Jens Spahn im Porträt - Münsterländer Machtmensch

Jens Spahn hat eine steile Karriere in der Politik hinter sich. Doch als Bundesgesundheitsminister gerät er zunehmend unter Druck: Erst das Masken-, dann das Impfstoffdesaster. Und dazu windige Immobiliengeschäfte. Kann so einer Kanzler?

Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will noch hoch hinaus / Phillip Spalek
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Jakob Arnold hospitierte bei Cicero. Er ist freier Journalist und studiert an der Universität Erfurt Internationale Beziehungen und Wirtschaftswissenschaften. 

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Berlin, Unter den Linden, 31. Januar 2020, im Studio von Maybrit Illner. Gerade ist der fünfte Corona-Fall in Bayern bekannt geworden, und in der Talkshow ruft Gesundheitsminister Jens Spahn zur Besonnenheit auf: „Das Entscheidende – deswegen sind wir gut vorbereitet – ist, schnell die Infektionsketten zu unterbrechen. Und ein Gesundheitswesen wie unseres kann das“, beruhigt er die Bürger vor den TV-Geräten. Spahn wirft dem Humanmediziner Johannes Wimmer „Hektik“ vor, als dieser vor der Unvorhersehbarkeit der Entwicklung warnt. „In diesem Jahr sind leider schon 50 Menschen an Grippe gestorben. Es ist wichtig, die Dinge einzuordnen“, sagt er – und muss sich von Wimmer für die Relativierung zurechtweisen lassen: „Der Vergleich mit der Grippe hinkt“, wirft der ein.

Auch wenn er mit seiner Prognose nicht falscher hätte liegen können: Ein Jahr später gehört Spahn zu den populärsten Politikern des Landes. Im Dezember hat er auf der Beliebtheitsrangliste erstmals Angela Merkel überholt – nur der holprige Impfstart hat jüngst an seinem Macher-Image gekratzt. „Bekannt bin ich jetzt, beliebt muss ich noch werden“, hat Spahn nach seiner Berufung zum Gesundheitsminister 2018 gesagt. Dass er in der Corona-Pandemie seine Fähigkeit bewiesen hat, aus Irrtümern zu lernen, hat ihm auf diesem Weg geholfen.

Eine Karriere wie am Reißbrett

Manche Fans sehen in dem 40-Jährigen gar einen Kanzlerkandidaten, doch scheint dieser Zug nach der Wahl von Armin Laschet zum CDU-Chef für 2021 abgefahren. Aber vorbei kommt an Spahn niemand mehr. „Nach der Wahl kann er sich einen Ministerposten aussuchen“, sagt ein bekannter CDU-Politiker. Oder nimmt er den Fraktionsvorsitz, um sich als Gegenspieler des nächsten Kanzlers zu profilieren? Spahn blickt voraus. Und nach oben.

Rückblickend erscheint alles wie ein langfristig angelegter Plan: Jens Spahn, ältestes von drei Kindern, aufgewachsen im münsterländischen Nest Ahaus, steigt mit 15 bei der Jungen Union ein, vier Jahre später wird er in den Stadtrat gewählt, 2002 zieht er in den Bundestag ein, 2005 wird er Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Gesundheitsausschuss, später deren Sprecher. 2015 macht ihn Finanzminister Wolfgang Schäuble zu seinem Staatssekretär, drei Jahre später boxt er sich auf den Posten des Gesundheitsministers. 

„Der will die Macht.“

„Der ist so ein Typ wie Schröder“, sagt ein bekannter CDU-Politiker aus seiner Altersgruppe über ihn. „Der will die Macht. Und da muss man bereit sein, auch mal den nächsten Schritt zu wagen.“ 
Als kühl kalkulierender Karrierist dagegen gilt er unter den Älteren: „Spahn ist der Prototyp eines Politikers, der Netzwerke knüpft, bevor er ein Amt hat, und der sie dann als Trampolin nutzt, um aufzusteigen“, sagt ein CDU-Landespolitiker der älteren Generation.

