Jörg Meuthen verlässt die AfD - „Es wird etwas Neues kommen“

Am Freitag hat der langjährige AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen seinen Führungsposten niedergelegt und ist gleichzeitig aus der Partei ausgetreten. Im Interview sagt er, wie es politisch jetzt für ihn weitergeht. Eine Einstufung der AfD als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz hält Meuthen für „hochwahrscheinlich“.

Jörg Meuthen hat die AfD verlassen und den Parteivorsitz abgegeben / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Herr Meuthen, Sie haben vergangene Woche den Posten als AfD-Vorsitzender aufgegeben und die Partei verlassen. Dem Europäischen Parlament werden Sie aber bis Ende der Legislaturperiode angehören. Welcher Fraktion wollen Sie dort angehören? Bleiben Sie bei „Identität & Demokratie“, zu der auch die AfD zählt?

Ich gehöre der Fraktion „Identität und Demokratie“ an und habe am Wochenende mit unserem Fraktionsvorsitzenden, dem Italiener Marco Zanni, gesprochen, der mir sagte, dass ein sehr großes Interesse bestehe, mich in der Fraktion zu halten. Ich denke, die Kollegen aus Frankreich und den anderen Delegationen sehen das ähnlich. Das alles werden wir im Lauf dieser Woche klären.

Wie wollen Sie sich als Parteiloser überhaupt politisch einbringen?

Ich vertrete das, wofür ich gewählt worden bin. Und gewählt worden bin ich entsprechend unserem damaligen Wahlprogramm für eine Reform der Europäischen Union. Und nicht für einen Austritt Deutschlands aus der EU, wie er von der AfD beim Dresdner Parteitag im vergangenen April beschlossen wurde. Insofern versehe ich mein Mandat im Europäischen Parlament mit mehr Legitimierung als die Kollegen von der AfD.

Werden Sie nach dem Ausscheiden aus dem Europäischen Parlament politisch aktiv bleiben? Oder kehren Sie an Ihre alte Hochschule zurück?

Ich plane definitiv, weiterhin politisch aktiv zu bleiben. Ich fühle mich zu jung und zu agil, um aus der Politik auszuscheiden. Und ich führe derzeit viele Gespräche mit interessanten Menschen, die die Lücke zwischen einer nach links weggerutschten CDU und einer nach rechts weggerutschten AfD füllen können. Das sind sehr interessante Gespräche, für die ich mir jetzt Zeit nehme. Aber es wird etwas Neues kommen.

Das heißt, es geht konkret um die Gründung einer Partei rechts von der CDU und links von der AfD?

Es geht um eine bürgerlich-konservative, freiheitliche Partei. Also genau das, was im Moment in der Bundesrepublik fehlt. Die AfD hätte das sein können, hat diesen Kurs aber verlassen. Und die CDU ist unter Merkel so weit nach links gerutscht, dass auch ein Friedrich Merz das nicht mehr wird korrigieren können. Da besteht also eine große Lücke, was die Repräsentation der politischen Überzeugungen vieler Menschen in diesem Land betrifft. Die muss gefüllt werden.

Und da sehen Sie realistische Chancen? Auch Frauke Petry ist mit ihrer neu gegründeten „Blauen Partei“ krachend gescheitert, nachdem sie die AfD verlassen hatte. Ebenso Bernd Lucke mit seinen „Liberal-Konservativen Reformern“.

Man muss die Fehler, die andere gemacht haben, ja nicht wiederholen. Bernd Lucke, besonders aber Petry, glaubte, mit einer irgendwie „saubereren AfD 2.0“ erfolgreich sein zu können. Das schwebt mir nun ganz und gar nicht vor. Es ist auch grundsätzlich die Frage, ob man etwas Neues gründet oder auf etwas bereits Bestehendes setzt. Insoweit ist alles noch offen, und ich kann mich darüber aktuell nicht weiter auslassen. Es existieren derzeit mehrere Möglichkeiten, die ich sauber gegeneinander abwägen möchte. Aber am Ende wird auf jeden Fall etwas passieren.

