Hass und Hetze in der „taz“ - Ulrike Meinhof lässt grüßen

Die Presse sollte zum friedlichen Meinungsdiskurs beitragen. Ausgerechnet die linke „taz“ hält sich nicht daran. Dort finden Hass und Hetze ihren Weg in die Welt. Das könnte den Staat dazu zwingen, die Meinungsfreiheit auf Kosten aller zu beschneiden. Wollen wir das?

Wie aus dem Kampf gegen Hass und Hetze Hass und Hetze wird / dpa
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Frank Lübberding ist freier Journalist und Autor.

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In der taz beschäftigt sich Hengameh Yaghoobifarah unter der Überschrift „All cops are berufsunfähig“ mit den Zukunftsperspektiven von Polizisten. Die im Titel insinuierte sozialpolitische Fragestellung spielte allerdings eine sekundäre Rolle, dafür wurde die Autorin von ihrer eigenen Argumentationslogik überwältigt. Frau Yaghoobifarah landete dort, wo sie die Polizisten zu finden meint: „Spontan fällt mir nur eine geeignete Option ein: die Mülldeponie.

Nicht als Müllmenschen mit Schlüsseln zu Häusern, sondern auf der Halde, wo sie wirklich nur von Abfall umgeben sind. Unter ihresgleichen fühlen sie sich bestimmt auch selber am wohlsten.“ So wird aus dem Kampf gegen „Hass und Hetze“ genau das: Hass und Hetze. Die Kritiker hatten darauf nur gewartet. Es reichte nicht mehr, diese ungewollte Parodie kritischen Bewusstseins zu kritisieren. Vielmehr riefen sie sofort nach dem Staatsanwalt. Es gibt Anzeigen der Polizeigewerkschaften, die die Autorin und die taz zur Verantwortung ziehen wollen.

Proteste gegen den Vietnam brachten den Umschwung 

Wie sich die Zeiten ändern. Während der Studentenbewegung war der am meisten gefürchtete Feind nicht der Reaktionär. Es traf vielmehr den „Scheiß-Liberalen“, der auf die Einhaltung der Regeln in liberalen Demokratien beharrte. Der Hass auf ihn war um so vehementer, weil dieser ursprünglich als Verbündeter betrachtet worden war. In der Kritik an den Notstandsgesetzen oder an der alten Ordinarienuniversität war man sich schließlich einig gewesen.

Die Proteste gegen den Vietnamkrieg sorgten für den Umschwung. Es ging nicht mehr um die Erwartung, die Vereinigten Staaten sollten als Führungsmacht der freien Welt ihren eigenen Ansprüchen gerecht werden. An dessen Stelle trat die Identifikation mit totalitären Heilsbringern wie Mao Tse Tung oder Ho Tschi Minh. Diese autoritäre Wende der Studentenbewegung beschrieb niemand besser als ausgerechnet Max Horkheimer in seinen posthum veröffentlichten Notizen. Freiheit und Gleichheit würden „für alle die, die anderer Meinung sind, auf totalste Weise niedergebrüllt.“ Zugleich trete die Forderung nach Brüderlichkeit „in Formen auf, die aufs peinlichste an die „Volksgemeinschaft“ erinnern.“  Es sei „der Wunsch nach Geborgensein in einer mächtigen Gruppe, das aus der in der heutigen Gesellschaft vorherrschenden Isoliertheit heraushilft.“

Man selbst kommt in aller Unschuld daher

Horkheimer hatte keinen Zweifel, dass sich die meisten der damaligen Rebellen „begeistert in eine neue totalitäre Ordung einfügen würden.“ Die Angst vor einem neuen Totalitarismus begleitete ihn bis zur seinem Tod im Jahr 1973. Der ist nicht passiert, weil aus manchen früheren Rebellen später die „Scheiß-Liberalen“ wurden, die sie einst bekämpften. Selbst der politische Obskurantismus eines Herbert Marcuse namens „Repressive Toleranz“ geriet in Vergessenheit. Marcuse war wie Horkheimer einer der Vordenker der Kritischen Theorie, hatte die amerikanische Studenten- und Bürgerrechtsbewegung als Aufstand gegen einen übermächtigen Apparat interpretiert. Bei ihm wurde selbst verfassungsgemäße Gewalt zum bloßen Unterdrückungsinstrument, die in einen verhängnisvollen Zirkelschluss mündete: Die Ausübung bürgerlicher Rechte durch die, die sie nicht haben, setze voraus, dass die „bürgerlichen Rechte jenen entzogen werden, die ihre Ausübung verhindern.“ 

Nun sind die Hirngespinste eines Theoretikers wie Marcuse längst vergessen. Trotzdem erleben wir die Rückkehr des autoritären Denkens, das sich hinter den Parolen politischer Agitatoren verbirgt. Es firmiert zumeist als Kampf gegen „Hass und Hetze“, wobei diese zugleich als unbestimmte Generalklauseln zur Diffamierung des politischen Gegners dienen. Hass und Hetze ist immer nur im anderen Lager zu finden. Man selbst kommt in aller Unschuld daher.

