Klimapolitik - Bleibt cool, denn die Hütte brennt

Beim Thema Klima wendet sich ein Teil der Gesellschaft voller Euphorie den Fridays-for-Future-Demonstranten zu. Die Begeisterung kann anderen auf die Nerven zu gehen. Die zunehmende Gereiztheit liegt am gestiegenen Populismus. Die Politik muss lernen, damit umzugehen

Die Schüler wollen, dass die Welt gerettet wird. Das Wie überlassen sie aber den Erwachsenen / picture alliance
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Autoreninfo

Bernd Stegemann ist Dramaturg und Professor an der Hochschule für Schauspiel (HfS) Ernst Busch. Er ist Autor zahlreicher Bücher. Zuletzt erschienen von ihm das Buch „Die Öffentlichkeit und ihre Feinde“ bei Klett-Cotta und „Identitätspolitik“ bei Matthes & Seitz (2023).

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Unser Wirtschaftssystem befindet sich im Krieg mit der Natur. Wem dieser Satz zu alarmistisch klingt, der sollte seine Coolness für einen späteren Teil des Textes retten, denn da wird sie noch gebraucht. Alle anderen müssen sich an dieser Stelle erst einmal ein paar unangenehme Fragen gefallen lassen: Kann es sein, dass sich die Gemeinde der Klimaforscher in den letzten 40 Jahren auf eine Verschwörung geeinigt hat, in deren Zentrum eine Uhr steht? Auf dieser ist es seit Jahrzehnten 5 vor 12. Wie kann das sein?

Zweite Frage: Wer kann erklären, wie im endlichen System der Natur ein unendliches Wirtschaftswachstum möglich sein soll? Und schließlich das größte Rätsel: Was muss passieren, damit eine Gesellschaft zu einem kollektiven Kraftakt fähig wird, wenn die Bedrohung noch immer unscharf und abstrakt ist?

Zusammen ergeben diese drei Fragen den toxischen Cocktail, der unserer Gesellschaft gerade verabreicht wird. Zwischen der unvorstellbaren Dimension eines Klimakollapses und der Handlungsmöglichkeit im Wahlzyklus einer Industriegesellschaft klafft ein riesiger Abgrund. Und an dieser Stelle kommt Greta Thunberg ins Spiel. Natürlich stellt sich als erstes die Frage, wieso eine komplex ausdifferenzierte Zivilisation in kollektive Verzückung gerät, wenn eine junge Frau sie mit ruhiger Stimme in Panik versetzen will. An dieser Frage sind nicht so sehr die psychosozialen Antworten interessant, sondern ein politischer Mechanismus.

Ganz Deutschland kann Klima

Im Sommer 2015 trugen alle Menschen in Deutschland ein Willkommenslächeln auf den Lippen. Anfang 2016 war für nicht wenige genau dieses freundliche Gesicht ein Grund für Unverständnis oder sogar Hass. In der Folge zog 2017 die AfD als drittstärkste Partei in den Bundestag. Sei Anfang 2019 fliegen den demonstrierenden Schülern die Herzen zu und im Frühsommer sind die Grünen in Umfragen die stärkste Partei. Ganz Deutschland kann Klima, könnte die Bild titeln.

Damit in einem halben Jahr nicht die Leugner des Klimawandels allein darum gewinnen, weil zu vielen Menschen die aufgekratzte und unkonkrete Euphorie auf die Nerven geht, braucht es diesmal eine andere Politik. Denn die sich gerade abzeichnende Koalition der Gutmeinenden inklusive ihrer Doppelmoral in allen Klimafragen birgt jede Menge Potential, um die komplizierten Schritte der Klimapolitik in den Augen sehr vieler Menschen zu diskreditieren. Solange Fernreisen ok sind, weil sie für Weltoffenheit stehen, und Dieselfahren igitt ist, weils der zur Arbeit pendelnde Kleinbürger macht, wird das nichts werden.

