschutzbewegung ist. Der Terrorismusexperte Nicolas Stockhammer wies vor einigen Wochen in einem Interview mit Cicero darauf hin, dass die Klimaschutzbewegung kein geschlossenes Konstrukt ist. „Manche Gruppen sind offensiver, andere haben einen weicheren Zugang zum Protest, und ein ganz kleiner Teil hat auch die potenzielle Bereitschaft, gewaltsamere Maßnahmen zu ergreifen.“ Auf Anfrage von Cicero teilte der Bundesverfassungsschutz allerdings mit, „dass die ‚Letzte Generation‘ kein Beobachtungsobjekt des BfV ist“, es werde aber stetig geprüft, in welche Richtung sich die Gruppe entwickle.

Für die radikale Klimaschutzbewegung ist es aber kein neuer Gedanke, Gewalt und Zerstörung zur Erreichung klimapolitischer Forderungen einzusetzen. Das zeigte sich sowohl bei der Räumung des Hambacher Forst 2018 als auch bei der Räumung Lützeraths im Januar 2023. Der Professor für Sicherheitspolitik an der Hochschule des Bundes, Stefan Goertz, kam bei der Untersuchung der Räumung von Lützerath zu dem Schluss, dass die Grundlage für die Gewaltausbrüche bereits frühzeitig gelegt wurde. Es bleibt offen, ob Mitglieder der „Letzten Generation“ daran beteiligt waren. Bisher galt die Gruppe als friedlich und wurde dafür von anderen radikalen Gruppen kritisiert. Anfang Juli zündeten beispielsweise Täter in München vor einem Autohaus Neuwagen an und stellten in ihrem Bekennerschreiben klar, dass die Aktionen der „Letzten Generation“ aus ihrer Sicht nicht weit genug gingen.

Aktivisten wollen sich vernetzen

Aus den veröffentlichten Chats geht hervor, dass den mutmaßlichen Mitgliedern der „Letzten Generation“, die zu Gewalt aufriefen, bewusst war, dass Gewalttaten das Image der „Letzten Generation“ beschädigen würden. Deshalb hätte bei der Anwendung von Gewalt auf die Nutzung der Symbolik der „Letzten Generation“ verzichtet werden sollen. Denn die Aktivisten möchten sich mit der Gesellschaft und den tragenden Institutionen vernetzten, um den von ihnen angestrebten gesellschaftlichen Wandel Wirklichkeit werden zu lassen. Die Klimaaktivisten sprechen dabei von „Säulen.“ Mit diesen „Säulen“ wollen sich die Aktivisten vernetzen oder sind es bereits. Das geht aus Strategiepapieren vor, die Cicero vorliegen. Wie weit diese Vernetzung schon vorangeschritten ist, zeigen Recherchen der Zeitung Die Welt von vergangener Woche.

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

So gab es nicht nur öffentlichkeitswirksame Treffen mit hochrangigen Politikern wie dem Bundesverkehrsminister Volker Wissing, sondern auch Treffen mit Politikern der Landesebene. Beispielhaft sind die Treffen von Aktivisten mit der Ministerpräsidentin des Saarlandes, Anke Rehlinger (SPD), und dem bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Bei den Treffen eruierten die Aktivisten der „Letzten Generation“, wie zugänglich diese Politiker für ihre Anliegen sind. Das ist ein Teil der Strategie zur Vernetzung der Aktivisten mit den „Säulen“. Durch die Vernetzung erfahren die Aktivisten mehr über die „Stimmung innerhalb der Gesellschaft zu uns und helfen dabei, die Kampagnenstrategie anzupassen.“

Über die Treffen hat die „Letzte Generation“ Protokolle angefertigt, die der Welt vorliegen. So soll Herrmann angeboten haben, per E-Mail mit den Aktivisten in Kontakt zu bleiben, während Anke Rehlinger laut diesen Protokollen sogar eine PR-wirksame Klebeaktion in ihrem Büro vorgeschlagen haben soll. Gegenüber Welt bestätigten die Politiker die Treffen, machten aber keine Angaben, worüber gesprochen wurde. Auch zu Journalisten wie Thilo Jung sollen die Klimaaktivisten Kontakte pflegen; Jung soll sogar bei der Findung neuer Slogans geholfen haben. Zu den Inhalten des Gesprächs äußerte sich Thilo Jung gegenüber Welt nicht.

„Klimaaktivismus ist theologisch geboten“

Die „Letzte Generation“ möchte sich aber auch mit den Kirchen vernetzen. Bei der Evangelischen Kirche haben die Aktivisten damit Erfolg. In den Strategiepapieren ist aufgeschlüsselt, wie einzelne Aktivisten die Kirchen anschreiben sollen, an welche Diözese man sich wenden soll und wie die Aktivisten Christen ansprechen müssen, damit diese den Aktivisten vertrauen. Jede Kontaktaufnahme soll koordiniert und dokumentiert werden, zudem gibt es Vernetzungstrainings, in denen die Teilnehmer gezielt auf diese Aufgabe vorbereitet werden. Dort lernen die Aktivisten, wie sie theologisch argumentieren müssen, um den Eindruck zu erzeugen, dass die „Letzte Generation“ eine Organisation sei, die aus christlichen Werten heraus handle.

Die Aktivisten haben es damit schon so weit gebracht, dass evangelische Pfarrer Gottesdienste mit Mitgliedern der „Letzten Generation“ abhalten, in denen Bibelstellen als „Klimaprotestsong“ ausgelegt werden. In den Dokumenten zeigt sich, wie gezielt die radikale Klimabewegung vorgeht, um Unterstützer für ihre Bestrebungen zu finden. Bei Auftritten vor Christen werden Bibelstellen vorgetragen, die die Teilnahme an der Bewegung zu einem christlichen Gebot stilisieren. Dennoch haben Mitglieder der Gruppe im Dezember 2022 in Stuttgart versucht, die Übertragung des evangelischen Weihnachtsgottesdienstes zu stören, um die Feier als ihre Bühne zu missbrauchen.

In den Dokumenten finden sich auch Handreichungen, wie Aktivisten der Polizei begegnen sollen. Das Ziel „Solidarisierung von Polizisten mit der Letzten Generation“ und die „Beteiligung von Polizisten an legalen (!) Protestformen“. Dabei wird als Hauptziel ausgegeben, dass ein Brief von Polizisten an Olaf Scholz übergeben werden soll. Die Welt am Sonntag berichtete vergangenes Wochenende davon, dass sich bereits über 100 Polizisten bei der „Letzten Generation“ engagieren.

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jochen Kopelke, kann dem Engagement einzelner Polizisten bei der „Letzten Generation“ nichts abgewinnen. Gegenüber  Cicero sagte er: „Diesen sehr wenigen Personen muss klar sein, dass die Letzte Generation massiv und wiederholt kritische Infrastruktur sabotiert, historische Kunstwerke beschädigt, Menschen provoziert, einschüchtert und in Geiselhaft nimmt.“ Die Beamten würden durch das Unterstützen der Gruppierung dem Ansehen der Polizei einen großen Schaden zufügen. „Aus meiner Sicht begehen sie einen erheblichen Fehler und finden bei uns keine Akzeptanz“ so Kopelke.

Anzeige