Landauf, landab - Zuwinken und abwinken

Wer in einer strukturschwachen Region lebt, weiß: Die größten Probleme entstehen durch fehlende Menschen. Um so wichtiger findet es unsere Kolumnistin, auch mit jenen ins Gespräch zu kommen, vor denen man sich früher gegruselt hat.

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Sophie von Maltzahn ist Schriftstellerin und lebt in Mecklenburg. In Cicero blickt sie als Kolumnistin monatlich vom Land aus auf die Welt. Foto: Carolin Saage / Kiepenheuer & Witsch

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Jeder, der wie wir in einer strukturschwachen Region in einem Minidorf lebt, weiß, dass die größten Probleme durch fehlende Menschen entstehen. Warum soll ein Bus fahren, wenn er leer bleibt? Wozu einen Spielplatz bauen, wenn es kaum Kinder gibt? Wieso ein Mehrfamilienhaus sanieren, wenn eh nur noch ein paar Senioren darin wohnen? Zuzug ist wünschenswert, die Hoffnung darauf fast erloschen. 

Im Kontrast dazu hat der ostdeutsche Landbewohner eher den Ruf, fremdenfeindlich zu sein. Ich kann verstehen, dass Einreisende diesen Eindruck bestätigt sehen und sich sogar gruseln, wenn man über die Dörfer fährt und in undurchdringliche Gesichter blickt, die Neulinge mit finsterer Härte betrachten. Es wird sogar noch dem Auto nachgeschaut, wie um das Kennzeichen zu notieren. Um dann die innere Mauer vor den Auswärtigen hochzuziehen? 

„Ach, hör mir auf damit“

Früher konnte ich es auch nicht glauben, dass die Leute hier wirklich jedem Auto oder Fahrrad hinterherschauen, und dachte, dass es auch an mir liegen könnte. Mittlerweile hat auch mich das Phänomen erfasst, wobei mein Blick nicht nur aus Neugier in die Fahrerkabine dringt und nach Widerhall sucht, sondern auch, um einen möglichen Gruß nicht zu verpassen. Denn so macht man es hier. Auch einem Unbekannten wird immer zurückgewunken. Das Winken mag auch manchmal wie ein Abwinken rüberkommen – wie ein „ach, hör mir auf damit“. Aber man muss es richtig deuten.
 

Bisherige Kolumnen von Sophie von Maltzahn:

Nach regelmäßigem Grüßen komme ich am Gartenzaun auch mit denen ins Gespräch, vor denen ich mich früher gegruselt habe. Das Gesicht klart auf, und dann fangen alle an, von früher zu erzählen. Wie viele Kinder es hier gegeben hat, fünfzig sicher. In allen Altersklassen. Und oben im Gutshaus waren Kita und Schule untergebracht. Einen Jugendclub gab es, einen Konsum und den Gemeindesaal. Das war ein Leben hier! Erzählen sie begeistert, als könne man sich das heute nicht mehr vorstellen. 

Er kam nie wieder

2022 gab es dann Zuzug. Wir haben drei ukrainische Mütter mit ihren Kindern bei uns aufgenommen. Ich hatte darüber nachgedacht, ob die hier übliche Nähe zu Russland ein Problem sein könnte. Doch die Aufnahme der Geflüchteten kam bei den Dörflern gut an, und wir wurden mit Spielzeug, Kleidung und sogar Möbeln überschüttet. Nur einmal fuhr ein muskelbepackter Glatzkopf auffällig langsam an unserem Haus vorbei. Ich blickte ihn finster an. Rechtsextremismus schürt eben nicht nur die Angst um die Fremden, sondern auch vor den eigenen Leuten. Und ja, ich habe mir sein Kennzeichen gemerkt, wie automatisch. Er kam nie wieder.

 

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