Kritik an Öffentlich-Rechtlichen - „Ich würde die Heilige Kuh ‚Tagesschau‘ nicht schlachten“

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steckt in einer Legitimationskrise. Vor allem im Osten sehen viele Menschen nicht ein, warum sie für Programme zahlen sollen, in denen sie sich nicht wiederfinden. Warum es so schwer ist, den Apparat zu reformieren, der jährlich 8 Milliarden Euro kostet, verrät Deutschlands dienstältester Medienpolitiker, Rainer Robra.

„Hinter der Tagesschau liegt richtige Überlegung, dass die beiden Programmlinien von ARD und ZDF unterschiedlicher sein müssen“ / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Rainer Robra (CDU) ist Chef der Staatskanzlei Sachsen-Anhalt und seit 2016 zusätzlich Minister für Kultur. Er sitzt in der Kommission, die noch bis Ende des Jahres den Entwurf eines Staatsvertrags für die Modernisierung von ARD und ZDF vorlegen soll.

Herr Robra, kennen Sie das Format „Datteltäter“ auf Funk, dem Jugendkanal von ARD und ZDF?

Nein, ich kann nicht alle Formate auf Funk kennen.

Die „Datteltäter“ ist ein Format, dass Klischees über Moslems zuspitzt. Es wurde mit entwickelt von Nemi el-Hassan, die das WDR-Wissenschaftsmagazin „Quarks“ moderieren sollte, bis herauskam, dass sie sich wiederholt antisemitisch geäußert hatte. Mit solchen Formaten wollen ARD und ZDF um die Zuschauer von morgen werben. Funk kostet die Gebührenzahler jedes Jahr 42,2 Millionen Euro. Geld, das gut angelegt ist?

Funk ist ein Angebot der Telemedien ...

... also für YouTube, Facebook und Instagram ...

Rainer Robra / dpa

... das als erstes überhaupt speziell für die Telemedien aufgelegt wurde, um den Kontakt zu den jungen Zuschauern und Zuschauerinnen auszubauen. Dabei ist Funk ziemlich erfolgreich. Aber natürlich hat der Sender auch eine Reihe von Formaten entwickelt, die aus unterschiedlichen Gründen wieder eingestellt worden sind. Es ist eine Geschichte mit Licht und Schatten. Aber ich möchte den Kanal nicht missen.  

Was meinen Sie mit Licht und Schatten?

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Licht ist, dass der Sender seine Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen erreicht. Schatten, dass es Flops gegeben hat, die am Ende nicht weitergeführt wurden.

Einige identitätspolitische Formate sind so speziell, dass man sich kaum vorstellen kann, dass sie ein breites Publikum finden. Wird gemessen, ob und inwieweit solche Formate angenommen werden?

Ja, für die Reichweitenmessung gibt es eigene Einheiten bei ARD und ZDF. Als früheres Mitglied im Telemedienausschuss beim ZDF kann ich Ihnen sagen, dass da kluge Instrumente im Einsatz sind, die auch ständig weiterentwickelt werden.

Ist Funk eine Erfolgsgeschichte?

Das ist vielleicht zu hoch gegriffen. Aber es war ein wichtiger Schritt der Öffentlich-Rechtlichen, Angebote zu entwickeln, die nur für das Internet produziert werden. In der Entscheidung, die den Rundfunkbeitrag betraf, hat das Bundesverfassungsgericht unterstrichen, dass es wichtig ist, auch online ein Gegengewicht zu den privaten Angeboten zu schaffen. Mit dem Medienstaatsvertrag sind weitere Schritte gefolgt. Die Menschen dort zu erreichen, wo sie sich aufhalten, ist inzwischen Tagesgeschäft der Rundfunkanstalten.

Aber welchen Sinn hat es denn, Formate für einen Markt zu entwickeln, wo es schon vorher eher zu viel Angebote als zu wenige gab?

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist das von der Verfassung vorgegeben. Egal, ob mir das gefällt oder nicht. Auch im Bereich der Telemedien haben die Öffentlich-Rechtlichen das Recht und die Pflicht, Impulse zu setzen und mitzugestalten. Es wird aber weiter daran zu arbeiten sein, dass auch diese Angebote dem öffentlich-rechtlichen Funktionsanspruch entsprechen, auch im Sinne von Qualitätsjournalismus.

Finden da Qualitätskontrollen statt?

Natürlich, aber im Alltagsgeschäft der Redaktionen kann trotz des Vier-Augen-Prinzips immer mal ein Format entstehen, das in der nachträglichen Betrachtung fragwürdig ist. Auch die Öffentlichkeit ist eingeladen, Kritik zu leisten und tut dies ja auch. Die Rundfunkanstalten sind nicht sakrosankt.

Nett gesagt, der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk befindet sich seit einigen Jahren in einer regelrechten Legitimationskrise.

