Landtagswahl in Sachsen-Anhalt - „ Hasi “ war gestern

Reiner Haseloff hat Sachsen-Anhalt zum politischen Versuchslabor gemacht. Nun tritt er noch einmal an. Über einen, der mit seinen Aufgaben wuchs.

Reiner Haseloff will Ministerpräsident Sachsen-Anhalts bleiben / Harald Krieg
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Jan Schumann ist landespolitischer Korrespondent der Mitteldeutschen Zeitung in Magdeburg.

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Was jetzt kommt, ist ganz nach seinem Geschmack. Listig zieht Reiner Haseloff die Augen zu Schlitzen zusammen, der Regierungschef fordert seine Minister zur spontanen Abstimmung auf: „Gibt es hier im Kabinett jemanden, der sich nicht wohlgefühlt hat?“ Mit offenen Armen schaut er herausfordernd nach rechts, dann nach links. „Ich sehe keinen die Hand heben“, sagt er triumphierend in die Kameras. „Alle haben sich wohlgefühlt!“

Tage wie dieser im Mai, an denen die Regierungsbilanz präsentiert wird, sind ihm die liebsten. Im Kreise seines schwarz-rot-grünen „Kenia“-­Kabinetts kann er sich derzeit feiern lassen: als Teamchef, oberster Vermittler und Problemlöser in einem. 
Als erster Ministerpräsident Deutschlands schmiedete der Christdemokrat 2016 diese experimentelle Koalition mit SPD und Grünen, um der mächtigsten AfD-Fraktion der Republik – die Partei stellt fast ein Viertel der Sitze – etwas entgegenzusetzen. Fünf Jahre hielt das Dreierbündnis durch – trotz Krisen, Widrigkeiten, persönlicher Verletzungen. „Eine Spitzenleistung“, sagt der Wittenberger heute. Und er hat noch nicht genug: Nach langem Zögern tritt er im Juni noch einmal an, er will weitere fünf Jahre Regierungschef bleiben.

Ungeahnter Karrierehöhepunkt

Der 67-Jährige hat eine erstaunliche Entwicklung hingelegt, die mittlerweile auch bundesweit beachtet wird. Das liegt nicht nur daran, dass er als einer der wenigen Ostpolitiker regelmäßig bei „Lanz“ und „Anne Will“ sitzt. Der promovierte Physiker mit den kreisrunden Brillengläsern gehört zu den dienstältesten Ministerpräsidenten, nur Volker Bouffier in Hessen regiert länger. 
Haseloff ist derzeit auch Präsident des Bundesrats. Allerdings: Dass er 2021 auf dem Gipfel seiner Karriere stehen würde, war nicht unbedingt abzusehen. Denn in den vergangenen fünf Jahren musste er immer wieder härteste Konflikte in den eigenen Reihen austragen. Mehr als einmal stand seine Regierung auf dem Spiel – und damit auch seine Karriere.

Es beginnt schon an Tag eins des Kenia-Bündnisses. Es ist der 25. April 2016. Haseloff will sich im Landtag zum Regierungschef wählen lassen, doch viele Christdemokraten grollen, weil er in den Koalitionsgesprächen Zugeständnisse an die Grünen gemacht hat. Die Ökopartei hat nur knapp die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen, nun soll sie aber ein Superministerium für Umwelt-, Agrar- und Energiepolitik bekommen. Haseloff fällt im ersten Wahlgang durch. Das neue Bündnis steht nicht vollzählig zum Regierungschef. Erst im zweiten Versuch kommt Haseloff ins Amt, ernennt sein Kabinett. Und die AfD feiert ihren ersten Coup.
Die rechtsradikale Partei holt 2016 fast jede vierte Stimme in Sachsen-Anhalt. Wie eine dunkle Wolke hängt sie über Haseloffs Regierung. „Mit mir gibt es keine Zusammenarbeit mit der AfD“ – niemand in Magdeburg zweifelt am eisernen Schwur des Wittenbergers. 

