Impfpflicht und Infektionsschutzgesetz - Die tragische Rolle der ehemaligen Freiheitspartei FDP

In der kommenden Woche will der Bundestag über eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes abstimmen, die Corona-Maßnahmen auch nach dem 20. März möglich machen soll. Damit, und mit dem Festhalten an einer Impfpflicht, geht Deutschland seinen pandemiepolitischen Sonderweg weiter. Es stellt sich die Frage, ob die FDP nicht eigentlich die Koalition aufkündigen müsste, statt weiteren Restriktionen zuzustimmen und damit sämtliche Wahlversprechen zu brechen.

Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei einer Pressekonferenz zur Novelle des Infektionsschutzgesetzes / dpa
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Autoreninfo

Jessica Hamed ist Fachanwältin für Strafrecht und Dozentin an der Hochschule Mainz. Seit März 2020 vertritt sie bundesweit in verwaltungs- und strafrechtlichen „Coronaverfahren“ und veröffentlicht eine Vielzahl ihrer Schriftsätze.

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Die FDP und ihre Repräsentanten wie Bundesjustizminister Marco Buschmann oder Bundesvorstandsmitglied Martin Hagen erreicht die Tage von allen Seiten Schelte. Von sachlicher Kritik über ihre gebrochenen Versprechen im Hinblick auf den Umgang mit der Pandemie bis hin zu wüsten und bösartigen Beschimpfungen und Verunglimpfungen durch Menschen, die in dem zwischen Buschmann und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach verhandelten Gesetzesentwurf zur Änderung des IfSG im Hinblick auf das Auslaufen der bisherigen Corona-Maßnahmen das Tor zu Tod und Teufel geöffnet sehen oder darin Verrat an den Wählerinnen und Wählern der FDP erblicken, ist alles dabei. Beides findet sich shitstormartig unter anderem unter #FDPrausAusDerRegierung und #FDPkannweg bei Twitter. Gleichwohl blitzt hier und da aber auch Verständnis auf für die schwierige Position der FDP, die faktisch nur die Möglichkeit hatte, einen „Kompromiss“ auszuhandeln oder die Koalition aufzukündigen. 

Ausgangspunkt des Dilemmas der FDP war unter anderem ein Versprechen von Buschmann am 27.10.2021. Er sicherte zu: „Um noch bestehende Gefahren von Covid-19 bekämpfen zu können, schaffen wir eine Rechtsgrundlage für wenig eingriffsintensive Maßnahmen wie etwa die Maskenpflicht. Jedoch sind diese Maßnahmen befristet und enden spätestens am 20. März 2022.“ 

Die angekündigten „wenig eingriffsintensiven“ Maßnahmen entpuppten sich jedoch letztlich als die bislang gravierendsten verfassungswidrigen Grundrechtseingriffe. Sie stellten aufgrund der evidenzlosen 2G-Regelungen und der damit verbundenen willkürlichen Ungleichbehandlung von Menschen, die weder als „geimpft“ noch als „genesen“ galten sogar den fast sieben Monate andauernden Lockdown im Winter/Frühling 2020/2021 in den Schatten. 

Für die einrichtungsbezogene Impfpflicht stimmte die FDP fast geschlossen

Das von der Politik behauptete und von den Medien selten hinterfragte falsche Narrativ der „Pandemie der Ungeimpften“ wurde nicht nur in Gesetzesform gegossen, wodurch nicht geimpfte Mitbürgerinnen und Mitbürger nahezu vollständig aus dem öffentlichen Leben ausgeschlossen wurden, sondern darüber hinaus wurden jene Menschen auch der sozialen Ächtung preisgegeben. Und das alles wurde ausgerechnet mit der Partei möglich, die im Wahlkampf für einen moderaten und freiheitsbewussten Umgang mit der Pandemie eintrat. Damit hatte die FDP gleich zu Beginn ihrer Regierungszeit ein zentrales Versprechen gebrochen, nämlich dass es keine Diskriminierung von nicht gegen Covid-19 geimpften Menschen geben solle, wie FDP-Chef Christian Lindner noch im Sommer gegenüber einem Bürger, videographisch festgehalten, versprach.  

Auch der dystopische Albtraum vieler Menschen, eine Impfpflicht gegen Covid-19, wurde mit Unterstützung der FDP zum Teil Realität. Für die einrichtungsbezogene Impfpflicht stimmte die FDP nahezu geschlossen, inklusive der Stimme des (Feigenblatt)-Maßnahmenkritikers Wolfgang Kubicki.   

