Hubertus Knabe - Es brauchte keine Intrige

18 Jahre polarisierte Hubertus Knabe das Land als Kommunistenjäger und machte sich so viele Feinde. Dann verlor der Direktor der Stasi-Gedenkstätte Hohenschönhausen erst die politische Protektion und danach seinen Job

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18 Jahre war Hubertus Knabe Direktor der Gedenkstätte, im September 2018 wurde er entlassen / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Business as usual in Berlin-­Hohenschönhausen. Busse fahren vor, Schülergruppen werden durch die düsteren Gefängniszellen geführt, in denen in der DDR Tausende politisch Verfolgte inhaftiert waren. Ende März soll in dem ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnis eine neue Ausstellung eröffnet werden, „Stasi in Berlin“. Letzte Arbeiten werden gerade ausgeführt. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht ein 170 Quadratmeter großes begehbares Luftbild, das Berlin im Maßstab 1:1758 zeigt. Auf ihm werden sich die Besucher mithilfe eines iPads rund 4200 Orte des Wirkens der Stasi in Ost- und Westberlin anschauen können: Dienstsitze, konspirative Wohnungen, Schauplätze von Mordanschlägen und Entführungen. Kurator Andreas Engwert nennt es die „Infrastruktur der Repression“.

Innovativ will sich die Gedenkstätte in der Ausstellung präsentieren. Filme werden sich die Besucher auf den iPads ansehen und Stasi-Einsätze auf dem Stadtplan über mehrere Stationen nachverfolgen können. Klassische Vitrinen und Texttafeln hingegen wird man vergeblich suchen. Die Ära Hubertus Knabe in Hohenschönhausen geht nach 18 Jahren in diesem Frühjahr mit einer multimedialen Inszenierung zu Ende.

Das Schweigen der Kritiker

Die routinierte Betriebsamkeit überdeckt, dass rund um die Gedenkstätte auch vier Monate nach der Entlassung des Direktors Hubertus Knabe nur vordergründig Ruhe eingekehrt ist. Knabe und der Stiftungsrat haben sich auf einen Aufhebungsvertrag verständigt. Ein kommissarischer Leiter der Gedenkstätte wurde vom Stiftungsrat eingesetzt, die Ausschreibung für die Neubesetzung ist in Arbeit.

Doch man spürt die Nervosität, die immer noch herrscht, wenn man versucht, mit den unmittelbar Beteiligten zu sprechen, wenn man ihnen die Frage stellen will, wie es in Hohenschönhausen denn nun weitergeht. Sie sind, wie Berlins linker Kultursenator Klaus Lederer, der dem Stiftungsrat vorsitzt, entweder gar nicht mehr zu einer Auskunft bereit oder kurz angebunden. „Der Vorwurf einer politischen Intrige ist absurd“, sagt Marianne Birthler, die im Herbst vergangenen Jahres vom Stiftungsrat als Vertrauensperson eingesetzt worden war, um die Sexismusvorwürfe gegen die Gedenkstättenleitung aufzuarbeiten und um den betroffenen Frauen in Hohenschönhausen als Ansprechpartnerin zu dienen. Mehr lässt sich die Bürgerrechtlerin und ehemalige Leiterin der Stasi-Unterlagen-Behörde zur Causa Knabe nicht entlocken. Es sei ansonsten alles gesagt.

Knabes Einmischung in politische Debatten

Wenn es denn keine politische Intrige war, warum stolperte Hubertus Knabe dann über Sexismusvorwürfe, die eigentlich seinen Stellvertreter betreffen und von denen selbst Knabe-Kritiker hinter vorgehaltener Hand einräumen, dass diese allein nicht unbedingt zu der Entlassung hätten führen müssen?

Wer den Gründen nachspürt, die zum Rausschmiss geführt haben, der stößt auf viele Geschichten über Knabe. Die Gedenkstätte Hohenschönhausen ist schließlich nicht irgendeine Einrichtung, sondern die zentrale Gedenkstätte für die Verbrechen des Kommunismus in Deutschland, und der Entlassene war nicht irgendein Gedenkstättenleiter. Als Leiter einer Stiftung öffentlichen Rechts, die eigentlich zu tagespolitischer Zurückhaltung und parteipolitischer Neutralität verpflichtet ist, hat sich Knabe immer wieder in politische Debatten eingemischt. Knabe liebt es zu polarisieren, gefällt sich in der Rolle des „Kommunistenjägers“, und jedem, der ihn oder sein Gedenkstättenkonzept kritisiert, wirft er die Verharmlosung der Stasi vor. Die Geschichten über Knabe handeln von dem fast 30 Jahre andauernden Streit über die richtige Auseinandersetzung mit dem Erbe des SED-Staates – von unterschiedlichen Gedenkkonzepten und unterschiedlichen Perspektiven auf die DDR, von Schwarz-Weiß-Malerei und Grautönen, von Konkurrenz, Neid und Missgunst sowie von politischer Protektion und politischen Fallstricken.

