Landtagswahl in Schleswig-Holstein - Ist Jamaika zu stark zum Weiterregieren?

Das Jamaika-Bündnis in Schleswig-Holstein ist populär – so populär, dass es womöglich an sein Ende kommt. So oder so kann Daniel Günther (CDU) entspannt auf die Landtagswahl in Schleswig-Holstein blicken. Er wird aller Voraussicht nach Ministerpräsident bleiben, kurz vor der Wahl am Sonntag liegt er in den Umfragen weit vor der Konkurrenz.

Spitzenkandidaten (v.l.): Daniel Günther (CDU), Bernd Buchholz (FDP), Monika Heinold (Grüne), Thomas Losse-Müller (SPD) / dpa
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Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

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Abermals läuft ein Bundesland dem Trend vom Niedergang der Volksparteien zuwider. Nachdem im vergangenen Juni bereits Reiner Haseloff für die sachsen-anhaltische CDU 37,1 Prozent holte und Manuela Schwesigs SPD drei Monate später in Mecklenburg-Vorpommern mit 39,6 Prozent nur knapp die 40-Prozent-Marke verpasste, steht Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) im nördlichsten Bundesland wohl ein ähnlicher Erfolg bevor.

Laut dem Stimmungsbild des ZDF-Politbarometer liegt die CDU kurz vor der Landtagswahl mit 38 Prozent (ein Plus von sechs Prozent im Vergleich zu den Landtagswahlen 2017) deutlich vor der SPD und den Grünen. Die Sozialdemokraten, die 2017 noch 27,3 Prozent erreichten, liegen nur noch bei 18 Prozent und könnten sogar Platz zwei verlieren. Härtester Konkurrent sind die Grünen, die derzeit gleichauf bei 18 Prozent liegen – 2017 lagen sie noch bei 12,9 Prozent. Die FDP wirbt zum ersten Mal seit Langem nicht mit Wolfgang Kubicki als Spitzenkandidat. Sein Nachfolger, Bernd Buchholz, ist in Schleswig-Holstein kein Unbekannter: Der 60-Jährige ist seit 2017 Wirtschafts- und Verkehrsminister, früher war er Anwalt, Verlagsmanager und in den 1990er-Jahren bereits Mitglied im Landtag. Sein Wahlkampf mit dem Werben für den Ausbau der Infrastruktur und die Ansiedlung neuer Unternehmen kann den Verlust der Zweistelligkeit wohl nicht verhindern. 2017 erzielten die Liberalen 11,5 Prozent, das derzeitige Stimmungsbild sieht sie bei acht Prozent.

AfD stagniert, SSW macht einen Sprung

Die AfD stagniert und dürfte mit 6 Prozent (2017 waren es 5,9 Prozent) in den Landtag einziehen. Spitzenkandidat der zerstrittenen Partei ist wie schon 2017 Jörg Nobis, er ging im Wahlkampf hart mit der Corona-Politik der Jamaika-Regierung ins Gericht. Zunächst war Nobis Fraktionschef, nach dem spaltungsbedingten Verlust des Fraktionsstatus führt er die parlamentarische Gruppe der verbliebenen drei AfD-Vertreter.

Die Regionalpartei SSW, der Partei der dänischen und friesischen Minderheit im Land, die 2017 3,3 Prozent der Stimmen gewann, macht einen Sprung und liegt laut ZDF-Politbarometer ebenfalls bei 6 Prozent. Das Gesicht der Partei, Lars Harms, sitzt seit 20 Jahren im Landtag (die SSW ist von der Fünf-Prozent-Hürde befreit). Er hat 450 Reden gehalten, neben Minderheitenthemen rückte er zuletzt verstärkt soziale Fragen in den Fokus, forderte etwa einen Mindestlohn von 13 Euro.

Schwarz-grün und schwarz-gelb möglich

Mit einem solchen Ergebnis könnte Schleswig-Holstein eine Veränderung bevorstehen. Denn Ministerpräsident Daniel Günther könnte ohne die FDP weiterregieren, rein rechnerisch reichen die Zahlen des Stimmungsbilds für eine CDU-geführte schwarz-grüne Koalition. Er könnte aber andersherum auch ohne die Grünen regieren: Wenn CDU und FDP es zusammen tatsächlich auf rund 47 Prozent bringen, könnte es für Schwarz-Gelb reichen. Auch eine Große Koalition mit den Sozialdemokraten wäre theoretisch möglich.