 

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Während sich in ganz Europa ein Dominoeffekt beobachten lässt, da sich seit Wochen nahezu alle Länder von den letzten verbliebenen Corona-Maßnahmen befreien und zur vorpandemischen Normalität übergehen (beispielsweise Norwegen, Finnland, Spanien, Dänemark; sogar Österreich hat nun die Impfpflicht ausgesetzt) ignoriert Deutschland diesen Umstand, isoliert sich zunehmend und führt weiterhin unangefochten den „Stringency Index“ an. Deutschland hat bis jetzt weltweit die striktesten Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus erlassen. Ein Ende ist vorerst auch nicht in Sicht, vielmehr unterstützen über 200 Bundestagsabgeordnete, auch Mitglieder der FDP, einen Gesetzesentwurf für die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht gegen Covid-19 ab 18 Jahre – ein weltweit fast einzigartiges Vorhaben. Der handwerklich schlecht gemachte Entwurf eines kaum durchsetzbaren Gesetzes bildet mit Sicherheit den erschütternden Höhepunkt einer weitgehend von der Realität abgekoppelten Politik und wird zu Recht u.a. von dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Papier für verfassungswidrig gehalten.  

Das Schlimmste verhindern?

Zwar haben die Ampel-Fraktionen eine freie Abstimmung beschlossen, es darf aber angesichts dessen, dass die FDP eine Impfpflicht im Vorfeld der Bundestagswahl kategorisch ablehnte, die Frage gestellt werden, ob die selbsternannte Freiheitspartei nicht wenigstens die allgemeine Impfpflicht als rote Linie und damit als „Dealbreaker“ für die Koalition ansehen müsste. 2017 prägte Lindner den Satz, der der FDP seit Wochen immer wieder vorgehalten wird: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“. Der FDP wird nachvollziehbarerweise vorgeworfen, an ihren Posten zu hängen und dafür Wahlversprechen zu brechen.  

Doch was wäre, wenn die FDP die Koalition aufkündigen würde? Die Union, die SPD und die Grünen stehen für eine restriktive Coronapolitik, sodass es als ausgeschlossen gelten darf, dass es ohne die FDP freiheitlicher zuginge. Wiegt aber am Ende das Gefühl, getäuscht worden zu sein, bei den Wählerinnen und Wählern schwerer als der Umstand, dass es um den freiheitlichen Rechtstaat in Deutschland ohne die FDP noch schlechter stünde? Wäre es nicht rationaler anzuerkennen, dass die reale Einflussmöglichkeit der FDP, die gerade einmal 11,5 % aller Mandate im Bundestag auf sich vereinen konnte, beschränkt ist? Das berücksichtigend, wirkt der ausgehandelte Kompromiss in Form des Gesetzesentwurfs zur Änderung des IfSG zumindest auf den ersten Blick wie ein Sieg des liberalen Justizministers. So sollen die Landesregierungen spätestens ab dem 2. April bis Ende September „nur“ noch sehr eingeschränkt Masken- und Testpflichten verhängen können. Vielfach entsteht dabei der Eindruck, dass der Wegfall der Maskenpflicht in Läden, Schulen, Museen und Restaurants usw. als Verbot des Maskentragens verstanden wird. Die teilweise wahrnehmbare, irrationale Empörung über die Aufhebung der Maskenpflicht ist nicht nachvollziehbar. Es existiert ein Instrumentarium effektiven Eigenschutzes vor Ansteckung (vor allem FFP2-Maske), das insbesondere Erwachsenen, deren Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf deutlich über dem von Kindern liegt, uneingeschränkt zur Verfügung steht. Somit bleibt es allen selbst überlassen, zum Schutz eine geeignete Schutzmaske aufzusetzen oder sonstige Schutzmaßnahmen eigenverantwortlich zu ergreifen. Die teilweise wahrnehmbare Hysterie ist rational nicht erklärbar. Es ist die Verantwortung der Politik, die Menschen, die sie über die Maßen derart geängstigt hat, dass diese nunmehr vom Staat ein Rundum-sorglos-Paket erwarten und kaum noch in der Lage sind, ihr Leben eigenverantwortlich zu gestalten, zurück in die Realität zu holen. Angesichts dessen, dass Menschen mit einem geschwächten Immunsystem bedauerlicherweise auch schon vor Corona im Alltag besondere Vorsicht walten lassen mussten, ist die Situation bei Covid-19 keine andere. Überlegenswert wäre allerdings, besondere Angebote an diese zu machen; etwa das freiwillige Anbieten von spezifischen Einkaufszeiten für vulnerable Menschen sowie die Subvention von Taxifahrten, damit keine öffentlichen Verkehrsmittel genutzt werden müssen, oder die Installierung von Luftfilteranlagen in Schulen mit vorerkrankten Kindern. 

