Letzte Bundestagssitzung mit Angela Merkel - Keine Sternstunde

Es war die letzte Parlamentssitzung dieser Legislaturperiode – und Angela Merkels letzter Auftritt im Deutschen Bundestag. Die Veranstaltung geriet zu einem Schaulaufen der Kanzlerkandidaten und machte deutlich, wie es um die Bundesrepublik bestellt ist. Eine beunruhigende Bestandsaufnahme.

Angela Merkel an diesem Dienstag während ihrer letzten Bundestagsrede / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

So erreichen Sie Alexander Marguier:

Anzeige

Die 239. Sitzung des deutschen Bundestags an diesem Dienstag war ein bisschen umweht von der Aura des Historischen. Oder besser gesagt: Sie hätte es sein müssen. Denn nicht nur war es die letzte Zusammenkunft der Abgeordneten in dieser Legislaturperiode. Es war vor allem der letzte Auftritt Angela Merkels vor dem deutschen Parlament. Und ein Schaulaufen derer, die ihr als Regierungschefin nachfolgen wollen, war es obendrein: Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Armin Laschet – sie alle erhielten Gelegenheit, sich zu präsentieren.

%paywall%

Das Ergebnis indes war eher durchwachsen. Insbesondere von Merkel kam bei dieser „Abschlusskundgebung“ in eigener Sache wenig Einsatz. Immerhin rang sie sich dazu durch, eine klare Wahlempfehlung für die Union und Armin Laschet als Spitzenkandidaten abzugeben – was erstaunlicherweise für lautstarke Unmutsäußerungen bei den linkeren Parteien sorgte. Hatte man da etwa anderes erwartet? Merkel sprach von einer „Richtungswahl“, die Deutschland bevorstehe und davon, dass es „nicht egal“ sei, „wer dieses Land regiert“. Nur eine unionsgeführte Regierung unter Laschet könne dafür sorgen, dass „Maß und Mitte“ in der Politik gewährleistet blieben.

Abgeklärter Rückblick

Ansonsten servierte sie einen etwas müde und abgeklärt wirkenden Rückblick auf ihre 16-jährige Amtszeit und verlor sich dabei wie üblich in allerhand Details: Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, Stärkung der Kommunen, Kampf gegen Rechtsextremismus und so weiter: Gewiss sind das alles wichtige Themen. Aber zum Abschluss einer Ära, noch dazu der eigenen, wirken solche Aufzählungen doch sehr nach Kleinklein. Als Bundeskanzlerin mit dem Bekenntnis aus dem Parlament zu scheiden, man habe bei Breitband-Anschlüssen „im Großen und Ganzen deutliche Fortschritte gemacht“, das schafft wohl nur Angela Merkel. Eine Empfehlung, sich impfen zu lassen, sowie eine Rüge an Olaf Scholz, der in diesem Zusammenhang von „Versuchskaninchen“ gesprochen hatte, waren auch noch dabei.

Scholz selbst dagegen war bei seiner Rede voll im Wahlkampfmodus – was allerdings auch bei ihm mehr staatstragend als kämpferisch wirkt. Womöglich will er so den Eindruck vermitteln, bereits im Amt zu sein: sozusagen die Simulation eines nahtlosen Übergangs. Mehrfach brachte der Bundesfinanzminister sein zentrales Wahlkampfwort „Respekt“ unter und verkündete schon gleich zu Beginn, es werde „keinen neuen Lockdown geben“. Woher er diese Gewissheit nimmt, blieb derweil sein Geheimnis – wie ohnehin viele von Scholz‘ Ansagen kaum unterfüttert waren.

So trat er zwar für solide Haushaltsführung und gesellschaftlichen Zusammenhalt ein, nannte „Wachstum“ als den Weg, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zu bewältigen, sowie den Kampf gegen Kinderarmut und für bezahlbaren Wohnraum als seine politischen Kernanliegen. Aber wie seine Ankündigung, das Rentenniveau und das Renteneintrittsalter dauerhaft auf heutigem Niveau zu halten, praktisch bewerkstelligt werden kann, blieb im Dunkeln. Scholz‘ Argument, in den 1990er-Jahren hätten sich die Rentenexperten mit ihren düsteren Prognosen schließlich auch geirrt, wirkt da eher wie das Pfeifen im Walde.

Scholz bleibt bei seiner Taktik

Die nächsten zehn Jahre würden entscheidend sein für die Zukunft der Bundesrepublik, so Scholz. Mag sein, aber warum waren es nicht bereits die zehn zurückliegenden Jahre? Und das Bekenntnis zu Technologie sowie die Feststellung, dass der Strombedarf in Deutschland künftig deutlich wachsen werde, wirkt ebenfalls etwas aus der Zeit gefallen. Lässt sich das alles tatsächlich mit einem schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien bewältigen, wie der SPD-Kanzlerkandidat behauptete? Scholz jedenfalls blieb auch an diesem Dienstag bei seiner Taktik: Er lässt sich partout nicht in die Karten schauen, das allerdings mit dem Habitus eines künftigen Bundeskanzlers.

