Kanzlerkandidaten im Distanz-Duell - Journalistische Grillparty für Laschet und Scholz

Zum Auftakt von „Bild“-TV geben sich Armin Laschet und Olaf Scholz die Klinke in die Hand. Während der „Kanzler-Nacht“ treffen die beiden zwar nicht direkt aufeinander, müssen sich aber harte Fragen und Nachfragen gefallen lassen. Besonders für Scholz ist das ein Problem. Und für die deutschen Fernseh-Talkshows gelten seit Sonntag neue Maßstäbe.

Olaf Scholz mit Deutschland-Flagge im Bild-Talk / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

So erreichen Sie Alexander Marguier:

Anzeige

Während die Redaktion von „Anne Will“ noch bis Ende August die Sommerpause genießt, wird bei Bild-TV seit gestern Klartext geredet. Natürlich wird jetzt erst einmal die übliche Häme über den neuen Fernsehsender aus dem Axel-Springer-Verlag geschüttet werden: zu laut, zu schrill, zu aggressiv. Aber eines sollte seit der „Kanzler-Nacht“ vom gestrigen Sonntagabend klar sein: Bild setzt mit diesem Format neue Fernsehmaßstäbe – und früher oder später wird die Konkurrenz, ob Private oder öffentlich-rechtlich, sich darauf einstellen müssen.

Das heißt vor allem für Sendungen wie „Anne Will“: Die Zeiten, in denen sich Politikerinnen vom Format Annalena Baerbocks über sonntägliche Kuschelrunden mit einer ihnen wohlgesinnten Moderatorin freuen durften, sind vorbei. Natürlich könnte die ARD mit ihrem Prime-Talk auch einfach so weitermachen wie bisher, Geld ist ja ohnehin genug da. Aber eben nur um den Preis der endgültigen Lächerlichkeit. Völlig unvorstellbar nämlich, dass in Bild-TV eine Aktivistin mit haltlosen Antisemitismusvorwürfen in Richtung eines CDU-Kandidaten hantieren könnte, ohne auch nur mit einer einzigen kritischen Nachfrage rechnen zu müssen. So geschehen im Mai im Fall von Luisa Neubauer und Hans-Georg Maaßen bei Will.

Olaf Scholz und die Linkspartei

Zur Fernsehpremiere der Boulevardzeitung hatten deren Macher gestern jedenfalls zwei Menschen zu Gast, die derzeit zweifelsfrei über eine gewisse Relevanz verfügen: Armin Laschet und Olaf Scholz, von denen einer mit ziemlicher Sicherheit nächster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland sein wird. Derweil wurden die Zuschauer auf „Das Erste“ mit dem üblichen „Tatort“ sowie hinterher mit einer insbesondere für den SPD-Kandidaten sehr freundlichen Doku über den „Kampf ums Kanzleramt“ beglückt.

Im direkten Duell trafen Laschet und Scholz bei Bild zwar nicht aufeinander, aber sie gaben sich dort die Klinke in die Hand. So konnte Laschet seinen nachfolgenden Konkurrenten mit der Frage begrüßen, wie der es mit der Linken halte und ob er eine Koalition mit dieser Partei denn genauso ausschließen könne wie etwa die Union bei der AfD. Eine Frage, die übrigens zum Leidwesen Scholzens hinterher immer wieder von Interviewpartner Kai Weise aufgegriffen wurde. Die wachsweiche Antwort des amtierenden SPD-Bundesfinanzministers: Für ihn kämen nur Koalitionen mit Parteien in Frage, die sich zur „transatlantischen Partnerschaft und zu einer starken EU“ bekennen würden.

Anderswo wären solche Floskeln wahrscheinlich akzeptiert worden. Aber bei Lichte besehen ist es ja so kompliziert nicht: Entweder, die Linkspartei erfüllt die Anforderungen von Olaf Scholz – dann hätte er sich zu ihr als potentiellem Koalitionspartner bekennen können. Oder es ist eben das Gegenteil der Fall. Insofern ist es nicht nur hinnehmbar, wenn Weise immer wieder nachbohrt, sondern schlicht eine journalistische Pflichterfüllung. Klar war den Zuschauern hinterher jedenfalls, dass mit Blick auf einen möglichen Kanzler Scholz überhaupt nichts klar ist.

Der Pudding an der Wand

Ohnehin wirkte der Kandidat die ganze Zeit über wie der sprichwörtliche Pudding, den es an die Wand zu nageln gilt: permanente Ausweichmanöver, die nur aufgrund der penetranten Nachfragen durch den Moderator in aller Pracht als solche sichtbar wurden. Tatsächlich musste man sich als Zuschauer unwillkürlich fragen, woher das derzeitige Umfragehoch von Olaf Scholz überhaupt rührt. Denn ein staatsmännischer, mitreißender Auftritt war das beileibe nicht. Sondern vielmehr eine Meisterleistung im Herumlavieren. So antwortete er etwa auf die Frage, ob der Klimaschutz das Leben für die Bürger teurer machen würde, mit dem Satz: „Aus meiner Sicht wird sich das vermeiden lassen, wenn wir die richtigen Entscheidungen treffen.“ Aha.