Jens Spahn polarisiert. Seit mindestens 25 Jahren. In der 2018 über ihn erschienenen Biografie zitiert Autor Michael Bröcker einen Leserbrief des 17-jährigen Spahn mit dem Titel „Kernenergie nutzt Umwelt“, in dem er Atomkraftwerken als einziger Alternative zu fossilen Brennstoffen huldigt – in ­Ahaus, einer Stadt, in der sich gerade der Widerstand gegen das geplante Atommüll-Zwischenlager formiert. Es ist das politische Erweckungserlebnis des jungen Mannes. Über die nächsten zwei Jahrzehnte wird er die Strategie beibehalten: das Sticheln, das Provozieren, das Finger-in-die-Wunde-­Legen. 2015 bringt er so in der Flüchtlingskrise Angela Merkel gegen sich auf – und sich selbst in die Schlagzeilen. Erst als Spahn das Ministeramt bekommt, wird der Stichler zum Staatsmann.

Begabter Netzwerker

Eine weitere Konstante sind die vielfältigen Netzwerke: Am Anfang ist da der Kreisvorsitz der Katholischen Jugend, zwei Jahrzehnte später die Bilderberg-Konferenz. Bis heute pflegt Spahn aber auch seine Freundschaften aus einem Männerbündnis namens „Hau wech“, das zu Schulzeiten vor allem zum Zweck gemeinsamer Besäufnisse gegründet wurde.

Die Netzwerke tragen. Einer seiner Mit-Azubis, den er ab 1999 während seiner Ausbildung zum Bankkaufmann bei der WestLB kennenlernt, ist sozialdemokratischer Nachwuchspolitiker. Der hilft Spahn drei Jahre später beim Aufstellen von Wahlplakaten. Obwohl er für die SPD im Nachbar­ort im Stadtrat sitzt und sich böse Kommentare der Genossen anhören muss.

Von Anfang an selbstbewusst

Schon 2002 schafft Spahn den Sprung in den Bundestag. Und knüpft weitere Netzwerke: Mit drei Bundestagsneulingen aus anderen Fraktionen schließt er sich zusammen, um eine Verfassungsänderung für mehr Generationengerechtigkeit durchzusetzen – und landet erstmals in der FAZ.

Eine der Neulinge ist die Sozialdemokratin Sabine Bätzing-Lichtenthäler, heute Gesundheitsministerin in Rheinland-Pfalz. „Der ist mir aufgefallen, weil er im Bundestag von Anfang an sehr selbstbewusst aufgetreten ist und rhetorisch sehr gewandt war“, erinnert sie sich. Die jungen Kollegen scherzen über den 22-Jährigen, der immer Anzug trägt: „So alt, wie der wirkt, kann er gar nicht werden.“

Aktenlesen bis in die Nacht

Aber Spahn hat einen Plan. „Er wollte keiner dieser Hinterbänkler werden, die sich damit begnügen, Umgehungsstraßen für den Heimatwahlkreis rauszuschlagen“, erinnert sich einer, der ihn damals im Verein der Freunde des Münsterlands kennenlernt, einem Netzwerk, in dem Spahn Journalisten, Politiker und Wirtschaftsleute zusammenbringt: „Nach einer Weile verließ er die Treffen immer schon um neun oder halb zehn, während die anderen noch fröhlich weitertranken.“ Begründung: Er müsse noch Akten lesen. 

Spahn arbeitet hart, und das erwartet er auch von seinen Mitarbeitern. Der Rechtsanwalt Michael Dust, heute 34 Jahre alt, kennt Spahn aus Zeiten der Jungen Union. 2009 hat er dessen Wahlkampf geleitet und erinnert sich an 80-Stunden-Wochen. Er kenne auch andere Abgeordnete aus der Nähe, „aber mit ihm war das eine andere Liga“. Termine von morgens um sieben bis um 23 Uhr sind der Normalfall. „Da war mir klar: Der kommt noch weit“, sagt Dust.

Fragliche Lobbyarbeit

Wer über Spahns erste Jahre im Bundestag liest, fühlt sich an Philipp Amthor erinnert: Da ist dieses Streber-Image eines früh in die Bundespolitik Aufgestiegenen, das betont Konservative im Äußeren wie in den Positionen. Und da ist eine gewisse Anfälligkeit für Verlockungen. 

Der in den Medien hochgejazzte Amthor, heute 28, stolpert 2020 über seine Lobbyarbeit für das IT-Unternehmen Augustus Intelligence: Als Abgeordneter hatte sich der Provinzpolitiker aus dem Städtchen Torgelow in Vorpommern von Kreisen verführen lassen, die sich in Sankt Moritz und New York trafen. Strafrechtlich relevant ist sein Tun nicht, aber Amthors weiße Weste hat jetzt Flecken.