Es wurde vielfach gemutmaßt, Ihr Rück- und Austritt hänge mit der Nominierung des CDU-Mannes Max Otte zusammen; Otte sei von Ihren innerparteilichen Gegnern gegen Ihren Willen nominiert worden, um Sie zu schwächen. Was ist da dran?

Da ist überhaupt nichts dran, denn meine Entscheidung zum Austritt ist zeitlich vor der Causa Otte gefallen. Es ist völliger Unfug, wenn das jetzt in einen Zusammenhang gebracht wird. Dasselbe gilt für die Aufhebung meiner Immunität im Europäischen Parlament. Das hat nichts miteinander zu tun. Denn meine Entscheidung ist langfristig gereift und stand auch schon seit längerem fest.

In Ihrer Begründung für den Austritt schreiben Sie, Sie hätten für einen „maßvollen Kurs der Partei“ geworben, doch nun bestehe „kein Restzweifel mehr“, dass Sie damit nicht durchdringen könnten. Große Teile der AfD hätten sich für „einen radikaleren, nicht nur sprachlich enthemmten Kurs“ entschieden. Das ist doch nicht neu. Erfolgen Ihr Rück- und Austritt vor diesem Hintergrund nicht ein bisschen spät?

Der Punkt ist doch, dass immer wieder neue Sachen hinzukamen. Ich habe sehr lange versucht, der AfD jene Richtung zu geben, die ich für die einzig richtige halte. Und ich brauchte die Zeit für den Erkenntnisprozess, dass ich mit meinem Kurs final nicht durchdringe. Zweifel hatte ich schon lange, eigentlich seit dem Jahr 2018, als sich die AfD erkennbar zu radikalisieren begann. Aber ich bin eben nicht der Mensch, der dann die Flinte sofort ins Korn wirft. Ich habe gekämpft, das gröbste Abdriften noch vermieden. Ich hatte Erfolge und Misserfolge. Doch inzwischen bestehen in der Tat keine Restzweifel mehr daran, welchen Weg die AfD gehen will. Und das ist gewiss nicht mehr mein Weg.

Wird es jetzt eine weitere Radikalisierung der AfD geben? Wie sehen Sie die Zukunft der Partei?

Ich denke, die AfD wird eine Zukunft haben als kleine Partei, wahrscheinlich auch als Regionalpartei – eine Art „Lega Ost“. Aber in der gesamtdeutschen Perspektive wird die AfD bald keine Rolle mehr spielen.

Wer ist denn derzeit das eigentliche Machtzentrum der Partei? Chrupalla? Weidel? Gauland? Höcke?

Herr Gauland spielt jedenfalls keine große Rolle mehr. Chrupalla, Weidel, Brandner, Höcke – das sind die Namen. Also samt und sonders Leute, die mich bekämpft haben mit allen Mitteln. Und die sich jetzt sicherlich auch ausgeprägt freuen, dass ich weg bin. Die Frage ist nur, wie lange die Freude währen wird.

Björn Höcke ist Fraktionsvorsitzender in Thüringen. Woran liegt es, dass ein Landespolitiker derart an Einfluss gewinnen konnte?

Das liegt daran, dass einige Leute ihm ein entsprechendes Gestaltungspotenzial zutrauen. Ich selbst sehe das nicht, meines Erachtens ist Höcke eine völlig überbewertete Person. Er hat niemals eine entscheidende Rolle in der bundespolitischen Ausrichtung der AfD gespielt. Natürlich versucht Björn Höcke, im Hintergrund die Strippen zu ziehen, und die Wahlergebnisse in Thüringen sind auch überdurchschnittlich hoch. Daher rührt Höckes Sonderstellung. Aber eine zentrale Figur der Partei ist er nicht, wiewohl er durchaus an Einfluss gewonnen hat. Dennoch ist er keine Führungsperson und wird es auch nie sein.

