Klimawandel - Die neue Lust am Notstand

Im Milieu der Klimaschützer und Umweltaktivisten wird man den Eindruck nicht los, man wünsche sich eine Art Ermächtigungsgesetz für die gute Sache. Auch wenn historische Vergleiche unpassend sind, besorgniserregend sind dieser Aktivismus und Aktionismus allemal

Klimanotstand: Aktivismus oder Aktionismus?
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Es gab Zeiten, da waren Notstandsgesetze sogar in Deutschland denkbar unpopulär. Zugestanden: Das ist lange her. Wenn man genau ist: 51 Jahre. Im Frühjahr 1968 waren es nicht nur linke Studenten, die gegen die Notstandsgesetze der großen Koalition unter Kanzler Kurt Georg Kiesinger protestierten. Auch die FDP, weite Teile des liberalen Bürgertums und die Gewerkschaften wendeten sich gegen die geplante Verankerung möglicher Notverordnungen im Grundgesetz.

Inzwischen hat sich der Zeitgeist deutlich gedreht. Von demokratischer Wachsamkeit ist wenig zu spüren, sieht man einmal von den üblichen Floskeln bei einschlägigen Sonntagsreden ab. Die Ausrufung des Notstandes und Forderungen nach Notstandsgesetzen treffen heutzutage nicht nur auf keinen Widerstand. Im Gegenteil, man überbietet sich vielmehr im Erklären von Notständen und beklagt deren unzureichende Wirkung. Man braucht kein Zyniker zu sein, um den Eindruck zu haben, insbesondere im Milieu der Klimaschützer und Umweltaktivisten hätte einige am liebsten eine Art Ermächtigungsgesetz – diesmal natürlich für die gute Sache.

Ein bisschen Notstand macht sich besser

Los ging alles im Mai dieses Jahres. Da rief die Stadt Konstanz als erste deutsche Gemeinde den Klimanotstand aus. Man beschloss Maßnahmen zur klimaneutralen Versorgung von Neubauten zu erarbeiten, zur Gebäudesanierung und ein Mobilitätsmanagement für die Gesamtstadt. Das hätte man natürlich auch ohne Klimanotstand haben können, aber ein bisschen Notstand macht sich einfach besser und klingt nach Aktivismus.

Nur wenige Tage später folgten Heidelberg, Ludwigslust und Kiel dem Beispiel der Stadt am Bodensee. Inzwischen haben über 60 Gemeinden den Klimanotstand ausgerufen, darunter Weltmetropolen wie Tönisvorst, Marl und Brachttal. Die bisher letzte Stadt die sich in diese erbauliche Liste einreihte war Berlin am vergangenen Dienstag. In der Hauptstadt begnügte man sich immerhin mit der semantisch etwas abgerüsteten Klimanotlage, auch wenn nicht alle Medien das Kleingedruckte zur Kenntnis nahmen. Den üblichen Verdächtigen ging das selbstverständlich nicht weit genug. Ein sich Volksinitiative Klimanotstand nennender Verein bemängelte sofort, bei dem Berliner Beschluss handele es sich lediglich um ein „Klimanotständchen“ und forderte stattdessen „entschlossenes Handeln“.

Notstände ohne Notstand

Das wollte man wohl auch in Brüssel zeigen, weshalb das Europäische Parlament am 28. November ebenfalls den Klimanotstand ausrief. Allerdings weckt ein Parlament, das eine Notstandssituation beschließt, zumal hierzulande ungute Erinnerungen. Wie beruhigend, dass der ARD-Faktencheck Brüssel umgehend bescheinigte, keine Parallele zur Notverordnung 1933 geschaffen zu haben.

Dies zu behaupten, wäre auch Nonsens. Natürlich sind Hitlers Ermächtigungsgesetz und die Klimanotstände die allerorts proklamiert werden nicht ernsthaft vergleichbar. Dennoch muss die Leichtfertigkeit beunruhigen, mit der Notstände behauptet werden. Denn Notstände rechtfertigen Notmaßnahmen. Und Notmaßnahmen brauche nicht demokratische legitimiert zu werden. Schließlich ist Not etwas dringliches, das keinen Aufschub duldet. Etwa bei einem Erdbeben oder einem Hochwasser.

Ärgerlich und besorgniserregend

Wer jedoch Notstände ausruft, wo kein akuter Notstand ist, misstraut der Demokratie und missbraucht parlamentarische Gepflogenheiten zur Agitation. Nicht um demokratische Debatten geht es den Notständlern, sondern darum, symbolisch politischen und emotionalen Druck aufzubauen. Doch das ist weder die Aufgabe von Parlamenten noch von Stadtverordnetenversammlungen. Mehr noch: Indem leichtfertig Notstände ausgerufen werden, bezeugen Parlamente ihren Zweifel am Parlamentarismus. Das ist ärgerlich und besorgniserregend.

Entlarvend ist, dass diese Notstandsseligkeit von politischen Gruppierungen ausgeht, die über Jahrzehnte – und mit guten Gründen – gegen vergleichbare Verordnungen gekämpft haben. Man Denke nur an den Mai 1968. Nun zeigt sich, was bestenfalls zu vermuten war: Zumindest Teilen der Linken ging es nie wirklich um die Demokratie. Im Grunde hatte man auch gar nichts gegen Notstandgesetze. Man wollte allerdings selber über sie verfügen.

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