Eine aufmüpfige Fraktion

Doch in der CDU-Fraktion gibt es genug Leute, die sich eine Kooperation mit Rechtsaußen vorstellen können. Das zeigt sich zum Schrecken Haseloffs – und der Koalitionspartner von SPD und Grünen – immer wieder. Etwa 2017, als zahlreiche Christdemokraten einem AfD-Antrag zustimmen, mit dem eine Enquete-Kommission gegen Linksextremismus im Land eingerichtet wird. Oder 2019, als CDU-Fraktionsvize Ulrich Thomas fordert, Koalitionen mit der AfD künftig nicht mehr auszuschließen. Thomas ist auch Autor einer konservativen Denkschrift, laut der die CDU wieder „das Soziale mit dem Nationalen“ versöhnen müsse. Diese Forderung, diese Tonart – ein Beben geht von Magdeburg aus durch die CDU, erreicht auch die Parteizentrale in Berlin. 

Stoppen kann Haseloff die AfD-Flirts nicht: Fast alle Christdemokraten in der Fraktion sind direkt gewählt, sie fühlen sich der Basis verpflichtet. Weht dort ein konservativer Wind, richten sich die Abgeordneten danach. Viele sitzen seit langer Zeit im Landtag, reagieren allergisch auf Ansagen von oben. Zudem sitzt der Frust bei einigen tief. Etwa bei Hardy Peter Güssau, der sein gerade erst erlangtes Amt als Landtagspräsident 2016 wegen seiner unklaren Rolle bei einem Wahlfälschungsskandal in der Stadt Stendal aufgeben muss. Es herrscht Unruhe in der CDU – und Haseloff hat seine größten Konflikte in der eigenen Partei.
Zugleich gewinnt Haseloff in dieser Zeit bundesweit an Statur. Auch deshalb, weil er immer häufiger effektvoll den Konflikt sucht, den Mund für den Osten aufmacht. In der Flüchtlingskrise 2015 geht er auf Distanz zu Kanzlerin Angela Merkel, als erster Ministerpräsident fordert er Obergrenzen für Einwanderung. Später prangert er einen „Kontrollverlust“ des Staates an. In Sachsen-Anhalt gibt es genug Leute, die das hören wollen. 

Nicht von allen geliebt

Er vergaloppiert sich aber auch: Im Sommer 2018 erntet er einen Shitstorm, als er sich für Abschiebungen ins Bürgerkriegsland Syrien ausspricht, „wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind“. Schließlich kämen nur noch wenige Syrer mit echtem Asylgrund nach Sachsen-Anhalt. Der SPD-Politiker Karl Lauterbach verpasst Haseloff das Etikett „Trump des deutschen Ostens“, Friedrich Merz nennt ihn heute hingegen anerkennend „das Gesicht der CDU im Osten“. 

Nicht jede Ein-Mann-Aktion Haseloffs endet mit Erfolg. Als der Richtungskampf um die Kanzlerkandidatur in der Union offen ausbricht, setzt er auf Söder – und lässt seinen CDU-Freund Laschet hängen. „Leider geht es jetzt nur um die harte Machtfrage: Mit wem haben wir die besten Chancen?“, legt sich Haseloff gegenüber dem Spiegel fest: „Es geht nicht um persönliche Sympathie, Vertrauen oder Charaktereigenschaften.“ Dass er Laschet erst letzten Sommer zum freundschaftlichen Eislecken nach Sachsen-Anhalt einlud – egal. Am Ende setzt sich der Aachener durch. Haseloff steht als kalter Machtpolitiker da. 

Von „Hasi“ zum harten Hund

In zehn Jahren als Ministerpräsident hat er einen Imagewandel hingelegt, der sich sowohl im Auftritt als auch im Politikstil niederschlägt. Man sieht diese Transformation im Wahlkampf: Noch 2011 ließ er als Spitzenkandidat Kaffeetüten verschenken, auf denen er als nahbarer Onkel abgedruckt war. Breites Lächeln, das Gesicht in die Hand gelegt, „Black Hasi“ als Werbezeile – aus heutiger Sicht wirkt es wie ein bizarrer Gag. Haseloff hat das Image des nahbaren Onkels abgestreift – er zeigt sich stattdessen als sehr ernsthafter Regierungschef, der knallhart agiert, wenn es drauf ankommt. 

