Wie geht's weiter für Grüne und Union? - Nach den Landtagswahlen stellt sich die doppelte K-Frage

Die Pandemie hat keinen üblichen Wahlkampf in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zugelassen – zweifellos ein Vorteil für die Amtsinhaber Winfried Kretschmann und Malu Dreyer. Doch die Union hat ihre schlechten Ergebnisse selbst zu verantworten. Eine Analyse von Hugo Müller-Vogg.

Söder, Baerbock, Habeck, Laschet: Alle vier haben Aussicht auf die Kanzlerkandidatur / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Schon die letzten beiden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz waren von einschneidenden Ereignissen überschattet: 2011 Fukushima, 2016 die Flüchtlingskrise. Jetzt standen diese Abstimmungen im Zeichen von Corona plus abstoßender Enthüllungen über einige Raffkes in der Union.

Dennoch bleiben die Ergebnisse – machtpolitisch gesehen – im Rahmen des Gewohnten: Die Parteien der Regierungschefs behaupteten – wie schon in 14 der vergangenen 16 Landtagswahlen – ihre Positionen als Nummer eins, der Aufschwung der Grünen hält an und der Abstieg der alten Volksparteien CDU und SPD geht weiter. Bei den Kleineren sieht es so aus: Die FDP stabilisiert sich, die AfD ist und bleibt stärker, als ihre Gegner sie gerne sähen, und die Linke hat in westdeutschen Flächenstaaten kaum Chancen.

Keine Protestwahl gegen Corona-Politik 

Die Pandemie hat keinen üblichen Wahlkampf zugelassen, was zweifellos ein Vorteil für die Amtsinhaber in Stuttgart und Mainz war. Die Krise erwies sich als Stunde der regionalen Exekutiven, weil das Impfdesaster und der Testwirrwarr in erster Linie der CDU als größte Regierungspartei in Berlin angelastet werden – und das zu Recht. Allerdings zeigen die Wahlergebnisse, dass der Unmut über politische Fehlleistungen, persönliche Einschränkungen und wirtschaftliche Folgen im Zusammenhang mit der Pandemie nicht so groß ist, wie gerne behauptet wird. Bei einer reinen „Corona-Wahl“ hätten FDP und AfD hohe Zugewinne verzeichnen müssen. Eine Protestwahl war das also nicht. 

Die Sieger des Sonntags tragen Grün. In Baden-Württemberg haben sie mit ihrem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann stolze 32,4 Prozent erreicht. Das ist eine Größenordnung, auf die CDU und SPD selbst in ihren ehemaligen Stammlanden nur selten noch kommen. In Rheinland-Pfalz haben die Grünen ihren Stimmenanteil deutlich erhöht, obwohl ihre Umweltministerin wegen einer Beförderungsaffäre ein halbes Jahr vor der Wahl zurücktreten musste. Selbst ohne Kretschmann-Faktor im Bund können die Grünen den weiteren Wahlen dieses Jahres optimistisch entgegensehen.

Grüne können die CDU loswerden

Aus grüner Sicht bedeutsam ist, dass sie in Stuttgart den ungeliebten Koalitionspartner CDU gegen SPD und FDP auswechseln können, falls sie dies wollen. Das wäre ein wichtiges Signal an ihre eigenen Wähler: Seht her, wir sind gar nicht auf Schwarz-Grün programmiert. Das dürfte vor allem dem keineswegs kleinen Teil des grünen Klientels zusagen, dem es bei der Vorstellung einer schwarz-grünen Bundesregierung graust. Dass die aktuellen Umfragezahlen eine Ampel im Bund gar nicht zuließen, wird freilich bei all den Spekulationen gerne übersehen.

Für die CDU sind die 24,1 Prozent in Baden-Württemberg und 27,7 Prozent in Rheinland-Pfalz katastrophale Ergebnisse. Allerdings konnte man in diesen Ländern keine Zugewinne erwarten, wenn die Partei im Bund bei 30 Prozent liegt. Zum Vergleich: Vor fünf Jahren kam die CDU bei der Sonntagsfrage zur Bundestagswahl noch auf 35 Prozent. Jetzt wurden die CDU-Kandidaten im Südwesten für die schleppenden Impfungen und die noch schleppenderen Auszahlungen der Corona-Hilfen böse abgestraft. Obendrein wurden gerade bürgerliche Wähler von der Geldgier einiger Unionsabgeordneter abgestoßen. Gut möglich, dass die Verluste der Union noch größer ausgefallen wären, wenn nicht schon so viele Wähler recht früh per Brief gewählt hätten – als von der Maskenaffäre noch nichts bekannt war.