Der „Flügel“, also die rechtsextreme Gruppierung innerhalb der AfD, wurde offiziell aufgelöst, da sie vom Bundesverfassungsschutz als „Verdachtsfall“ eingestuft wurde. Hat der „Flügel“ faktisch dennoch weiter Bestand?

Das kann man durchaus so sagen. Wir haben damals versucht, diese institutionellen Strukturen, die der „Flügel“ sich gab, aufzulösen. Das ist auch gelungen. Aber dadurch waren die Menschen und deren Programmatik nicht weg; die haben munter weitergearbeitet. Und es werden auch weiterhin Beschlüsse des Bundesvorstands schlicht ignoriert. Da gibt es Parteimitglieder, die nach wie vor gemeinsam mit Andreas Kalbitz auftreten, der aus guten Gründen aus der AfD ausgeschlossen worden ist.

Der Verfassungsschutz sieht neue Hinweise für eine Einstufung der gesamten Partei als „Verdachtsfall“. Glauben Sie, dass es demnächst so weit kommt?

Ich halte das für hochwahrscheinlich. Was mich derzeit allerdings stört ist die Tatsache, dass ich von einigen Medien jetzt als eine Art Kronzeuge des Verfassungsschutzes geführt werde. Das ist blanker Unsinn. Ich habe begründet, warum ich aus der Partei austrete – und mehr nicht. Es ist völlig normal, dass in einem solchen Zusammenhang von meiner Seite auch kritische Worte über die AfD fallen. Aber wenn irgendjemand diese Partei dem Risiko einer Beobachtung durch den Verfassungsschutz aussetzt, dann bin das bestimmt nicht ich. Sondern die radikalen Meinungsführer innerhalb der Partei. Dafür bedarf es keines Kronzeugen, der ich weder bin noch sein möchte.

Inwieweit hat die Pandemiepolitik der Bundesregierung zu einer weiteren Radikalisierung der AfD beigetragen?

Die Pandemiepolitik der Bundesregierung ist zweifelsfrei katastrophal. Und die AfD hat versucht, da einen eigenen Spin zu setzen. Was im Prinzip ja auch legitim wäre; auch ich selbst wende mich definitiv gegen eine allgemeine Impfpflicht. Das Problem ist nur, wie die AfD sich darüber hinaus gibt und in diesem Kontext geradezu sektenartige Züge annimmt. Wenn ich beispielsweise bei Gremiensitzungen statt des Handschlags eine Begrüßung mit Ellenbogen machte wollte, wurde ich insbesondere von Vertretern der ostdeutschen Landesverbände regelrecht entsetzt angeschaut. Es gibt in der AfD auch viele, die Angst davor haben, öffentlich einzugestehen, dass sie geimpft und geboostert sind. Denn faktisch wendet sich die Partei ja implizit gegen jegliche Impfungen. Das zeigt, wohin das Ganze driftet.

Ihr eigentliches Ziel war es, die AfD anschlussfähig an CDU und CSU zu machen. War es nicht ein bisschen naiv zu glauben, die Unionsparteien würden sich je darauf einlassen?

Mein eigentliches Ziel war immer, Politik irgendwann auch aktiv gestalten zu können. Und naiv wäre es gewesen, zu glauben, dass die AfD jemals ohne Koalitionspartner wird regieren können. Da muss man dann eben schon nach potentiellen Partnern Ausschau halten. Insofern liegt die Naivität eher bei denen, die ich als Fundamentalisten bezeichne. Also insbesondere Leute aus Thüringen, die glauben, sie kämen mit ihrem radikalen Kurs auch nur einen Schritt weiter. Mit dieser Herangehensweise kann man es sich allenfalls eine Weile in den Parlamenten gemütlich machen, aber eben keine Politik gestalten.

Welcher Partei würden Sie heute am ehesten beitreten?

Ich würde derzeit keiner der etablierten Parteien beitreten oder einen Beitritt auch nur erwägen.

Die Fragen stellte Alexander Marguier.

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