Spahns Regierungserklärung zum Impfstart - Wer hat hier was falsch gemacht?

Gestern wurde bekannt, dass Kanzlerin Merkel davon ausgeht, erst im dritten Quartal genügend Impfstoff für Deutschland zur Verfügung zu haben. Am heutigen Mittwoch gibt Jens Spahn eine Regierungserklärung ab mit der Botschaft: Die Regierung macht alles richtig. 

„Wir müssen da jetzt gemeinsam durch“, sagt Spahn / dpa
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Marko Northe hat die Onlineredaktion von cicero.de geleitet. Zuvor war er Teamleiter Online im ARD-Hauptstadtstudio und Redakteur bei der "Welt". Studium in Bonn, Genf und Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 

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Gegen Ende der Aussprache wird es unfreiwillig komisch: Die Grüne Cordula Schulz-Asche wirft Gesundheitsminister Jens Spahn vor, in seiner eben abgegebenen Regierungserklärung zum Impfstart zwar Fehler eingestanden, aber keine Vorschläge für die Zukunft gemacht zu haben: „Das war wirklich eher Kanzler-reif als Gesundheitsminister-reif“, so Schulz-Asche. 

Damit will die Grüne Spahn natürlich merkelsches Lavieren vorhalten, aber aus den Reihen der CDU hört man das Gelächter: Was solle denn das Problem daran sein, wenn Spahn Kanzler-reif ist? Klar, so kann man das auch sehen. Man könnte in der Union aber vielleicht auch einmal darüber nachdenken, ob Schulz-Asches vermeintlich verunglückter Angriff nicht doch traf.

Abstruse geopolitische Überlegungen

Denn die 20-minütige Rede des Gesundheitsministers ist ein einziges Umschiffen der eigentlichen Probleme und Vorwürfe. Impfstoff fehlt? Wir haben genügend bestellt. Der Grund für den Mangel? Fehlende Produktionskapazitäten, nicht fehlende Verträge mit den Herstellern. In Spahns Augen sind also diejenigen schuld, die die Impfstoffe in Rekordzeit entwickelt und hergestellt haben – wofür er sie wiederum lobt: Das sei „auch ein deutscher Erfolg“ sagt er mit Blick auf Biontech. 

Auch vom Hickhack zwischen EU-Kommission und der Initiative einzelner Gesundheitsminister ist nichts mehr zu hören. Es komme darauf an, „den europäischen Weg zu gehen“, sagt Spahn. Das läge auch im nationalen Interesse. Und hier versteigt sich der von manchen als heimlicher Kanzlerkandidat gehandelte Minister in abstruse geopolitische Überlegungen. Ein Blick in die USA zeige doch, dass die europäische Handlungsfähigkeit dringlicher sei denn je. Amerika werde seine Rolle als globale Schutzmacht liberaler Interessen nicht wahrnehmen können, weil es mit sich selbst beschäftigt sei. Also sei die EU jetzt in der Pflicht, diese Rolle einzunehmen. Dafür brauche es Vertrauen in ihre Institutionen und keine nationalen Alleingänge.

Durch eine gemeinsame Impfpolitik wird die EU also zur neuen liberalen Weltmacht? Spahn dreht das ganz große Rad, und da muss man Schulz-Asche recht geben: Das klingt eher wie die Regierungserklärung einer Kanzlerin, die gerade auf dem Weg zum EU-Gipfel ist als die eines Gesundheitsministers, der in nationalen Grenzen agieren muss. Spahn scheint sich schon in die Außenpolitik zu flüchten, noch bevor er wie Merkel und vor ihr Kohl nach langen Jahren als Regierungschef angeödet von den Niederungen der bundesrepublikanischen Politik ist.

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„Wir müssen da jetzt gemeinsam durch“

Spahns Fazit seiner Impfpolitik: Fehler mag es gegeben haben, aber andere hätten es auch nicht besser gemacht. Und, so wörtlich: „Wir müssen da jetzt gemeinsam durch.“ Nun hat der Gesundheitsminister sich bereits zu Beginn der Pandemie einen Ablassbrief ausgestellt, indem er den wahren wie auch etwas hinterlistigen Satz „Wir werden einander viel verzeihen müssen“ ausgesprochen hatte. Von vornherein hat Spahn klargestellt, dass die Regierung nicht alles richtig machen werde. Und es wäre in einer solch fundamentalen Krise auch zu viel verlangt, von den Verantwortlichen perfekte Lösungen zu verlangen.

Doch die Todesrate in Deutschland ist inzwischen höher als die in den USA, wo das Virus besonders wütete. Oft genug hat man dafür die erratische Politik des verantwortungslosen US-Präsidenten als Grund genannt. In den USA wird allerdings im Verhältnis weitaus schneller und mehr geimpft als in der Bundesrepublik und der EU. Wenn täglich rund 1.000 Bürger an Covid-19 sterben, wie es gerade der Fall ist, muss die Frage erlaubt sein: Wie viele von ihnen müssten nicht sterben, wenn man in Deutschland schneller Impfstoff produziert, geordert und verteilt hätte?

Lindner stellt die richtigen Fragen

Christian Lindner nahm in der anschließenden Debatte Spahns Europarede auseinander: Wer immer auf die EU verweise, der müsse die Frage beantworten, warum Europa nicht schnell genug Impfstoff beschaffe. In Richtung Merkel fragte der FDP-Chef, warum die EU-Ratspräsidentschaft nicht für ein schnelleres Tempo gesorgt habe.

Aber nicht nur die FDP ist in der Opposition, auch die SPD scheint es spätestens jetzt im Wahljahr 2021 zu sein. Bärbel Bas und Carsten Schneider verteidigen die Kritik der Sozialdemokraten an der mangelhaften Impfstoff-Beschaffung durch EU-Kommission, Kanzleramt und Bundesgesundheitsministerium. Nachzufragen, wie in Europa die Verträge mit den Herstellern geschlossen wurden, sei keine Majestätsbeleidigung. 

Ein wenig vorgeschoben wirkte das, und die Frage, ob hinter der Kritik nicht doch frühzeitiges Wahlkampfgetöse steckt, bleibt. Als bräuchte es für diesen Eindruck noch eine Bestätigung, ging gegen Ende Berlins Regierender Bürgermeister, der (noch) kein Bundestagsabgeordneter ist, ans Rednerpult und erklärte, wie gut Berlin aufs Impfen vorbereitet sei. Und so entstand insgesamt der Eindruck, dass die Pandemie nicht nur eine furchtbare Katastrophe, sondern auch ein guter Anlass für die Redner war, sich zu profilieren und mit dem Finger auf andere zu zeigen. 

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