Kölner Erzbischof Woelki - Der auf dünnem Eis geht

Der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki galt bei seinem Amtsantritt als Reformer. Bei der Aufklärung von Missbrauch durch katholische Geistliche hat er sich verheddert.

Kölns Erzbischof Rainer Maria Woelki wurde der sichtbarste Angeklagte im Missbrauchsskandal/ Matthias Jung
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Von innen wird sie hell und ganz weiß sein. Die Sitze gruppieren sich kreisrund um die Mitte des Kuppelbaus. Keine Hierarchie, kein Thron, kein Hochaltar. Sie hat nichts mit Missbrauch zu tun oder der aktuellen Krise, sondern kündet von einem Aufbruch. Vielleicht eine Vision für das Christentum in einer modernen Welt. Die neue St.-Hedwigs-Kathedrale in Berlin, sie wird gerade gebaut. Und sie ist ­Woelkis Idee. 

Heute ist Kardinal Rainer Maria ­Woelki, der in diesem Jahr 65 Jahre alt wird, Erzbischof von Köln. Er ist inzwischen der prominenteste und sichtbarste Angeklagte des grassierenden Missbrauchsskandals der katholischen Kirche geworden. Mehr noch: Er ist für manche die Personifizierung der Kirchenkrise überhaupt. 

In die Offensive

Inzwischen befasst sich schon der Vatikan mit ihm, damit hat die Eskalation die höchste Stufe erreicht. Doch ­Woelki ist nie nur der, für den man ihn gerade hält. Kaum ein anderer Bischof sitzt so im Zuschreibungskarussell wie er. Dabei hilft Woelki eifrig mit, sodass man eigentlich nie so richtig weiß, wer er ist. 

Als er 2011 von Köln kommend in Berlin eintrifft, wirft man ihm vor, homophob zu sein, was in der Regenbogen-­Hauptstadt keine geringe Starthypothek für einen neuen Erzbischof ist. 

Doch Woelki nimmt die Kritik auf und trifft sich prompt mit dem Schwulen- und Lesbenverband. Er zieht in den Wedding in eine sanierte Dachgeschosswohnung, Problemkiez und Suppenküche fußläufig. Die Reporter lieben es fortan, dem schlaksigen, schelmischen Kardinal mit der Harry-Potter-Brille bei der benachbarten Dönerbude aufzulauern und seine Volksnähe zu beschreiben. Dass ihn in den katholischen Gemeinden nicht alle so gern haben, fällt kaum auf. 

Berlin war Woelkis große Zeit: Hier wurde er Erzbischof, jüngster Kardinal der Weltkirche, er reiste zum Konklave nach Rom – und wählte den neuen Papst Franziskus mit. 

Einstellungen wirklich verändert?

Doch hatte Woelki damals seine als konservativ bekannten Einstellungen verändert? Oder hatte er sich nur getarnt? 2012 besuchte er erstmals überhaupt einen Katholikentag, eine Versammlung, auf der man konservative Bischöfe eher seltener findet. 
Woelki erklärt damals in Mannheim: Wenn Menschen Verantwortung füreinander übernehmen würden, müssten homosexuelle Beziehungen „in ähnlicher Weise“ wie heterosexuelle Partnerschaften angesehen werden. Das klingt innerkirchlich immer noch nach Revolution. 

In der Wochenzeitung Die Zeit sagte er damals, wie wichtig die Auseinandersetzung mit „kritischen Geistern“ in der Kirche sei. Würde er das heute noch sagen? Auf eine entsprechende Anfrage antwortet er im Februar 2021 nicht.

Erzbischof von Köln

2014 wird Woelki Erzbischof von Köln, eines der reichsten und größten Bistümer der Welt. Seinen Berliner Schwung will er mitnehmen, die ersten Personalentscheidungen sind denn auch Signale der Öffnung und Gegenakzente zum Vorgänger Kardinal Joachim Meisner. Er entlässt Markus Hofmann als Leiter des Priesterseminars. Hofmann steht der streng-konservativen katholischen Gemeinschaft Opus Dei nahe. Woelki macht den Stadtjugendseelsorger Dominik Meiering zum Generalvikar und holt sich 2016 den Bild-Journalisten Ansgar Mayer als Kommunikationschef in die Bistumsverwaltung. Spektakulär gerät Woelkis Engagement in der Flüchtlingskrise. Seine große Sympathie gilt dem populären Sozialpfarrer Franz Meurer.