Das stimmt. Wir Länder haben die Aufgabe, die Grundlagen dafür zu schaffen, dass diese Krise überwunden wird. Aber auch die Anstalten müssen daran arbeiten. Wir werden nur in einer Ko-Regulierung weiterkommen, zu der die Länder und die Anstalten gemeinsam Anstrengungen erbringen.

Was sind denn die schärfsten Kritikpunkte?

Die Menschen wollen wissen, was mit ihren monatlichen Beiträgen finanziert wird. Da ist weitaus mehr Transparenz nötig als bisher. Wir müssen Maßstäbe und Standards entwickeln, um die Qualität der Leistungen der Anstalten und den Einsatz der Beitragsgelder messbarer zu machen. Dafür haben wir im Entwurf für den Staatsvertrag für Auftrag und Struktur Vorschläge gemacht, von denen ich hoffe, dass sie auch von den anderen Bundesländern mitgetragen werden.

Seit 2016 arbeiten die Ministerpräsidenten schon an einem neuen Rundfunkstaatsvertrag. Warum zieht sich so ein Vorhaben jahrelang hin?

Das ist nicht ganz richtig. Wir haben zunächst mal den alten Rundfunkstaatsvertrag in einen wesentlich komplexeren Medienstaatsvertrag umgestaltet. Das war schon eine große Herausforderung. Deshalb hatten wir das Thema „Auftrag und Struktur“ eine Zeit lang beiseitegelegt. Seit anderthalb Jahren arbeiten wir aber an dem Entwurf, über den die Ministerpräsidenten möglicherweise noch in diesem Jahr beraten und der vielleicht schon 2022 in Kraft gesetzt wird.

Welche ist denn die größte Baustelle?

Die Frage, ob es sich empfiehlt, den Auftrag auf die beiden Vollprogramme der ARD (Das Erste) und des ZDF (Das Zweite), darüber hinaus auf 3sat und Arte zu fokussieren – und alle anderen Angebote in dem Sinne zu flexibilisieren, dass die Anstalten mit ihren Gremien selbst entscheiden können, was weitergeführt oder abgeschafft, beziehungsweise kostenneutral durch Formate fürs Internet ersetzt werden soll.

Aber gilt da nicht das St. Florians-Prinzip: Sparen? Sehr gerne – aber bitte nicht im eigenen Haus?

Das will ich nicht ausschließen, aber es ist eigentlich noch komplexer. Wenn wir den Kinderkanal oder Phoenix zur Disposition stellen, die von ihren Zielgruppen außerordentlich geschätzt werden, dann hat das wegen der geringen Kosten dafür ja keinen nennenswerten Einspareffekt – und schon gar nicht, wenn dieselben Mittel im Online-Bereich eingestellt werden, der schon allein wegen der hohen Verbreitungskosten außergewöhnlich teuer ist. Außerdem wissen wir, dass das allermeiste Geld in den Hauptprogrammen von ARD und ZDF ausgegeben wird.

Bis heute weiß kein Mensch, was das ARD-Programm genau kostet. Wie soll man dann da einsparen?

Das ist für Außenstehende echt ein Problem, hier sind wirklich die Anstalten gefordert, wirtschaftlich und sparsam zu arbeiten. Nachdem ich die Intransparenz kritisiert hatte, gibt es nun zumindest auf der Homepage der ARD eine strukturierte Übersicht, wofür die Beiträge verwendet werden. Da sehen wir beispielsweise, dass die gemeinsame Filmeinkaufsorganisation der ARD Degeto 62 Cent von den damals noch 17,50 Euro bekommt oder dass ein Tatort im Durchschnitt 1,5 – 1,7 Mio. € kostet. Diese Übersicht ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es zeigt aber auch, dass sie noch unzulänglich ist, weil eben die wahren Kosten und vor allem die Zuordnung von Kosten dahinter verborgen bleiben. Ein Thema, das auch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) schon wiederholt aufgegriffen hat.

Aber auf welcher Grundlage kann die KEF den Beitragssatz festlegen?

Das Verfahren ist sehr komplex und historisch gewachsen. Es gibt da Erfahrungswerte und eine Reihe von Teil-Indizes, die in die Berechnung einfließen. Dass es wirksam ist, zeigt ja, dass die KEF immer wieder dreistellige Millionenbeträge aus den Beitragsanmeldungen der Rundfunkanstalten herausgelöst hat, für die es keinen ausreichenden Nachweis gab.

Mal ein Beispiel.

Da geht es zum einen um die Vergütungsstrukturen, die sich weit vom öffentlichen Dienst entfernt haben. Ein weiteres Thema ist die Frage, ob es sinnvoll ist, Talkshows Produktionsunternehmen zu übergeben, die den Anchormen und Anchorwomen gehören – so wie es die ARD macht. Oder ob man es wie das ZDF halten sollte, bei dem die Moderatoren in der Regel Mitarbeiter sind. Ich vermute, dass der zweite Weg kostengünstiger ist. Aber dafür gibt es bislang nur Hinweise, keine Kostenübersichten, wie ich sie fordere.

