Landtagswahl in Niedersachsen - Ein trügerisches Zeichen der Stabilität

Stephan Weil bleibt Ministerpräsident in Niedersachsen – und wird künftig womöglich eine rot-grüne Regierung anführen. Man könnte dies als Bestätigung des Kurses der dominierenden Ampelparteien in Berlin werten. Doch genau das wäre ein Trugschluss. Denn ein etwas genauerer Blick auf das vorläufige Wahlergebnis zeigt: An den Rändern tut sich etwas. Und das verheißt nichts Gutes. Höchste Zeit für einen Politikwechsel in Berlin.

Wahlsieger Stephan Weil am Sonntagabend im niedersächsischen Landtag / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Fest steht, was schon vorher als sicher galt: Stephan Weil bleibt Ministerpräsident von Niedersachsen. Fest steht auch, die rot-schwarze Koalition unter Führung des Sozialdemokraten wurde nicht „abgewählt“ in dem Sinne, dass sie keine Mehrheit mehr hätte. Aber laut Hochrechnungen verlieren beide Parteien im Vergleich zur vorangegangenen Wahl insgesamt knapp zehn Prozentpunkte an Zustimmung – die CDU mit einem Minus von 5,6 Punkten allerdings deutlich stärker als die SPD mit einem Abschlag von 3,7 Punkten. 

Dieser Effekt dürfte zu einem Großteil auf die jeweiligen Spitzenkandidaten zurückzuführen sein. Stephan Weil ist es gelungen, dem starken Abwärtstrend der SPD im Bund aufgrund seiner hohen Zustimmung der Bürgerinnen und Bürger in Niedersachsen etwas entgegenzusetzen. Bernd Althusmann hingegen, bisheriger Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident, hatte nicht die notwendige politische Überzeugungskraft, um vom stetig-langsamen Wachstum der CDU auf Bundesebene zu profitieren – im Gegenteil.

CDU als klare Wahlverliererin

Die niedersächsische SPD also laut erster Zahlen bei 33,2 Prozent, die CDU bei nur 28 Prozent. Für Bundeskanzler Olaf Scholz (und den aus Niedersachsen stammenden SPD-Parteivorsitzenden Lars Klingbeil) ist das eine gute Nachricht, für CDU-Chef Friedrich Merz entsprechend eine schlechte. Er wird versuchen, und zwar nicht ganz zu Unrecht, die Wahlschlappe auf das Personal vor Ort abzuwälzen. Allerdings bedeutet dieser Wahlausgang alles andere als Rückenwind für die deutschen Christdemokraten. Zumal in Niedersachsen nach aktuellem Stand eine rot-grüne Koalition knapp möglich wäre – welche für Weil nach eigener Aussage auch Priorität hätte vor einer Fortsetzung von Rot-Schwarz. Die CDU dürfte also die Regierungsbeteiligung verlieren, zumal sich dies für die SPD angesichts des hohen Stimmverlusts für den bisherigen Koalitionspartner auch gut verargumentieren lässt.

Die Grünen selbst landen mit einem Ergebnis von um die 14 Prozent zwar nicht dort, wo die Demoskopen sie vor einigen Wochen noch gesehen hatten. Aber ein Zuwachs von mehr als fünf Punkten dürfte für sie immer noch Grund genug sein, zu jubeln (zumindest, wenn die Fernsehkameras eingeschaltet sind). Sie werden sich jetzt als „klare Wahlsieger“ in den Vordergrund schieben und breitbrüstig eine Regierungsbeteiligung anstreben. Der Preis dafür wird für den künftigen Koalitionspartner entsprechend hoch sein – wie immer, wenn dieses Partei ein Bündnis eingeht. Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein lassen grüßen. Und Robert Habecks Fehlleistungen als Bundeswirtschaftsminister, sein würdeloses Hazardspiel um den möglichen zeitweiligen Weiterbetrieb des niedersächsischen Atomkraftwerks Emsland, dürften jetzt von seinen Parteifreunden vor Ort möglichst schnell zu den Akten gelegt werden. Kaum vorstellbar jedenfalls, dass ausgerechnet die niedersächsischen Grünen sich in dieser Hinsicht konziliant zeigen sollten – Stromknappheit hin oder her. Die Ideologie ist für diese Partei wegleitend, nicht Ratio oder Pragmatismus.

