Wie funktioniert eine global einheitliche Impfstoffverteilung? - „Manche Länder haben bis heute keine einzige Dosis erhalten“

Eine gerechte Impfstoff-Verteilung wird gefordert – doch einige Länder machen da nicht mit. Der Bundestagsabgeordnete Andrew Ullmann sowie der Berichterstatter der FDP-Bundestagsfraktion für globale Gesundheit, Jens Beeck, beschreiben im Interview einige der größten Probleme.

In Deutschland werden derzeit bis zu 1 Million Impfdosen pro Tag verimpft / dpa
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Autoreninfo

Sina Schiffer studiert an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn Politik und Gesellschaft und English Studies. Derzeit hospitiert sie bei Cicero. 

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Andrew Ullmann ist Professor für Infektiologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie, internistische Onkologie und Infektiologie. Seit 2017 vertritt er die FDP im Bundestag. Zudem ist er Obmann der FDP-Bundestagsfraktion im Gesundheitsausschuss und stellvertretender Vorsitzender des Unterausschusses Globale Gesundheit. 

Jens Beeck ist Berichterstatter der FDP-Bundestagsfraktion für globale Gesundheit im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und stellvertretender Vorsitzender der Deutsch-Mittelamerikanischen Parlamentariergruppe.

Seit mehr als einem Jahr Pandemie geht es jetzt um die gerechte Impfstoffverteilung. Wird es in Zukunft eine globale Impfgerechtigkeit geben? 

Ullmann: Eine globale Impfstoffverteilung ist nicht nur eine Frage der Menschlichkeit, sondern auch des Eigennutzens. Je länger die weltweite Verteilung der Impfstoffe dauert und das Virus unkontrolliert bleibt, desto häufiger kann das Virus mutieren und desto höher ist die Chance für weitere Virusvarianten. Somit steigt das Risiko, dass Impfstoffe nicht mehr wirken und mehr Menschen sterben. Wir können uns einen Impfnationalismus nicht leisten. Den Fahrplan für eine gerechte Impfstoffverteilung streben wir mit der Impfstoff-Initiative COVAX an. Sie muss gestärkt und weiterentwickelt werden. 

Kommt die nicht viel zu spät? 

Beeck: COVAX wurde schon früh ins Leben gerufen, funktioniert aber bis heute nicht. Bilaterale Verträge haben die gute Grundidee zunichte gemacht. Bis heute hat COVAX deshalb kaum Impfstoff zur Verfügung. Damit bleibt Entwicklungsländern oft keine andere Möglichkeit, als Impfstoffe aus China oder Russland zu beziehen – mit den entsprechenden Folgen. Aus meiner Sicht besteht hier dringender Handlungsbedarf.

Wie wird die Initiative operieren und inwieweit ist Deutschland daran beteiligt und eingebunden? 

Beeck: Deutschland gehört zu den größten Geldgebern bei COVAX. Es fehlt jedoch nicht nur das Geld, sondern vor allem der Impfstoff. Manche Länder haben bis heute keine einzige Dosis erhalten. Wir brauchen dringend eine Regelung, wie überschüssige Impfdosen schnell und unbürokratisch an COVAX gespendet werden können. Deutschland muss außerdem den Ausbau von Produktionskapazitäten in Entwicklungsländern stärker unterstützen. 

Beim G7-Gipfel hat Deutschland erneut 1,5 Milliarden Euro im internationalen Kampf gegen das Virus zugesagt. Wofür wird das Geld eingesetzt? 

Ullmann: Eine Milliarde Euro wird für die COVAX Facility bereitgestellt. Die übrigen 500 Millionen Euro fließen an die WHO und in die Erforschung neuer Impfstoffe, vor allem mit Blick auf Virusmutation. Mit insgesamt 2,1 Milliarden Euro setzt Deutschland ein starkes Zeichen für die weltweite Pandemiebekämpfung. Entscheidend ist, dass auch andere Länder einen fairen Beitrag für den internationalen Kampf gegen das Virus leisten, denn die Finanzierungslücken sind immer noch groß. 

Gibt es Alternativen neben der finanziellen Unterstützung? 

Ullmann: Geld allein reicht nicht aus. Viele Staaten haben mehr Impfstoff bestellt, als sie für die komplette Durchimpfung ihrer Bevölkerung brauchen, dazu gehört auch Deutschland. Sie sollten überschüssige Impfdosen zeitnah und unbürokratisch an die COVAX Facility spenden. Auch die EU muss endlich aktiv werden und die gemeinsame Strategie für die Verteilung überzähliger Impfdosen vorantreiben. Ein Horten an manchen Orten, während es in anderen Teilen der Welt lebensbedrohliche Engpässe gibt, darf es nicht geben. 

Andrew Ullmann 

Der Volksrepublik China wird „Vakzin-Erpressung“ vorgeworfen: Die Bereitstellung von Impfstoffen werde an Bedingungen geknüpft. Was ist an diesen Anschuldigungen dran? 