Heute rufen die Aktivisten nach dem Staat 

Allerdings hatte sich die ursprünglich antiautoritäre APO eines verkniffen: Sie wären nicht auf die Idee gekommen, den Staat um Verbote zu bitten. Der eigene Neoautoritarismus traf schließlich auf eine Mehrheitsgesellschaft, die mit ihnen lieber kurzen Prozeß gemacht hatten. Das hat sich geändert. Heute rufen die Aktivisten nach dem Staat. Der lässt sich auch nicht zweimal bitten, um die früher abschätzig genannte „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ mit Hilfe des Strafrechts und seiner Geheimdienste zu verteidigen. Falls das nicht reicht, kämpfen alle um die Deutungshoheit. An prominenter Stelle finden sich Journalisten.

So setzte die ARD am vergangenen Montag mit fadenscheiniger Begründung kurzerhand einen Film über den Ausbruch der Pandemie in Wuhan ab, weil er für die Kritiker in den Verdacht chinesischer Propaganda geraten war.

„Die Zeit der Neutralität ist vorbei“

Dem Zuschauer ein eigenes Urteil zuzutrauen, stand beim zuständigen Sender SWR nicht mehr zur Debatte. Vorher hatte schon der Spiegel-Redakteur Philipp Oehmke mit fulminanten Worten das neue journalistische Credo ausgerufen: „Die Zeit der Neutralität ist vorbei.“ Anlass war die Selbstfindungsdebatte der New York Times nach einem Meinungsbeitrag des republikanischen Senators Tom Cotton über den Einsatz des amerikanischen Militärs in amerikanischen Großstädten. Das führte zum Rücktritt des zuständigen Redakteurs. Allerdings waren weder die New York Times noch der Spiegel jemals politisch neutral gewesen. Sie hatten über Donald Trump schon immer eine Meinung: Ein notorischer Lügner und auch ansonsten ein Scheusal. Das reichte Oehmke aber nicht: „Wer stets allen Positionen Raum verschaffen will, macht es sich einfach und begibt sich in eine moralische Indifferenz.“

Oehmke geriet damit in die Position eines puritanischen Sittenwächters. Dieser will seine Schäfchen vor unzüchtige Gedanken schützen, indem er ihnen anstößige Literatur vorenthält. So ähnlich muss man es sich wahrscheinlich bei den Lesern des Spiegel und der New York Times vorstellen. Werden sie nicht in die Versuchung „moralischer Indifferenz“ geführt, wenn sie einen Tom Cotton zu lesen bekommen? Horkheimer hatte ein vergleichbares Problem in einer Notiz über die rebellierenden Studenten aus dem Januar 1969 erkannt. Wie wenig diese an die eigenen Losungen glaubten, zeige sich etwa daran, „dass sie die Gewaltlosigkeit predigen und allem Widersprechenden gegenüber Terror üben.“ Ihr Fanatismus zeige „dieselben Züge wie jeder Fanatismus: der verdrängte Zweifel an der Wahrheit ihrer Zielsetzung.“ Dem „Scheiß-Liberalen“ wäre das nicht passiert, weil er seine moralische Urteilsfähigkeit gerade nicht von der andauernden Bestätigung der eigenen Meinung abhängig macht. 

Das Fehler jeder moralischen Urteilsfähigkeit 

Die umstrittene Kolumne in der taz zeigt nun beispielhaft, was dabei herauskommt, wenn Journalisten sich das Credo von Philipp Oehmke zu eigen machen. Dabei könnte man diese flott geschriebene Polemik auch als Geständnis interpretieren. Hier dokumentiert sich nämlich nicht „moralische Indifferenz“, sondern das Fehlen jeder moralischen Urteilsfähigkeit. Im Grunde ist es ein postmoderner Aufguss der alten These von Ulrike Meinhof, dass Bullen Schweine sind, „kein Mensch, und so haben wir uns mit ihm auseinanderzusetzen.“

Nur war damals nicht die Veröffentlichung dieses Pamphlets im Spiegel das Verbrechen, sondern die Straftaten der RAF. Das ist bei Hengameh Yaghoobifarah wohl nicht zu befürchten. Allerdings gibt es Grund zur Sorge, dass sich der Ungeist des Neoautoritarismus auf Kosten der Meinungsfreiheit in allen Lagern festsetzt. Wo der Kampf gegen Hass und Hetze den Staat in die Lage versetzt, um die Meinungsfreiheit auf Kosten aller zu beschneiden. Dann fehlt wirklich nur noch eine App, die uns vor den „Scheiß-Liberalen“ von einst warnt. Sie könnten schließlich selbst die moralisch Sattelfesten zum eigenen Denken verführen. 

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