Armin Laschet ging Scholz in seiner Rede denn auch mit der Bemerkung an, man könne „nicht mit der Raute durch die Gegend laufen und reden wie Saskia Esken“. Wobei der Angesprochene ja genau dies wohlweislich unterlässt – also zu reden wie die SPD-Vorsitzende. Ansonsten stünde die Partei kaum da, wo sie jetzt laut Umfragen ist – und zwar drei bis fünf Prozentpunkte vor der Union. Was auch der Grund für Laschet war, Scholz in Sachen Linkspartei und einer möglichen rot-grün-roten Koalition zu stellen: Es könne ja wohl nicht so schwer sein, diese Verbindung auszuschließen. Der SPD-Kandidat wird es dennoch nicht tun, und so ahnt man als Zuschauer, dass dies das dominierende Thema der Union in der letzten Wahlkampfphase sein wird.

Armin Laschet brachte im Bundestag sein inzwischen erprobtes Bekenntnis zugunsten von Technologieoffenheit, Innovation, Marktwirtschaft und Individualismus ein – und klang bei alledem nicht wie jemand, dessen sehnlichster Wunsch eine Koalition mit den Grünen ist (tatsächlich klappt es in seinem Heimatland Nordrhein-Westfalen ja auch ganz gut mit der FDP). Zumal Laschet auf eine Nachfrage Annalena Baerbocks recht deutlich wurde und der Grünen-Chefin sowie ihrer Partei Doppelmoral in Sachen Klimapolitik vorwarf. Einen Akzent setzte der NRW-Ministerpräsident, indem er rechte Gewalt ebenso ansprach wie Clankriminalität und islamistischen Terror – wohlwissend, dass Scholz und Baerbock zu den letzten beiden Themen lieber schweigen.

Baerbock setzt aufs Klima

Baerbock selbst konzentrierte sich in ihrer Rede auf Klimaschutz, warf den Regierungsparteien in dieser Hinsicht Versagen vor und kritisierte, dass weder Scholz noch Laschet den Braunkohleausstieg vorziehen wollten. Das entsprechende Datum (2038) wurde zwar in einem mühsamen Kompromiss mit breiter Beteiligung aller möglichen Interessengruppen geschlossen, aber das interessiert die (besonders in Wahlkampfzeiten) zum Klimaabsolutismus neigenden Grünen nicht mehr. In der Flüchtlingspolitik, so eine der Schlussbemerkungen Baerbocks, müsse Deutschland in Europa eine Führungsrolle einnehmen und dürfe sich „nicht hinter Viktor Orbán verstecken“. Ein Blick in Parteiprogramm von Bündnis90/Die Grünen reicht, um zu wissen, was gemeint ist.

Die feurigsten Angriffe aus den Reihen der Opposition kamen von den Fraktionsvorsitzenden der FDP und der AfD. FDP-Chef Christian Lindner hielt gleich zu Beginn seiner Rede fest, Deutschland befinde sich nach 16 Merkel-Jahren in einer schlechten Verfassung und komme nach der Pandemie auch schlechter aus der Wirtschaftskrise als andere Staaten. Den Grünen warf er eine „Bullerbü“-Mentalität vor; auch dürfe Klimaschutz nicht zum Verlust individueller Freiheiten führen. Seine Agenda brachte Lindner mit dem Satz „Freiheit vor Staat, erwirtschaften statt verteilen, erfinden statt verbieten“ wahlkampftauglich auf den Punkt.

Die AfD-Fraktionsvorsitzende Alice Weidel ging die Bundesregierung frontal an und warf Merkel praktisch ein politisches Totalversagen vor: Deutschland gespalten, verschuldet, von Migranten überlaufen, ein „Hippie-Staat“ als Verlierer im globalen Wettbewerb. Dietmar Bartsch wiederum, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei, sang das bekannte Lied von der ungerechten Bundesrepublik und empfahl mehr Umverteilung als Lösung für praktisch sämtliche Probleme des Landes. Und weil natürlich auch die Linken ihre Populismen pflegen, erlaubte Bartsch sich die Bemerkung, BMW-Miteigentümerin Susanne Klatten werde jeden Tag angeblich um drei Millionen Euro reicher.

Mühsames Bekenntnis

So endet also die Ära Merkel im deutschen Parlament alles andere als mit einer Sternstunde. Die Kanzlerin selbst seltsam entrückt und sich mit Mühe ein Bekenntnis zugunsten ihrer eigenen Partei abringend. Zwei Aspiranten, die ihr nachfolgen könnten, aber keine echte Überzeugungskraft entfalten – und zwar auch, weil klare Kante und Charisma nach anderthalb Rauten-Dekaden nicht mehr erwünscht beziehungsweise nicht mehr vermittelbar sind. Eine Grünen-Politikerin, die zwar noch nie irgendeine Regierungsverantwortung innehatte, sich aber gleichwohl auch allerhöchste Staatsämter zutraut, weil sie in diesem Wahn von den Medien (und nicht zuletzt in gewisser Weise auch von Merkel selbst) bestätigt wird. Und zwei Oppositionsführer, die den wirtschaftlichen Niedergang der Bundesrepublik beschwören (Weidel) oder zumindest mit guten Gründen davor warnen (Lindner).

Eine angenehme Bestandsaufnahme ist das eher nicht.

Anzeige