Wenn Sie den Rotstift ansetzen dürften, was würde als erstes wegfallen?

Das kann und darf ich wegen der Staatsferne nicht sagen. Das ist eine der vornehmsten Aufgaben der Intendanten und der Gremien der Rundfunkanstalten. Es hat ja schon unter dem Druck der Öffentlichkeit Selbstbeschränkungen gegeben, zum Beispiel bei den Kosten für die Sportrechte. Da sind ARD und ZDF schon beim Mitbieten ausgestiegen. Und das hat die Zuschauerinnen und Zuschauer auch nicht empört, wie vielfach angenommen wurde.

2017 haben Sie noch vorgeschlagen, die „Tagesschau“ abzuschaffen, das Flaggschiff der Nachrichten. Ist die Forderung vom Tisch?

Das war eine sehr zugespitzte Forderung. Die „Tagesschau“ würde ich als Heilige Kuh am Abendbrottisch nicht schlachten. Dahinter liegt die immer noch richtige Überlegung, dass die beiden Programmlinien von ARD und ZDF unterschiedlicher sein müssen. Wir kriegen zu viel vom Gleichen.

Die FDP will das ZDF deshalb privatisieren.

Das ist keine realistische Option. Meine Forderung ist, dass das ZDF die nationale Ebene bespielt und die ARD stärker als bisher bei den Regionen anknüpft und die von den neun Anstalten im Dritten schon geschaffenen Inhalte in größerem Umfang auf der ARD-Plattform präsentiert. Wir sind eine vielfältige Kulturnation, aber wir wissen viel zu wenig darüber, welche kulturellen Aktivitäten es regional gibt. Uns untereinander zu vernetzen, das könnte das Alleinstellungsmerkmal der ARD sein.

Immerhin gibt es jetzt die von Ihnen geforderten regionalen Schaufenster in Nachrichtensendungen.

Ich will das gar nicht für mich in Anspruch nehmen. Aber es gibt da schon Zusammenhänge. In den Chefredaktionen wuchs die Erkenntnis, dass diese Fenster eine Bindung an die Regionen stärken, aus denen berichtet wird. Jedesmal, wenn ein Beitrag über Sachsen-Anhalt kommt, kriegen wir emotionale Rückmeldungen von denen, über die berichtet wird. So eine Responsivität stärkt die Akzeptanz von ARD und ZDF.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff findet, ARD und ZDF seien in vielen Sparten Westfernsehen geblieben.

Ja, das wird von vielen immer noch so gesehen. Es hat sich ja auch nicht zuletzt im Prozess der Beitragserhöhung im Landtag von Sachsen-Anhalt niedergeschlagen.

Die AfD würde den ÖR am liebsten ganz abschaffen. Kann man auf dieser Grundlage überhaupt diskutieren?

Das ist extrem schwierig. Die AfD steht außerhalb des Grundkonsenses, den das Bundesverfassungsgericht zuletzt im Sommer bekräftigt hat – dass der ÖR ein notwendiges, konstitutives Instrument zur Verwirklichung der Meinungsfreiheit ist.

In Ihrem Bundesland scheinen das viele anders zu sehen. Die Beitragserhöhung wäre beinahe am Landtag gescheitert. Ist Sachsen-Anhalt ein Hort des Widerstands gegen den ÖR?

Nein, wir sind ein Ort, an dem im Streben um das Beste am Rundfunk mehr Kritik an Fehlentwicklungen geübt wird. Weil wir sehen, dass sich die Inhalte nicht mehr so selbstverständlich vermitteln lassen, wie das vielleicht noch vor 1990 der Fall gewesen ist.  

Wäre vielen Zuschauern die Gebührenhöhe nicht egal, wenn der ÖR die Bedürfnisse der Menschen besser bedienen würde und viele nicht das Gefühl hätten, die Angebote hätten eine rot-grüne Schlagseite?

Also, viele würde ich nicht sagen. Aber es würde sich relativieren. Wir sehen ja, dass das Medienbudget der Haushalte weitaus größer ist als der Rundfunkbeitrag von jetzt 18,36 Euro. Viele geben ja zusätzlich Geld für kostenpflichtige Streaming-Dienste und Sportsendungen aus, weil sie den Mehrwert für sich nachvollziehen können. Die Kritik an der Beitragserhöhung zeigt, dass es dem ÖR nicht gelingt, die Leute davon zu überzeugen, dass er ihnen bei ihrer Meinungsbildung hilft. Da ist zu viel dabei, was Anstoß erregt.

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt.

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