So lief es die ganze Zeit, und man muss Bild heutzutage schon fast dankbar sein, dass sie diese Art von politischem „Let’s dance“ ins Leben gerufen hat, bei der zwischendurch immer wieder eine Jury möglichst Unqualifizierter (der ehemalige Fußball-Manager Reiner Calmund etwa oder die Ex-Boxerin Regina Halmich) ihre Votings abgeben sollten. Wobei Halmichs Einlassungen durchaus erträglich waren im Gegensatz zu denen Calmunds, der ohne Strich und Komma vor sich hin salbaderte. Vielleicht findet sich da künftig noch jemand besseres für die Rolle; im Bild-Universum dürfte eigentlich genug Personal vorhanden sein.

Aber zurück zu Scholz, der seinem Ruf als Scholzomat mehr als gerecht wurde. Wie zuvor Armin Laschet bekam auch er eine Deutschlandflagge überreicht, zu der er sich irgendwie verhalten sollte. Fazit: kein Problem mit Schwarz-Rot-Gold, auch nicht mit der Nationalhymne. Das war es dann aber auch schon mit den Festlegungen. Afghanistan? „Das war kein sinnloser Einsatz.“ Ob Außenminister Heiko Maas wegen seines Kabuler Totalversagens zurücktreten solle? „Ich finde, jetzt müssen alle ihre Arbeit machen.“ Kommt demnächst eine Flüchtlingswelle aus Afghanistan auf Deutschland zu? „Das kann man nicht sagen.“ Wirecard? Ein schwerer Betrugsfall halt, so etwas habe es auch anderswo gegeben. Erinnerungslücken im Cum-Ex-Skandal? Als er in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister den Weiterbau der Elbphilharmonie habe sicherstellen müssen, seien ebenfalls viele Gespräche geführt worden, an die er sich im Detail nicht erinnern könne.

Bloß nicht festlegen

Festlegungen, soviel ist klar, sind die Sache von Olaf Scholz nicht. Nun könnte man einwenden, dass Politik eben schwierig und vielschichtig und nicht immer leicht zu erklären ist. Stimmt ja auch. Aber so wenig konkret wie bei Bild hat man einen Politiker selten erlebt. Sein Auftritt hatte etwas verstörend Apparatschik-haftes und wirkte mit dem ostentativen Nicht-aus-der-Reserve-locken-lassen geradezu arrogant. Ob die beiden aus Afghanistan stammenden Männer, die jüngst einen „Ehrenmord“ an ihrer eigenen Schwester begangen haben, in ihr Herkunftsland abgeschoben werden sollten? Scholz zitiert mehrmals die Gesetzeslage und enthält sich ansonsten lieber einer klaren Meinung. 

Da passte es ganz gut, dass der SPD-Kanzlerkandidat sich soeben für das Magazin der Süddeutschen Zeitung mit Kanzlerinnen-Raute hat ablichten lassen. Natürlich wollte Kai Weise da wissen, wieviel Merkel in Olaf Scholz steckt. Als Replik bekam er einen klassischen Scholz-Satz zu hören: „Die Bürgerinnen und Bürger wählen den nächsten Kanzler.“ Morgens geht die Sonne auf und abends geht sie unter.

Eine Sternstunde an Staatsmännischkeit war die unmittelbar vorangegangene journalistische Grillparty von Armin Laschet mit Bild-Vize Paul Ronzheimer zwar auch nicht gerade. Aber immerhin ließ sich der bisher glücklose CDU-Kanzlerkandidat auf die eine oder andere Frage explizit ein. Die Situation in Afghanistan bezeichnete er unumwunden als „das größte Debakel für die Nato, das wir je erlebt haben“, und eine Konsequenz daraus müsse für Europa darin bestehen, sich militärisch von den USA zu emanzipieren. Fußball-WM im Taliban-Schutzstaat Katar? „Habe ich schon immer bedauert.“ Ausbleibender Empfang für die deutschen Afghanistan-Rückkehrer? „Ich finde, die Bundeswehr gehört in den öffentlichen Raum.“

Politisches Harakiri

Insgesamt machte Laschet einen zugewandteren Eindruck, er wirkte offener und, ja, sympathischer. Dass es zwischen ihm und Markus Söder derzeit nicht rund läuft, versuchte er gar nicht erst abzustreiten. Und als der CDU-Vorsitzende auf Rücktrittsforderungen hinsichtlich seiner Kanzlerkandidatur aus den eigenen Reihen angesprochen wurde, reagierte er eher kämpferisch als konsterniert. Wäre das ein Fernsehduell nach amerikanischer Machart gewesen (und keine Begegnung auf Distanz), hätte Laschet gute Chancen auf einen Punktsieg gehabt.

Sich klar und unmissverständlich zu positionieren, gilt nach 16 langen Merkel-Jahren inzwischen als politisches Harakiri. Denn wer Farbe bekennt, wird von Social Media (und nicht zuletzt auch von Boulevardzeitungen wie Bild) schnell und leidenschaftlich durch den Wolf gedreht. Insofern beißt sich die Katze in den Schwanz, wenn ausgerechnet die Bild-Fernsehleute von ihren Gästen kompromisslosen „Hard Talk“ einfordern. Aber es ist allemal besser, als sich wie Anne Will mit Floskeln abspeisen zu lassen.

Anzeige