Woelki hat eine bodenständige und ehrliche Liebe zu Fußball und Autos – und nur eine angelernte zum Karneval. Er kann kumpelig sein, aber auch abweisend. Als Woelki einst zu Gast im bayerischen Wallfahrtsort Maria Vesperbild ist, kommt zur Messe auch die Fürstin Gloria von Thurn und Taxis. Während die Medien sich beklagen, dass Woelki diese Pilgerstätte konservativer Katholiken beehrt, sorgt er dafür, dass er zusammen mit den Messdienern unbemerkt eine Runde in Glorias Bentley drehen darf. So erzählt man es sich. Woelki hat eine spielerische Ader. 

Plötzliche Wende

Doch dann kommt die Wende in Köln. Vielleicht kein Bruch, sondern ein fatales Wiedereinnisten in sein kirchlich-­klerikales „Elternhaus“. 2017 geht Mediendirektor Mayer, 2018 wird Generalvikar Meiering entlassen. Zum neuen Generalvikar ernennt ­Woelki ausgerechnet jenen Markus Hofmann, den er bei seinem Antritt gefeuert hatte. Und als Mediendirektor beruft er den renommierten wie konservativen Journalisten Markus Günther. Kirchenpolitisch fällt Woelki dann in den Jahren seit 2017 mit rigiden Positionen auf. Den Synodalen Weg zur Reform der Kirche sieht er nun kritisch.

Was ist passiert? Die große Tragik Woelkis liegt darin, dass mit ihm der Versuch eines dialogfähigen frommen Konservativismus vorerst gescheitert scheint. Woelki hat in Berlin nie die kirchliche Lehre grundlegend verändern wollen. Aber anders als Meisner wollte er aus dem Kampfmodus heraus, wollte die Kirche in die Pluralität der Moderne einordnen, mit einer profilierten Stimme, durchaus missionarisch, aber demütiger im Ton. Einem engen Vertrauten hat Woelki einmal gesagt: „Es kann doch nicht alles falsch sein, was ich die zurückliegenden 40 Jahre geglaubt habe.“ Diese Grundangst des Konservativen kannte er nur zu gut, und dennoch war ihm auch klar, dass allein im Rückzugsgefecht, in der Wagenburg, noch mehr verloren gehen könnte als in der sanften Vorwärtsverteidigung. 

Die Angst vor der Veränderung

Es muss in Köln den Kipppunkt gegeben haben, an dem seine alten Freunde ihm einst sagten, dass die Reformer ihn nur austricksen, dass er die ganze traditionelle Kirche verlieren würde, wenn er auch nur kleine Schritte auf die Reformer zuginge. Es muss diesen Punkt gegeben haben, wo die Angst vor Veränderung die Zuversicht übermannt hat. 

Das Agieren des Erzbistums Köln in den vergangenen Monaten erscheint oft irrational und unprofessionell, sodass auch eine verdeckte Agenda möglich scheint. Als Kölner Kardinal aber hätte Woelki mit manchen alten Seilschaften brechen müssen, er hätte zu seiner eigenen Linie finden müssen. Wenn er nun zurücktreten würde, wäre nichts gewonnen, es würde an der paralysierten wie polarisierten Kölner Situation möglicherweise wenig ändern, denn das alte System würde munter fortbestehen.
Nach der Veröffentlichung einer von den Bischöfen in Auftrag gegebenen Studie, die erstmals das Ausmaß des Missbrauchs durch katholische Kleriker seit dem Zweiten Weltkrieg belegt, hält Kardinal Woelki 2018 eine bewegende Predigt in Fulda. „Ich will nicht zum Mittäter werden durch Wegsehen, Vertuschen oder Bagatellisieren“, sagt er damals. Er beauftragt eine externe Untersuchung seines Bistums. Es würden die Namen der Beteiligten genannt, „ungeschönt und ohne falsche Rücksichten“. Es ist das Gutachten, welches er nun seit einem Jahr nicht veröffentlichen will, obwohl er es versprochen hat. Hier beginnt der aktuelle Skandal – und die Suche nach dem Warum.