So wirken Haseloffs neue Wahlplakate wie aus einer anderen Welt: düster wie ein Actionfilm-Poster, ein harter Blick ohne Lächeln. „Der Richtige in schwierigen Zeiten“, heißt die Botschaft. „Hasi“ wird der Ministerpräsident heute nur noch hinter seinem Rücken genannt. Der Spitzname ist Fragment aus einer Zeit, in der er noch unterschätzt wurde.

Noch etwas hat sich geändert: Lange war der Regierungschef dafür bekannt, auf ungezählten Vor-Ort-Terminen Zuhörer mit endlosen Schachtelsatz-Konstrukten zu überfrachten. Er redete zu viel, zu lang, zu verkopft. Zwar steckt das Abstrakte noch immer im Rhetorik-Baukasten des Physikers – doch in entscheidenden Momenten findet er Worte, die wie Donner hallen. Nach dem rechtsextremen Terroranschlag auf die Synagoge in Halle im Oktober 2019 sagt der Katholik im Landtag: „75 Jahre nach der Schoah – dafür schäme ich mich.“ Er bringt das Haus zum Schweigen.

Linke und AfD klein halten

Haseloff, der Unterschätzte – damit ist spätestens im Dezember 2020 Schluss. In seiner brutalsten Entscheidung als Regierungschef entlässt er seinen langjährigen Innenminister Holger Stahlknecht. Er ist der potenzielle Nachfolger Haseloffs im Kabinett. Doch im Dezember geht er zu weit: In einem nicht abgesprochenen Zeitungsinterview bringt Stahlknecht eine Minderheitsregierung der CDU ins Spiel, weil sich der Koalitionsstreit mit SPD und Grünen um den Rundfunkbeitrag immer weiter zuspitzt. 

Haseloff lässt Stahlknechts Entlassungsurkunde binnen Stunden ausstellen. Nur wenige hätten ihm diese Härte zugetraut. Statt in der Deckung zu bleiben, schlägt Haseloff überraschend wie ein Konterboxer zu, um sich und sein Projekt zu schützen. Die Sozialdemokraten zollen ihm Respekt. „Reiner Haseloff hat heute Haltung gezeigt“, sagt SPD-Fraktionschefin Katja Pähle.
Diese neue Ernsthaftigkeit wird bleiben. Für die Wahl am 6. Juni – und die Zeit danach – steht Haseloffs Mission fest: Um jeden Preis will er eine Regierung verhindern, in der AfD und Linke Einfluss nehmen können. Sein Albtraum ist das Szenario Thüringen. Dafür greift Haseloff in seiner Rolle als Corona-Krisenmanager auch die Bundesregierung an. „Die Bundesnotbremse hat in Sachsen-Anhalt einen Schub für die AfD gebracht“, schimpfte er gegenüber der FAZ – falsche Krisenpolitik helfe den Falschen, so die Botschaft. 

Viele Optionen 

Zugleich beschwört Haseloff den Geist von Kenia – nicht nur, indem der frühere Wirtschaftsminister betont, die Arbeitslosigkeit sei auf ein Rekordtief gesunken und die Löhne gestiegen. Er erinnert an das große Versprechen des Bündnisses von 2016: Es sollte eine Koalition der Anständigen sein. 

Sie könnte fortbestehen: Nach aktuellen Umfragen reicht es wieder für Schwarz-Rot-Grün. Allerdings verschiebt sich die politische Landschaft weiter. Denn mit der wahrscheinlichen Rückkehr der FDP ins Parlament stünden Haseloff unter Umständen mehr Optionen offen als 2016: Zumindest denkbar erscheint ein Wahlergebnis, mit dem die Liberalen die Grünen im Dreierbündnis ersetzen könnten. Es wäre eine schwarz-rot-gelbe „Deutschland-Koalition“. Wieder ein Experiment. Einige Christdemokraten dürften sehr interessiert sein, die Grünen loszuwerden. Unklar ist aber, ob Haseloff bereit wäre, die erprobte und beschworene Partnerschaft zu kündigen. 

Will er eine Neuauflage von „Kenia“? Reiner Haseloff antwortet diesmal ganz ohne sein listiges Lächeln: „Eine weitere gute Zusammenarbeit“ kann er sich ohne Weiteres vorstellen.

 

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

 

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