CDU schon vor der Maskenaffäre ohne Chance

Allerdings darf nicht vergessen werden, dass die CDU schon vor der Maskenaffäre in beiden Ländern keine realistische Chance hatte. Das galt für Susanne Eisenmann in Stuttgart wie für Christian Baldauf in Mainz. In diesem Corona-Wahlkampf dominierten in den Medien die Amtsinhaber, waren persönliche Kontakte mit den Wählern kaum möglich.

Wie will die CDU im Ländle auch gegen einen Ministerpräsidenten ankommen, der redet wie eine zu den Grünen gewechselte Angela Merkel? Jedenfalls nicht mit einer Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann, die im Hauptberuf Kultusministerin ist. Wer nämlich für Schulen Verantwortung trägt, gerät unweigerlich in Konflikte mit allen – Lehrern, Eltern und Schülern. Das aber ist die schlechteste Voraussetzung, um einen angesehenen Landesvater ablösen zu wollen, erst recht einen vom konservativ-grünen Zuschnitt eines Kretschmanns. 

Freie Wähler – neue bürgerliche Konkurrenz

In Rheinland-Pfalz haben die Wähler Malu Dreyer gewählt, obwohl sie von der SPD nicht allzu viel halten. Gegen diese Landesmutter, die niedrige Inzidenzwerte und hohe Impfzahlen vorzuweisen hat, konnten die CDU und ihr solider Spitzenkandidat Christian Baldauf nur untergehen. Zudem verlor die CDU zwischen Speyer, Mainz und Trier Stimmen an die Freien Wähler. Deren 5,5 Prozent sind Proteststimmen bürgerlicher Wähler, die von CDU und FDP enttäuscht sind und denen die AfD zu rechts und zu radikal ist.

Damit sind die Freien Wähler nach Bayern und Brandenburg nunmehr in drei Landtagen vertreten. Auch ihre in Baden-Württemberg aus dem Stand erzielten 2,9 Prozent müssen der Union zu denken geben. Insgesamt haben CDU beziehungsweise CSU bei neun der letzten zehn Landtagswahlen Stimmen eingebüßt. Am Ende der Ära Merkel steht die CDU so schwach da wie seit Jahrzehnten nicht mehr. 

Keine ungetrübte Freude bei der SPD

Die Sozialdemokraten haben Grund zum Feiern, weil sie die Staatskanzlei in Mainz souverän behauptet haben. Das ist Balsam auf geschundene sozialdemokratische Seelen. Auch könnte es in Baden-Württemberg sogar für eine Regierungsbeteiligung reichen. Doch wird den Wahlstrategen im Willy-Brandt-Haus nicht verborgen bleiben, dass selbst die Dreyer-SPD Stimmen einbüßte und die Sozialdemokraten im bevölkerungsreichen Baden-Württemberg ihre mageren 12,7 Prozent von 2016 nicht halten konnten. Mit 11 Prozent bleiben sie der zweitschwächste westdeutsche SPD-Landesverband, vor den einstelligen Bayern. 

Dreyers Erfolg überdeckt Umfrageergebnisse, wonach die meisten Menschen nicht wissen, wofür die SPD noch steht. Der Versuch der Esken/Walter-Borjans/Kühnert-SPD, Themen wie Feminismus, Identitätspolitik und gendergerechte Sprache besonders zu betonen, hilft nicht dabei, abgewanderte Wähler zurückzugewinnen oder gar Stimmen von den Grünen abzuziehen. Im Gegenteil: Im Wahlkreis Mannheim I, dem „rötesten“ in ganz Baden-Württemberg, kam die SPD am Sonntag auf bescheidene 21,7 Prozent. Und bei den hessischen Kommunalwahlen stürzte sie in Frankfurt nach vorläufigen Zahlen von 24 auf 17 Prozent ab.  