Generalvikare heißen in der Kirche auch „Alter Ego“ des Bischofs. Das „zweite Ich“ – das ist mehr als nur ein Stellvertreter. Kardinal Meisner ist seit 2017 tot, doch seine drei wichtigen „Alter Egos“ sind noch da. Es sind die früheren Generalvikare Norbert Feldhoff, Dominikus Schwaderlapp (heute Weihbischof) und Stefan Heße (heute Erzbischof von Hamburg). Sind sie zu starke Gegenspieler für den selbst ernannten Aufklärer Woelki? Zu der Gruppe könnte nicht unwesentlich auch der Offizial der Diözese, eine Art Chefjurist, gehören – seit 25 Jahren ist das Günter Assenmacher. 

Woelki und die Missbrauchskrise

Aus der Missbrauchskrise ist eine Aufarbeitungskrise geworden, die 2020 in ein Kommunikationsdesaster mündete. Ende Oktober stellt sich Kardinal ­Woelki gemeinsam mit Vertretern der Missbrauchsopfer vor die Presse und erklärt, das erste Gutachten weise schwerwiegende methodische Mängel auf, ein neues solle im März 2021 veröffentlicht werden. Der Vorgang des Gutachterwechsels ist der eigentliche Sündenfall: Am nächsten Tag tritt der Vorsitzende des Opferbeirats zurück. Der Jesuit und Theologe Klaus Mertes, der 2010 die Aufklärung der Missbrauchsfälle ins Rollen brachte, erklärt: „Die Opfer so in eine Mitverantwortung zu nehmen, ist eine Wiederholung des Missbrauchs.“

Woelki erlebt einen nie da gewesenen Shitstorm in den Medien. Zwei Jahre nach seiner Predigt in Fulda sieht er sich als genau derjenige beschrieben, der er nicht sein wollte: der Verhinderer von Aufklärung. Als ob das nicht genug wäre, kommen immer weitere Details hinzu, die dieses Bild bestätigen. 

Was die eigentliche Sache angeht, den sexuellen Missbrauch durch Priester und die Vertuschung und Verharmlosung sexueller Gewalt, sind inzwischen mehrere konkrete Fälle durch Medienrecherchen bekannt geworden. In einem Fall ist der mutmaßliche Täter ein guter Freund von Woelki. Wie sein Verhalten kirchenrechtlich zu bewerten ist, bleibt strittig. In einem anderen von Bild recherchierten Fall soll die Staatsanwaltschaft unzureichend informiert worden sein. Köln bestreitet das. 

Woelki als Ursache oder nur Symbol?

Lässt sich ein grundsätzlicher Zweifel an Woelkis Aufklärungswillen belegen, oder ist er eben zum Symbol kirchlichen Versagens insgesamt geworden? Er selbst räumt inzwischen Fehler im Umgang mit der Krise ein, beteuert aber auch seine lauteren Motive. Doch seine Worte verhallen, haben kein Gewicht mehr. Inzwischen wird Woelki auch von anderen Bischöfen angegangen. Rücktrittsforderungen machen die Runde. Wie es weitergeht, ist völlig offen. 

Aus St. Hedwig in Berlin aber wird trotz allem die „Kathedrale des 21. Jahrhunderts“, ein „Ort mit geistiger Ausstrahlung“, wie Woelki es damals nannte. Er konnte leidenschaftlich werden, wenn es um den Umbau ging, trotz aller Proteste. Die neue Kathedrale wird 2023 fertig werden. Sie wird ein Denkmal für Kardinal Woelkis Aufbruch sein. Ganz gleich, was in Köln noch passiert.
 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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