Auch Spahn, dessen Elternhaus wohlhabend, aber nicht reich ist, kommt in der Gesundheitspolitik mit sehr wohlhabenden Kreisen in Berührung. 2006 steigt er mit 25 Prozent bei Politas ein, einer Lobbyagentur für Pharmaklienten. Zur gleichen Zeit ist Spahn Obmann im Gesundheitsausschuss. Wie im Fall Amthor ist seine Beteiligung nicht illegal, aber als sie 2012 bekannt wird, hat Spahns Karriere den ersten Knacks: Die Nähe zur Pharmaindustrie stellt Spahns politische Unabhängigkeit in Frage. „Heute würde ich anders handeln“, bekennt er in seiner Biografie. „Ich denke, da muss man eine klare Grenze ziehen“, sagt Spahns alte Bekannte Bätzing-Lichtenthäler, Gesundheitsministerin im Pharmaland Rheinland-Pfalz.

Die Vorliebe für den Luxus

Hat Spahn eine Schwäche für ein mondänes Leben? In der Biografie erinnert sich ein Mit-Azubi, dass Spahn schon damals, kurz nach dem Abi, mit einem weißen Golf Cabriolet auf sich aufmerksam machte. Zwei Jahrzehnte später ist es eine Villa: Im Herbst 2020, mitten in der Corona-Pandemie, vermeldet der Tagesspiegel, Spahn habe mit seinem Ehemann Daniel Funke für „mehrere Millionen Euro“ ein Anwesen im Nobelbezirk Dahlem gekauft. Gegen die Veröffentlichung der genauen Summe geht Spahn gerichtlich vor.

Den Politas-Staub schüttelt Spahn jedoch bald ab: Sein Förderer Wolfgang Schäuble macht ihn 2015 zum Staatssekretär im Finanzministerium. Auch Merkel hat Sympathien für Spahn. 
Das ändert sich jedoch mit der Flüchtlingskrise. Spahn wird zu ihrem penetrantesten parteiinternen Wadenbeißer: In den Talkshows wagt er den Balanceakt, sich gegen die Kanzlerin zu profilieren, ohne sich aber der offenen Meuterei schuldig zu machen. 

Kosten-Nutzen-Polarisierer

Spahn versammelt für einen Sammelband zur Flüchtlingsfrage Merkel-Kritiker von Boris Palmer bis Markus Söder. Es ist Spahns Erfolgsgeheimnis seit den ersten Tagen in der Jungen Union: so viele Unterstützer hinter sich zu scharen, dass auch die nicht mehr an ihm vorbeikommen, die ihn ablehnen. Auch Merkel stellt im März 2018 bei der Kosten-Nutzen-Rechnung fest, dass sie Spahn zum Gesundheitsminister machen muss, um eine Rebellion zu vermeiden.

Aber Spahn will weiter. Er kandidiert für den CDU-Vorsitz gegen Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer, unterliegt klar, aber verdient sich mit seiner Chuzpe Respekt. Nach AKKs Scheitern 2020 werben Merz und Laschet gleichermaßen um ihn: Spahns Netzwerk gegen sich zu haben, will keiner riskieren. 

Spahn im Team Laschet?

Im letzten Moment schließt sich Spahn Laschet an. Aber je höher seine Umfragewerte steigen, umso mehr bereut er es: Hätte er vielleicht doch selbst kandidieren sollen? Geduld, das zeigt sein Lebensweg, ist nicht Spahns Königsdisziplin.
Noch bevor Laschet zum CDU-Chef gewählt ist, sondiert Spahn in der Partei seine Chancen, Kanzlerkandidat zu werden. Das registriert man auch im Laschet-Lager. In diesen Zeiten sei bei Spahn „der Elan, für Laschet Wahlkampf zu machen, nicht besonders ausgeprägt“ gewesen. Und es passte ganz und gar nicht in die Logik des Teams Laschet-Spahn: Natürlich hat der neue CDU-Chef das Zugriffsrecht auf die Kanzlerkandidatur.
Seit dem Parteitag ist Spahn nun stellvertretender CDU-Vorsitzender, eine klare Arbeitsaufteilung zwischen ihm und Laschet gibt es bisher noch nicht. Das Verhältnis der beiden birgt Potenzial für die nächsten Jahre.
 

Dieser Text stammt aus der März-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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