Beeck: Das sehen wir derzeit in Paraguay. China knüpft die Lieferung von Impfstoffen an außenpolitische Ziele. Auch Russland nutzt die Notlage anderer Staaten aus. Das Verhalten von Peking und Moskau ist nicht hinnehmbar. Der Einsatz von Impfstoffen als politisches Druckmittel ist in meinen Augen inakzeptabel.

Was hat das dann wiederum für Auswirkungen auf eine global einheitliche Impfstoffverteilung?

Beeck: Die Impfstoffe sind global sehr ungleich verteilt. Durch die Art, wie China und Russland derzeit Impfstoffdiplomatie betreiben, erreicht der Wettlauf um die schnellste Versorgung eine ganz neue Dimension. In vielen Entwicklungsländern sind die Gesundheitssysteme unterfinanziert. Dort werden dringend Impfstoffe gebraucht. Ich habe deshalb große Sorge vor gefährlichen Abhängigkeitsverhältnissen. 

Die Industriestaaten beanspruchen den Großteil der Impfdosen – zu Lasten der ärmeren Länder. Wie soll der Pandemie da ein Ende gesetzt werden? 

Ullmann: Für das Ende der Pandemie ist ein weltweiter Zugang zu Impfstoffen entscheidend. Das langfristige Ziel ist, eine globale Herdenimmunität sicherzustellen. Es braucht aber auch Medikamente und Tests. Daher dürfen wir den Fokus nicht nur einseitig auf Impfstoffe legen, die für Länder des globalen Südens vielleicht nicht schnell genug kommen.

Was schlagen Sie vor? 

Ullmann: Wir müssen ärmere Länder beim Schutz des Gesundheitspersonals sowie ihren Test-Trace-Isolate-Strategien unterstützen. Nach einem Jahr Pandemie werden dort noch immer nicht annähernd genug Tests durchgeführt, um wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Auch die Bereitstellung von Behandlungsmöglichkeiten wie Medikamente oder medizinischer Sauerstoff sind in der akuten Phase der Pandemie dringend notwendig.   

Vollständig Geimpfte sollen voraussichtlich genauso behandelt werden wie negativ getestete Personen. Wenn der Impfstoff in ärmeren Ländern immer noch sehr knapp ist, kann dort überhaupt wieder ein normales Leben funktionieren? 

Beeck: Die Eindämmung der Pandemie ist in Entwicklungsländern ohnehin schwierig. Strikte Ausgangssperren bedeuten in vielen Fällen, dass Familien keinerlei Einkommen haben. Oft ist die Angst ums Überleben größer als vor Corona. Ich fürchte deshalb um die Erfolge jahrzehntelanger Entwicklungszusammenarbeit. Sie stehen in ganzen Regionen der Welt auf dem Spiel. Gerade deshalb müssen arme Länder schnellstmöglich Impfstoff erhalten.

Jens Beeck

Wann wäre das? 

Beeck: Eigentlich sollte COVAX bis Ende des Jahres weltweit zwei Milliarden Menschen den Zugang zur Impfung zu ermöglichen. Doch vom selbst gesteckten Ziel ist die Initiative weit entfernt. COVAX muss endlich ausreichend Impfdosen erhalten, damit das Ziel noch dieses Jahr erreicht wird.

Wird die Schere zwischen Arm und Reich angesichts der Impfstoffdiplomatie noch größer?

Beeck: Die Schere vergrößert sich bereits seit dem Beginn der Pandemie. Diese Entwicklung muss gestoppt werden. China und Russland handeln nicht aus Nächstenliebe, sondern allein im Eigeninteresse. Wir dürfen Entwicklungsländer nicht in Abhängigkeitsverhältnisse drängen. Zudem ist die „Nebenfolge“ der Pandemie eine massive Verschärfung von Hunger- und Armutsrisiken. Allein in Lateinamerika sind rund 70 Millionen Menschen zusätzlich ohne Arbeit – und oft auch ohne soziale Sicherung.

Halten Sie vor diesem Hintergrund eine Aussetzung des Patentschutzes für Covid-19-Impfungen für sinnvoll?

Ullmann: Nein. Mit der Aufhebung vom Patentschutz wird nicht eine zusätzliche Impfstoff-Dose hergestellt. Schließlich mangelt es an Rohstoffen und qualitativ hochwertigen Produktionsanlagen und nicht am Willen der Kooperation von Unternehmen. Fällt der Patentschutz, würden nur negative Effekte eintreten.

Welche meinen Sie? 

Ullmann: Wichtige Rohstoffe werden vernichtet, da Qualitätsmängel in der Herstellung von Generika-Impfstoffen zu erwarten sind. Lieferengpässe werden eintreten und eine sichere Planung zur Verimpfung unmöglich machen. In der nächsten Pandemie wird auch der Anreiz für Unternehmen wegfallen, einen Impfstoffkandidaten entwickeln zu wollen. 

Die Fragen stellte Sina Schiffer

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