Knabe wähnte sich unantastbar

Ohne den Anfang der Ära Knabe allerdings lässt sich dessen Ende nicht verstehen. Knabe wird im Dezember 2000 – die Stadt wird noch von dem Christdemokraten Eberhard Diepgen regiert – der erste wissenschaftliche Direktor der Gedenkstätte. Sechs Monate später zerbricht die Große Koalition in der Hauptstadt, und 13 Monate später nimmt im Januar 2002 der erste rot-rote Senat seine Arbeit in Berlin auf. Hubertus Knabe kritisiert die Regierungsbeteiligung der SED-Nachfolgepartei PDS scharf. Doch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit hält in den rot-roten Jahren bis 2011 seine schützende Hand über Knabe. Die Kritik des Historikers hilft dem Sozialdemokraten, die PDS im Zaum zu halten. Zugleich ist Knabe ein Liebling der Christdemokraten, ein Kronzeuge für ihre Warnungen vor einer Verharmlosung der Verbrechen des SED-Staates durch die Linkspartei.

Knabe wähnte sich aufgrund der doppelten politischen Protektion unantastbar. Kritiker werfen ihm vor, er führe die Gedenkstätte wie einen Privatverein, sie verweisen auf fragwürdige Vergleiche zwischen dem NS-Regime und dem SED-Staat in Hohenschönhausen, sie vermissen ein Lernkonzept beim Einsatz von Zeitzeugen bei der Führung durch die Gedenkstätte. Die sperren Schüler stattdessen schon mal in Zellen ein oder setzen sie Verhörsituationen aus. Statt sie zum Nachdenken anzuregen, würden Besucher emotional überwältigt, kritisieren Pädagogen. Knabe hingegen verweist auf die Besucherzahlen – mehr als 450 000 sind es jährlich –, sieht sich aufgrund des Erfolgs in seiner Arbeit bestätigt.

Unterwanderung durch die AfD

Dass er seine politische Protektion verlieren könnte, damit rechnet Knabe offenbar nicht. Das zeigt sich zum Beispiel im Dezember 2016, als unter dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller der rot-rot-grüne Senat seine Arbeit aufnimmt. Wieder gehört Knabe zu den Kritikern einer linken Regierungsbeteiligung, und als die Linkspartei den ehemaligen Stasi-Offiziersschüler Andrej Holm zum Staatssekretär für Stadtentwicklung machen will, gibt Knabe die Stasi-Akte von Holm, die der Stiftungsdirektor nach dem Stasi-Unterlagen-Gesetz gar nicht besitzen dürfte, rechtswidrig an Journalisten weiter. Konsequenzen hat dies für ihn keine, und dies bestärkt Hubertus Knabe möglicherweise in dem Gefühl, ihm könne keiner etwas anhaben.

Doch 2018 ist nicht mehr 2002. Das war spätestens im Sommer vergangenen Jahres spürbar, als nicht die erfolgreiche Gedenkstätte Hohenschönhausen, sondern ein lokaler Bildungsverein von der Berliner Bildungssenatorin den Zuschlag erhält, ein Lernkonzept für das DDR-Polizeigefängnis Keibelstraße in Berlin-Mitte zu entwickeln, und dieser Verein sogleich erklärt: „Zeitzeugen werden bei uns keine eigenen Führungen machen“, sie würden stattdessen in die Seminararbeit einbezogen. Knabe protestiert vergeblich. Zugleich kämpft er im eigenen Haus gegen die Unterwanderung des Fördervereins der Gedenkstätte durch die AfD – einer Partei, die nicht nur die NS-Diktatur relativiert, sondern die Bundesrepublik schon mal DDR 2.0 nennt und Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem DDR-Staatschef Erich Honecker vergleicht. Die Gedenkstätte beendet die Zusammenarbeit mit dem Förderverein. Zu spät, sagen Kritiker.