Das Gesetz birgt die Gefahr willkürlicher Maßnahmen

Der zweite Blick auf den Gesetzesentwurf lässt erkennen, dass er für die Freiheit einen gefährlichen Kompromiss darstellt, dessen Folgen unabsehbar sind. Es liegt bereits jetzt auf der Hand, dass die sogenannten „Hotspot-Regelungen“ völlig unbestimmt sind und damit keine Rechtssicherheit vermitteln. So korrigierte sich die Infektionsschutzrechtsexpertin Andrea Kießling auf Twitter bezüglich der Auslegung des nahezu inhaltsgleichen Referentenentwurfs zur Änderung des IfSG mehrfach selbst, und der Jurastudent und Journalist Benjamin Stibi zeigte zu Recht auf, dass nach diesem Entwurf nicht nur die Bundesregierung nun plötzlich – anders noch in dem Entwurf zur Impfpflicht ab 18 – ermächtigt werden soll, eigenständig auch zum Nachteil der Bürger die Anforderungen an eine „vollständige Impfung“ per Verordnung zu ändern, sondern dass die Voraussetzungen, unter denen eine Hotspot-Regelung getroffen werden kann, in Gänze „interpretationsoffen“ ist, da unklar ist, wann eine Virusvariante „signifikant höher pathogen“ oder ab wann durch eine „besonders hohe Anzahl an Neuinfektionen“ oder einem „besonders starken Anstieg an Neuinfektionen“ eine „Überlastung der Krankenhauskapazität“ droht. Dass keine Grenzwerte festgelegt wurden, kritisieren etwa der Virologe Klaus Stöhr und der KBV-Chef Andreas Gassen scharf; eine derartige Festlegung lehnt Lauterbach jedoch lapidar mit dem unverständlichen Hinweis ab, dass das aus seiner Sicht medizinisch keinen Sinn mache.  

Das Gesetz birgt aus diesen Gründen die Gefahr willkürlicher Maßnahmen, denen die Bürgerinnen und Bürger letztlich wehrlos gegenüberstehen werden, da sie gerichtlich zumindest im Eilverfahren so gut wie nicht überprüfbar sind und es daher wie gewohnt und vom Bundesverfassungsgericht abgesegnet heißen wird: Einschätzungsprärogative der Regierung bzw. des Landtags, der in diesen Fällen zustimmen muss.  

Faktisch ist die Deklarierung eines ganzen Bundeslands als Hotspot möglich

Die Hotspot-Regelung ist somit die Achillesferse des Entwurfs und hat das Potenzial, aus dem Pyrrhussieg von Buschmann eine Niederlage auf ganzer Linie zu machen. Es wird am Ende nämlich darauf ankommen, wie verantwortungsbewusst die Länder mit dem scharfen Schwert der Hotspot-Regelung umgehen. Faktisch ist nämlich auch die Deklarierung eines ganzen Bundeslands als Hotspot möglich. Bei der kommenden Ministerpräsidentenkonferenz am 17.3. wird sich zeigen, ob die Bundesländer im Hinblick auf die Verlängerungsoption bis zum 2.4. ein koordiniertes Vorgehen beschließen oder ob es eher in Richtung eines Wettschließens oder -lockerns gehen wird. 

Ob die FDP besser daran täte, Rückgrat zu beweisen und ihre zentralen Versprechen nicht samt und sonders der Regierungsbeteiligung zu opfern, oder ob es taktisch sogar geboten ist, noch gravierendere Grundrechtseinschränkungen zu verhindern, wird sich erst rückblickend beurteilen lassen. Lösen lässt sich das Freiheit-Paradox wohl kaum. Nicht zuletzt mit Blick auf anstehende Wahlen sollte sich die FDP jedoch tunlich überlegen, ob es für sie nicht vorteilhafter wäre, zu versuchen, zumindest noch eine erweiterte Impfpflicht, unabhängig davon, ob ab 18 Jahren oder ob, wie ein neu eingebrachter überfraktioneller Gesetzesentwurf vorsieht, ab 50 Jahren, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln, und sei es durch die Aufkündigung der Koalition, zu verhindern. Denn eine Impfpflicht gegen Covid-19 verstößt gegen die Menschenwürde und ist damit keinem Kompromiss zugänglich, sodass sich die FDP in diesem Punkt nicht darauf zurückziehen kann, dass es ohne sie noch düsterer für die Freiheit im Lande aussähe.  

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