Niedergang der FDP setzt sich fort

Für die FDP setzt sich der Niedergang auch in Niedersachsen fort, sie steht laut Hochrechnung bei fünf Prozent (minus 2,5 Punkte) und muss um den Einzug in den Landtag bangen. Hier dürften landespolitische Effekte kaum ins Kontor geschlagen haben; die Liberalen befinden sich im Bund in einer für sie toxischen Koalition mit SPD und Grünen. Christian Lindner macht zwar – und zwar nicht zu Unrecht – stets darauf aufmerksam, seine Partei würde als Mitglied der „Ampel“ immer wieder Schlimmeres verhindern. Aber dass sich mit diesem Argument keine Wahlen gewinnen lassen, gehört zum kleinen politischen Einmaleins. Für die Freidemokraten wird es jetzt wirklich brandgefährlich, und zwar nicht nur in Niedersachsen. Völlig unklar ist, wie sie sich aus dieser Situation befreien wollen. Zumal die Mitkoalitionäre in Berlin sich jetzt gestärkt fühlen und nun erst recht ihren rot-grünen Kurs in Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik fortsetzen dürften. Bei den Liberalen stellt sich inzwischen (wieder einmal) die Existenzfrage. Es ist ein Jammer.

Ein absolutes Alarmsignal ist der deutliche Zuwachs für die AfD: Sie steht in Niedersachsen laut Hochrechnungen bei knapp zwölf Prozent, das entspricht einem Zuwachs von rund 5,5 Punkten. Und das in einem westlichen, wirtschaftsstarken Bundesland. Das starke Abschneiden der AfD, die übrigens von den Grünen auch nur knapp zweieinhalb Punkte entfernt liegt, dürfte sehr eindeutig auf das als unzureichend empfundene Krisenmanagement der Bundesregierung zurückzuführen sein. Ob das alles Putin-Verehrer waren, die da ihr Kreuzchen bei der „Alternative“ gemacht haben, kann bezweifelt werden. Die Partei entwickelt sich zum politischen Sammelbecken all jener, die sich wegen Inflation, kommender Rezession und vor dem Hintergrund des Ukrainekriegs zunehmend überfordert fühlen und den „etablierten“ Parteien schlicht keine Problemlösungskompetenz mehr zutrauen.

Linkspartei praktisch abgemeldet

Dies wird sich noch verstärken, wenn demnächst die Folgen der aktuellen Massenzuwanderung notgedrungen auf die Tagesordnung kommen. Eine Bundesregierung, die es in der Migrationsfrage einfach so weiterlaufen lässt wie bisher, unterminiert sehenden Auges den gesellschaftlichen Frieden in der Bundesrepublik. Da hilft es auch nichts, die AfD als rechtsradikale Brunnenvergifter zu stigmatisieren. Dass dieser Vorwurf gerade mit Blick auf die Funktionärsebene durchaus zutrifft, ändert nichts an der Tatsache, dass die AfD sich als klassische Protestpartei in Deutschland etabliert hat – und es ganz offenbar auch bleiben wird.

Denn die Linke, auch das zeigt sich in Niedersachsen sehr deutlich, ist schlicht und ergreifend abgemeldet: Sie landet mit einem Minus von 1,9 Punkten bei jetzt nur noch 2,7 Prozent. Was bei Lichte besehen immer noch erstaunlich viel ist für eine sich selbst zerfleischende Partei, der eine irre Identitätspolitik allemal wichtiger ist als die Probleme von Geringverdienern und anderen Menschen, die in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen leben. Eine echte linke Partei alten Schlags könnte in dieser Zeit eigentlich auftrumpfen. Was zeigt, wie sehr sich die Linke in ihrer sektiererischen Ideologie verrannt hat. In ihrer jetzigen Verfassung hat sie schlicht keine politische Zukunft.

Die Niedersachsenwahl hat also eine landeseigene und eine bundesweite Komponente. Beide voneinander zu trennen und gegeneinander aufzurechnen, das wird die Aufgabe in den nächsten Tagen sein. Jede Partei wird diese Aufgabe in ihrem eigenen Sinne erfüllen. Manchen wird dies halbwegs glaubhaft gelingen, anderen weniger. Man möchte denken, von dieser Landtagswahl geht ein Signal der Stabilität aus. Doch genau das könnte ein Trugschluss sein.

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