#MeToo in der Gedenkstätte

Als in denselben Monate die Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen seinen Stellvertreter Thema im Stiftungsrat der Gedenkstätte Hohenschönhausen werden, schlägt sich niemand in dem fünfköpfigen Gremium auf die Seite von Knabe. Jeder hat dort inzwischen seine eigene kleine Rechnung mit dem Direktor offen, eine Intrige brauchte es gar nicht. „Hubertus Knabe war toxisch“, begründet ein Kenner der ostdeutschen Gedenkszene, warum die Politik diesen in seltener Geschlossenheit fallen gelassen hat, warum die SPD und vor allem auch die CDU ihm in Berlin ihre Unterstützung entzogen haben. Will heißen: In seinen 18 Jahren als Direktor der Gedenkstätte hat sich Knabe zu viele Feinde gemacht, in der Politik, unter Wissenschaftlern, unter DDR-Bürgerrechtlern.

Am Ende springt in der #Metoo-Debatte um die Gedenkstätte kaum jemand für Knabe in die Bresche – nur noch DDR-Bürgerrechtler, wie Vera Lengsfeld, die mittlerweile der AfD nahestehen, und der Dresdener CDU-Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz, der aber in der CDU keinerlei Einfluss mehr besitzt.

Knabes Entlassung ist eine Zäsur

Die Berliner CDU-Landesvorsitzende und Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die im Kanzleramt für Hohenschönhausen zuständig ist, wägt am Ende nüchtern ab. Soll sie sich hinter den angeschlagenen Knabe stellen oder hinter die Frauen, die ihm vorwerfen, er habe ein sexistisches Klima in der Gedenkstätte befördert? Sie spricht von „hässlichen Einblicken“ und erklärt, in keiner mit Steuergeld geförderten Einrichtung könne man solche Zustände dulden. Die Berliner CDU senkt, um den Wählerinnen in der Stadt keine Angriffsfläche zu bieten, also den Daumen. Im Januar tritt der Fraktionsvorsitzende Burkard Dregger zusammen mit Hubertus Knabe zwar im Berliner Abgeordnetenhaus auf, um gegen eine Veranstaltung der Linken zum 100. Gründungstag der KPD zu protestieren. Aber das ist für diesen allenfalls ein Trostpflaster.

Für die Gedenkstätte Hohenschönhausen ist die Entlassung von Knabe eine Zäsur. Nicht alles dort wirkt so modern und trendig wie die im Aufbau befindliche Ausstellung „Stasi in Berlin“. Vor den Führungen in Hohenschönhausen etwa wird den Besuchern ein 30-minütiger Einführungsfilm über die Gedenkstätte gezeigt, der in seiner Ästhetik des Kalten Krieges völlig aus der Zeit gefallen ist. Nicht jeder Zeitzeuge scheint zudem in der Lage, das Repressionsregime der Stasi nachvollziehbar zu erklären. Ein Stasi-Opfer, das Mitte Januar durch die Ausstellung führt, verliert sich in Anekdoten und schnoddrigen Kommentaren. In der Garage, in der die Häftlinge angeliefert wurden, erklärt er beispielsweise: „Spätestens hier wusstest du, jetzt ist Schluss mit lustig, hier wird nicht rumgezickt.“ Und in dem Raum, in dem die Häftlinge erkennungsdienstlich behandelt wurden, sagt er: „Das Ding musstest du mitmachen, sonst gab es Stress.“ Dem Gedenkort und seinem pädagogischen Auftrag wird er so nicht gerecht.

Ein neuer Deutungskampf beginnt

„Hohenschönhausen braucht einen Neuanfang“, sagt Beiratsmitglied Jens Gieseke vom Zentrum für zeithistorische Forschung Potsdam, das Konzept der Gedenkstätte müsse weiterentwickelt werden. Die Konzeption der Führungen müsse allein deshalb überarbeitet werden, weil die Zeitzeugen weniger würden. Für eine Historisierung des Erinnerns plädiert der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk. Der SPD-Politiker Markus Meckel, der dem Stiftungsrat der Bundesstiftung Aufarbeitung vorsteht, schlägt vor, das Stasi-Untersuchungsgefängnis, die Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg und das Polizeigefängnis in Berlin-Mitte in einer „Stiftung Topografie der Repression“, also die Orte der Täter und die Orte der Opfer, im Gedenken organisatorisch unter einem Dach zusammenzuführen. Der DDR-Bürgerrechtler Ralf Hirsch erinnert daran, dass andere Einrichtungen, die sich mit der Aufarbeitung des SED-Staates beschäftigen, finanziell gefährdet seien, etwa die Havemann-Gesellschaft oder die sogenannte Runde Ecke in Leipzig, in der die Stasi-Bezirksverwaltung ihren Sitz hatte.

Die Zäsur in Hohenschönhausen weckt politische und finanzielle Begehrlichkeiten. Es könnte sein, dass 30 Jahre nach dem Untergang der DDR nun ein neuer Deutungskampf über die Verbrechen des SED-Staates beginnt.
 

Dies ist ein Artikel aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie ab am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.








 

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