Populismus bei allen politischen Richtungen

Was ist also die Lage? Es gibt in der Öffentlichkeit eine zunehmende Gereiztheit. Über die Ursachen wurde vielfältig spekuliert. Sie alle haben etwas mit den neuen Verbreitungsmöglichkeiten der sozialen Netzwerke zu tun, mit einer Sprechweise, die man gemeinhin Populismus nennt und mit einer grassierenden Doppelmoral. Lange galt der Populismus als Kennzeichen von radikalen, meist rechten Randgruppen. Inzwischen findet die Methode bei allen politischen Richtungen rege Anhänger. In der übertreibenden Zuspitzung stehen sich weltoffene Großstädter, Wutbürger und Youtuber, sei es vom rechten, linken oder vom Konsumenten Rand in nichts nach.

So brachte es zum Beispiel die twitternde Staatssekretärin Sawsan Chebli fertig, Philipp Amthors moslemfeindlichen Witz mit Auschwitz zusammenzubringen. Die Komiker von Die Partei haben zur Methode erklärt, jedes sachliche Argument durch eine satirische Übertreibung bloßzustellen. Und der doppelmoralische Triumphalismus der deutschen Klima-Aktivistin Luisa Neubauer weckt mindestens soviel Abwehr, wie ihre Anhänger darüber in Jubel ausbrechen.

Um die Details sollen sich andere kümmern

Die Kernkompetenz des Populismus besteht darin, die eigene Position einleuchtend und alternativlos erscheinen zu lassen, alle anderen Meinungen hingegen wie unverständliches Gebrabbel. Wenn die Immunisierung gegen Kritik jedoch zum eigentlichen Inhalt wird, dann dient die Diskussion nicht mehr als Wettbewerb der Ideen oder Argumente, sondern als Austausch von schlagfertigen Antworten auf berechtigte Fragen. Ein Paradebeispiel dieser Kampfkunst wird von den Fridays-for-Future-Aktivisten stoisch wiederholt: „Wir fordern, CO2 Emmissionen auf Null und zwar sofort!“ Frage: „Wie soll das gehen?“ Antwort: „Das dürft ihr doch nicht Eure Kinder fragen.“ Eine schlaue Antwort, die den schwarzen Peter sofort zurückgibt.

Ein einziges Mal ist Greta Thunberg bisher von dieser Methode abgewichen, und sofort bekam man eine Ahnung, wie klug sie es bisher vermieden hat, sich in das Feld der realen Widersprüche hineinziehen zu lassen. Sie erwähnte die Atomkraft als eine mögliche Übergangstechnologie für eine CO2 freie Welt und augenblicklich brach ein Entrüstungssturm los. Die Welt soll gerettet werden, um die Details sollen sich andere kümmern. Der fatale Mechanismus dieser Rhetorik der Unduldsamkeit besteht darin, dass jeder, der versucht, ein Problem zu lösen, augenblicklich Fehler machen wird: Es ist nicht genug, es ist zu spät, es ist das falsche und überhaupt, es dauert alles viel zu lange.

Der Gegner wird zur lächerlichen Figur

Die populistische Logik scheint inzwischen in einigen Milieus zur normalen Umgangsform geworden zu sein. Dass es sich beim Populismus um eine besonders schmutzige Waffe aus dem Arsenal der politischen Rhetorik handelt, wurde weitestgehend vergessen. Und so meint man inzwischen, mit der cleveren Pointe könnte man jedes Problem im Handstreich lösen. Die gewitzte Antwort ersetzt das Argument und die emotional lauteste Hupe übertönt jeden Einwand.

Allen populistischen Mitteln ist gemein, das sie eine emotionale, moralische oder humoristische Übertreibung aus dem Hut zaubern, deren Zweck darin besteht, selbst gut dazustehen und den Gegner zur lächerlichen Figur zu machen. Was im Kontext künstlerischer oder satirischer Kommunikation einen Wert haben kann, führt zu verhärteten Fronten, wenn die gemeinsame Bühne nicht das Theater ist, sondern die politische Realität. Die diffamierende Übertreibung und das lächerlich machen können manchmal Waffen im politischen Disput sein. Wenn sie aber das Fundament der Kommunikation bilden, dann werden Clowns die erfolgreichsten Politiker und ihre bösartig unernsten Entscheidungen bestimmen über das Leben.