Der Grund für den Erfolg der CDU liegt wie bei CDU in Sachsen-Anhalt und bei der SPD in Mecklenburg-Vorpommern in der Zuspitzung auf eine Person – die Wähler geben eher dem Spitzenkandidaten die Stimme als der Partei. Tatsächlich ist Günters Popularität in den vergangenen fünf Jahren enorm gestiegen – nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch im Landtag. Günter ist – anders als etwa Schwesig in MV – mehr freundlich führender Vermittler als mit harter Hand regierender Anführer, seine Kooperationspartner loben seine Vermittlerfähigkeiten, Günter sei verlässlich und klar.

Überraschungserfolg 2017

2017 war dieser Erfolg noch nicht absehbar. Gerade mal ein halbes Jahr vor Landtagswahl konnte sich er sich damals erst die Spitzenkandidatur sichern. Günter war zu dem Zeitpunkt erst 43 Jahre alt, hatte aber bereits Junge Union sowie die Ämter als Kreisgeschäftsführer und Landesgeschäftsführer hinter sich. In der heißen Phase des Wahlkampfs holte Günter immer weiter auf und überholte schließlich sogar überraschend den damaligen Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD).

Die Jamaika-Koalition in Kiel lief – trotz Corona-Krise – erstaunlich unholprig. Die FDP stellt sogar den Gesundheitsminister, ohne dass es zu Dramen gekommen wäre – auf Bundesebene schwer vorstellbar. Die relativ reibungslose Regierungszusammenarbeit dürfte ein Grund dafür sein, dass Günter trotz eines Dämpfers im Wahlkampf davonzieht. Ende April wurde der Ministerpräsident positiv auf Corona getestet. Eine Woche musste er zu Hause bleiben, zahlreiche Wahlkampftermine wurden abgesagt, ebenso das Fernseh-Triell mit Thomas Losse-Müller (SPD) und Monika Heinold von den Grünen.

Politisch ist Günter, der im Bund als Merkel-Anhänger bekannt wurde, nicht für große Ideale bekannt. Zumindest ist aber eine politisch Tendenz erkennbar: gesellschaftspolitisch liberal, sicherheitspolitisch konservativ. Er setzt sich für mehr Frauen in der Partei ein, förderte etwa die nun stellvertretende Parteivorsitzende im Bund, Karin Prien. Im Wettkampf um die Parteispitze warb er für Friedrich Merz’ Konkurrenten Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet.

Günters Konkurrenz: Thomas Losse-Müller (SPD)

Einer von Daniel Günters Konkurrenten ist ein „Überläufer“. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit, Günter als Ministerpräsidenten abzulösen, gering ist, geht Thomas Losse-Müller für die SPD ins Rennen. Der Volkswirt, der in der Vergangenheit für die Deutsche Bank, die Weltbank und Schleswig-Holsteins Finanzministerium arbeitete, war bis 2017 unter Schleswig-Holsteins letztem SPD-Ministerpräsidenten Torsten Albig Chef der Staatskanzlei – damals noch als Grünen-Mitglied. 2020 trat er in die SPD ein. Im Wahlkampf warb Losse-Müller für soziale Themen, Klimaschutz und Digitalisierung und für eine Landesregierung ohne CDU – was eine Große Koalition eher unwahrscheinlicher macht. Losse-Müller versprach gebührenfreie Kita-Grundbetreuung, die Wiedereinführung der Mietpreisbremse, kostenlose Tablets für Schüler ab der 8. Klasse und den schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien.

Monika Heinold (Grüne)

Als Losse-Müller noch im Finanzministerium arbeitete, war Monika Heinold seine Chefin. Heinold ist seit 2012 Finanzministerin in Kiel, seitdem hat die gelernte Erzieherin das Image als die „Frau der Zahlen“ in Schleswig-Holstein. Sie sei wegen des Themas soziale Gerechtigkeit in die Politik gegangen, dort habe sie gemerkt, dass die Finanzpolitik dafür entscheidend ist. Mit ihr als Kandidatin fordern die Grünen nun erstmals Ministerpräsident Günter heraus – ein Zeichen für das gewachsene Selbstvertrauen der Grünen. Auf dem Wahlzettel ist die 63-Jährige klar auf Platz 1 der Grünen, dennoch folgt die Partei auch auf Landesebene ihrem Bundestrend und hat ein Duo aufgestellt. Neben Heinold ist auch Landtagsvizepräsidentin Aminata Touré Spitzenkandidatin. Heinold kann auf viel Erfahrung setzen. Sie war vor ihrer Zeit als Finanzministerin 16 Jahre lang Abgeordnete im Landtag. Im Wahlkampf warb sie mit einen sozial gerecht gestalteten Klimaschutz.

Neue Ministerpräsidentin wird Heinold aller Voraussicht nach nicht, doch Platz 2 vor der SPD wäre ein Erfolg, den sie auf ihr Konto verbuchen dürfte – und der den Grünen mehr Gewicht in Koalitionsverhandlungen mit der CDU verleihen würde.

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