Auch für die FDP lief es nicht ganz rund

Für die Liberalen war das ein guter Auftakt zum Superwahljahr 2021: in Mainz eine Regierungsbeteiligung verteidigt, in Stuttgart möglicherweise eine weitere hinzugewonnen. Doch ausgerechnet in Rheinland-Pfalz, wo FDP-Generalsekretär Volker Wissing 2016 die abgewählte rot-grüne Koalition quasi gerettet hatte, mussten sich die Freien Demokraten mit 5,5 (6,2) Prozent begnügen. Das wird kompensiert durch die Gewinne in Stuttgart, wo die Liberalen sich schon vor der Wahl den Grünen als Ampel-Partner angeboten hatten und 10,5 (8.3) Prozent erreichten.

Zweifellos ist die FDP dabei, sich neu zu positionieren – weg von der CDU und hin zu Grünen und SPD. Das könnte weitreichende Folgen für die Bundestagswahl haben. Könnte eine solche Strategie doch bürgerliche Wechselwähler davon abhalten, die FDP zu wählen. Schließlich wäre jede Stimme für die Freien Demokraten indirekt eine Stimme für Rot-Grün. Eine grün-rot-gelbe Steuer-, Verkehrs- oder Energiepolitik möchte sich mancher FDP-Sympathisant lieber nicht vorstellen. 

Die AfD bleibt drin, die Linke draußen

Ob die AfD mehr Energie auf innerparteiliche Kämpfe verwendet als auf Sachpolitik, ob der Verfassungsschutz die Rechtsaußen beobachtet oder nicht: Die Partei ist da und wird so schnell nicht wieder verschwinden. Ohne das Flüchtlingsthema konnte die Partei nicht an ihre sehr guten Ergebnisse von vor fünf Jahren anknüpfen. Aber eine hinreichend große Zahl von Wutwählern, die ihren Frust auf „die da oben“ durch ein Kreuz bei der AfD abzureagieren versuchen, brachten sie trotz deutlicher Verluste sicher zurück in beide Landtage: 9,7 Prozent in Baden-Württemberg und 8,3 Prozent in Rheinland-Pfalz, dort auf Augenhöhe mit den Grünen (9,3) und deutlich stärker als die Regierungspartei FDP. 

Die Linke kommt dagegen im Westen nicht voran. Wo es Menschen überwiegend gut geht, zünden ihre Parolen von der zunehmenden Verarmung nicht. Mit 3,6 Prozent in Stuttgart und 2,5 Prozent in Mainz gehört sie zur Gruppe der „Sonstigen“.

Und jetzt die doppelte K-Frage

Die Wähler an Rhein, Neckar und Mosel haben sich im Großen und Ganzen für ein „Weiter so“ entschieden. So einfach können es sich die großen Sieger und Verlierer nicht machen. Denn Grüne wie Union müssen sich entscheiden, mit wem sie in die Bundestagswahl ziehen – mit Annalena Baerbock oder Robert Habeck, mit Armin Laschet oder Markus Söder. Wenn die Grünen ihr eigenes Klagen über die allgegenwärtige Benachteiligung von Frauen selbst ernst nehmen, kommen sie nicht umhin, eine Kanzlerkandidatin zu nominieren. Aber Robert Habeck machte am Wahlabend bei „Anne Will“ nicht den Eindruck, als werde er den Kavalier spielen und der Dame den Vortritt lassen. Das kann noch spannend werden – und konfliktreich.

Auch bei der Union ist und bleibt die K-Frage offen. Der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet muss sich die Wahlschlappen vom Sonntag nicht anrechnen lassen. Er stand auf keinem Stimmzettel und seine Wahlkampfeinsätze waren wegen der Corona-Beschränkungen kaum sichtbar. Aber diese Wahlergebnisse verbieten es ihm, mit breiter Brust in die Gespräche mit dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder zu gehen. Der wird ohnehin weiter auf Zeit spielen. Denn Söders Interesse an der Kanzlerkandidatur wird in dem Maße zurückgehen, wie sich die Wahlaussichten der CDUCSU verschlechtern. Sollte sich die Union in den Umfragen nicht bald erholen, wird sein Satz, „mein Platz ist in Bayern“, auch über den K-Gipfel zwischen Ostern und Pfingsten hinaus Bestand haben. Gut möglich, dass Laschet dann Kanzlerkandidat werden muss – weil Söder gar nicht mehr will.

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