Fünf vor zwölf

Die Mittel der Kommunikation bestimmen mehr über den Inhalt als es den meisten Zeitgenossen bewusst ist. Und so kommen wir auf die rätselhaft stillstehende Uhr der Klimaforscher. Denn natürlich ist die Behauptung, es sei 5 vor 12, immer schon ein performativer Sprechakt gewesen. Das bedeutet, indem man ein bedrohliches Szenario ausspricht, möchte man die Menschen in Bewegung versetzen, so dass die Bedrohung erst gar nicht eintritt. Man könnte die Frage stellen, ob es die Aufgabe von Wissenschaft ist, mit solchen Mitteln zu arbeiten, oder ob nicht der Glaubwürdigkeitsverlust deutlich schwerer wiegt.

Wenn seit so vielen Jahren der Weltuntergang vorhergesagt wird und er bis heute nicht eingetroffen ist, dann werden wohl die Vorhersagen nicht so genau stimmen. Und genau diese Schlussfolgerung ist fatal für das Ansehen der Wissenschaft und lähmt die anstehenden großen Anstrengungen der Klimapolitik. Eine historische Fußnote zeigt die ganze Tragik: Der Börsencrash von 1929 wurde in den 20er Jahren immer wieder vorhergesagt, jedoch immer für den falschen Zeitpunkt. Als es dann eine Vorhersage für Herbst 1929 gab, glaubte ihr niemand mehr.

You cannot see, what you cannot see

Die Politik steht also vor der absolut neuen Herausforderung, dass sie ein Problem lösen muss, das niemand genau beschreiben kann, und das sie dafür in einer Öffentlichkeit Zustimmung gewinnen muss, die aus lauter Quatsch (Chebli-Tweets) und rückwärtsgewandter Rhetorik (AfD-Tweets) nur noch mit dem eigenen Chaos beschäftigt ist.

Niklas Luhmann hätte an diese Stelle wohl gesagt: You cannot see, what you cannot see. Und er hätte damit auf die grundsätzliche Schwierigkeit hingewiesen, dass Menschen immer Entscheidungen treffen müssen, bevor sie überhaupt begriffen haben, was auf dem Spiel steht. Diese kontingenten Entscheidungen, wie sie systemtheoretisch genannt werden, sind exakt das Gegenteil von panischen Reaktionen.

Brüller haben mehr Kraft als Verstummte

Wer an einer Unfallstelle in Panik verfällt, wird viele Fehler machen. Allein der besonnene Helfer wird die richtigen Entscheidungen treffen. Er wird zum Beispiel nicht denen zuerst helfen, die am lautesten Schreien, sondern den Stummen. Denn die Brüller haben offensichtlich noch mehr Kraft als die Verstummten. Die klügere Handlung besteht gerade in Notsituationen nicht im reflexhaften Reagieren auf die panische Situation, sondern in der kontraintuitiven rationalen Entscheidung.

Die Politik steht also vor der paradoxen Herausforderung, die Panik zu nutzen, um nicht-panische und unpopuläre Entscheidungen durchsetzen zu können. Dass sie dabei von der populistischen Lust an der Bloßstellung durch die Manege getrieben wird, der alles nicht schnell genug geht und nicht radikal genug ist, könnte ein ernstes Hindernis sein auf dem Weg zu einer besseren Klimapolitik.

Rollenvorbild Greta Thunberg

Gretas unterkühlte Art, in der sie ihre Panik-Reden vorträgt, ist da kein schlechtes Vorbild dafür, wie es vielleicht doch gehen könnte. Sie zieht alle Register des Populismus und bleibt selbst doch völlig unberührt davon. Ob es ein Ausdruck ihrer Form des Autismus ist oder nicht, sollte uns egal sein.

Zum Rollenvorbild taugt sie allemal mehr als diejenigen, die vor allem selbst von ihrem auftrumpfenden Populismus getriggert werden. Oder in Twitter-Sprache: Bleibt cool, denn die Hütte brennt. Denn eines ist sicher, die Grenzen des Planeten wird auch der Kapitalismus nicht sprengen können. Oder vielleicht doch, wer weiß...

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