Koalitionstalk bei Plasberg - „Ohne jeden Anstand“

Bei „Hart, aber fair“ wird am Montagabend versucht, eine mögliche Ampel-Koalition zur natürlichsten Sache der Welt schönzureden. Und der alte FDP-Kämpe Gerhart Baum schilt die Union für den schlechten Umgang mit ihrem eigenen Kanzlerkandidaten. Immerhin gibt es auch die eine oder andere realistische Einsicht.

Frank Plasberg im Studio / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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An der Zusammensetzung mancher Talk-Runden im deutschen Fernsehen kann man mitunter ermessen, wie bei den einzelnen Parteien die Lage gerade ist. Insofern war „Hart, aber fair“ an diesem Montagabend sehr aufschlussreich: keine Teilnehmer von CDU und SPD, die Grünen entsenden einen im Rest der Republik weitgehend unbekannten Landespolitiker (Felix Benaszak aus NRW). Und im Namen der FDP durfte das sozialliberale Urgestein Gerhart Baum noch einmal ins Scheinwerferlicht traben. Anders gesagt: Mehr war für Frank Plasberg nicht zu holen.

Warum nicht? Die CDU, wenn sie überhaupt gefragt worden ist, befindet sich in einer derart schlimmen Lage, dass sie auf gar keinen Fall irgendwelches Spitzenpersonal damit beauftragt, sich vor laufenden Kameras für das aktuelle Chaos zu rechtfertigen. Die Union kann bei allem was sie tut einfach nur verlieren und hat dies mit einem Restbestand an Professionalität sogar erkannt. Sozialdemokraten, Liberale und Grüne hingegen befinden sich derzeit in erfolgsversprechenden Sondierungsverhandlungen und werden einen Teufel tun, diese durch irgendwelche vorschnellen Statements zu gefährden. Die Tatsache, dass aus den Lagern der drei potentiellen Ampel-Partner nichts nach außen dringt, soll ja gerade von den Medien und der Öffentlichkeit als Signal der staatstragenden Ernsthaftigkeit gelesen werden. Wie weit es damit her ist, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Mit der Union kein Staat zu machen

Jedenfalls war sich die Runde bei „Hart, aber fair“, zu der noch die Journalisten Ulrike Herrmann (taz) und Robin Alexander (Die Welt) sowie die Jung-Unternehmerin Sarna Röser gehörten, weitgehend einig darin, dass es am Ende wohl auf Rot-Grün-Gelb hinauslaufen wird und dies auch kein Schaden sei, weil mit CDU/CSU momentan (und womöglich für längere Zeit) kein Staat zu machen ist. Und dass an dieser Situation der glücklose Kanzlerkandidat Armin Laschet nicht die alleinige Schuld trägt, darüber herrschte ebenfalls Konsens.

Interessanterweise war es ausgerechnet Herrmann von der linken taz, die freimütig ihre Einschätzung zum Besten gab, dass die Union mit einem Kanzlerkandidaten Markus Söder selbstverständlich stärkste Partei geworden wäre und es dann sogar für ein Zweierbündnis mit den Grünen gereicht hätte. Wobei letzteres die Wunschvorstellung des Grünen Co-Vorsitzenden Robert Habeck gewesen sei. Widerspruch von den übrigen Teilnehmern der Runde war übrigens nicht zu vernehmen. Ansonsten merkte Herrmann an, der FDP werde es schon gelingen, staatliche Subventionen zum Klimaschutz in Richtung der Industrie zu kanalisieren, damit diese keine Einbußen erleiden müsse.

Gerhart Baum warf der Union vor, in Sachen des Umgangs mit Armin Laschet „ohne jeden Anstand“ zu agieren und versprach sich von einer Liaison zwischen Grünen und Liberalen ein „gutes Bündnis“; insbesondere wohl, weil der einstige Innenminister Helmut Schmidts sich an selige Zeiten einer sozialliberalen Koalition erinnert fühlt. Ein bisschen Nostalgie kann in der Tat nicht schaden, doch irgendwann fragt man sich halt schon, ob Baum mit seinen Statements auf der Höhe der Zeit ist. Aber egal: Dass die Politik nun „Mut zur Wahrheit“ brauche, wird gewiss niemand bestreiten. So blieb der Erkenntnisgewinn eher bescheiden, aber die Zuschauer konnten sich freuen über ein Wiedersehen mit einem knorrigen Protagonisten der alten Bundesrepublik aus den 1970er Jahren.

Selige sozialliberale Zeiten

Diese seligen Zeiten hat zwar der 31 Jahre alte Banaszak nicht selbst erleben dürfen, aber das machte dann auch keinen großen Unterschied hinsichtlich der Gedankenfrische. Der Grünenpolitiker sprach ähnlich wie Baum etwas nebulös-empathisch davon, dass das gegenseitige Verständnis zwischen Grünen und der FDP „nicht nur ein taktischer Move“ sein dürfe und beschwor gemeinsame „Innovationsgedanken“. Was dem seit dem Ausgang der Bundestagswahl vorherrschenden Narrativ entspricht, dass Grün und Gelb eigentlich nichts anderes als ein lange verhindertes Liebespaar wären.

Dass das natürlich Unfug ist, könnte zwar jeder wissen, der den zurückliegenden Wahlkampf nur aus den Augenwinkeln verfolgt hat. Aber jetzt gilt es eben, die Erzählung von den progressiven kleineren Parteien zu ventilieren, weil die einfach so schön klingt und auch so gut zum inzwischen legendären Baerbock/Habeck/Lindner/Wissing-Selfie passt, dass Zweifel an dessen Aussagekraft beinahe defätistisch wirken. Insofern war es wohltuend, dass der Welt-Journalist Robin Alexander bei diesem Verwirrspiel nicht mittun wollte und daran erinnerte, dass die vier genannten Vertreter von FDP und Grünen keineswegs besonders innig miteinander sind.

Auch durchkreuzte Alexander die von Gehart Baum bemühten Analogien zwischen einer möglichen Ampel und der rot-gelben Koalition von anno dunnemals. Denn damals sei das Land aus einer „restaurativen Phase“ gekommen und habe die Notwendigkeit von mehr Umverteilung erkannt. Beides sei im Jahr 2021, nach mehr als anderthalb Dekaden sozialdemokratisch-grüner Merkel-Regierung, keineswegs der Fall. Ob sich diese Erkenntnis durchsetzen wird, darf allerdings bezweifelt werden. Es hat den Anschein, als wären Rot, Grün und Gelb die innovative Farbkombination der Stunde. Die Gründe dafür werden bestimmt alsbald nachgeliefert.

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