Horst Mahler wird aus Haft entlassen - Linksextremer, Rechtsextremer

Im Herbst wird der ehemalige RAF-Terrorist und Rechtsanwalt Horst Mahler aus der Haft entlassen. Sein beispielloser politischer Zickzackkurs der Extreme gibt Rätsel auf.

Horst Mahler im Zellentrakt der Berliner Haftanstalt Tegel am 28.3.1979 / dpa
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Autoreninfo

Eckhard Jesse ist emeritierter Politikwissenschaftler an der TU Chemnitz. 2014 hat er ein Buch über „Deutsche Politikwissenschaftler – Werk und Wirkung“ herausgegeben.

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Als Horst Mahler 2001 die Haustür in Kleinmachnow bei Berlin öffnet, passt seine distinguierte Erscheinung so gar nicht zu dem Medienbild über ihn, weder zum einstigen Links­terroristen noch zum Rechtsextremisten, zu dem er sich da schon entwickelt hat. Ebenso wenig passt das biedere Ambiente: Boulevardzeitschriften und braver Schäferhund. 

Irritiert mögen auch die Polizisten gewesen sein, die ihn am 8. Oktober 1970 in Berlin festnahmen. „Kompliment, meine Herren!“, sagte Mahler da, der Griff nach der geladenen und entsicherten Pistole in seiner Hosentasche unterblieb. Als Erster des harten Kerns der vier Gründungsmitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) musste „James“, so der Deckname, für ein Jahrzehnt hinter Gitter.

Mit den Festnahmen von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof 1972 war die erste Generation des deutschen Linksterrorismus aufgerieben, besiegt war sie noch lange nicht.

Wer ist Horst Mahler?

In der Öffentlichkeit hieß die RAF Baader-Meinhof-Gruppe. War das berechtigt? Baader, Kleinkrimineller, charismatischer Macho und Womanizer zugleich, übte mit seiner Militanz prägenden Einfluss aus. Meinhof, langjährige Journalistin bei dem Periodikum konkret, sagte in ihren Artikeln dem als inhuman empfundenen Kapitalismus den Kampf an und galt Sympathisanten als Lichtgestalt. Die Pfarrerstocher Ensslin, die Freundin Baaders, stilisierte sich zur Gesinnungsethikerin – dabei verströmte sie ein gerüttelt Maß an Kälte. 

Verantwortlich für das Entstehen der RAF war jedoch der Rechtsanwalt Mahler, auch wenn er beim Versuch scheiterte, den in Großbritannien weilenden charismatischen Studentenführer Rudi Dutschke für den bewaffneten Untergrundkampf zu akquirieren. Die Warenhausbrandstifter Baader und Ensslin, die sich nach Italien abgesetzt hatten, konnte er hingegen ebenso wie Meinhof anheuern, dazu weitere aus seinem militanten Umfeld.

Wer ist Horst Mahler? Sein irrlichterndes politisches Dasein – SPD-, KPD- und NPD-Mitglied – besteht aus vielen Leben, die so gar nicht zusammenzupassen scheinen. Seit 2009 sitzt er, mit kurzen Unterbrechungen, erneut hinter Gittern, nun wegen Leugnung des Holocaust. Im Oktober soll er freikommen.

Politisch engagiert und zielstrebig im Studium

Geboren am 23. Januar 1936 im schlesischen Haynau, flüchtete der noch nicht Zehnjährige mit drei Geschwistern und der Mutter bei Kriegsende vor den sowjetischen Truppen nach Naumburg an der Saale und dann nach Roßlau bei Dessau. Er engagierte sich in der FDJ, nicht aus Überzeugung, sondern eigenem Bekunden zufolge aus Anpassungsbeflissenheit, um später studieren zu können. 

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Nach dem Selbstmord des depressiv gewordenen Vaters, eines auch nach 1945 vom Nationalsozialismus Überzeugten, zog die Mutter 1949 in den Westen Berlins, wo Mahler 1955 das Abitur „mit Auszeichnung“ bestand. Die Studienstiftung des deutschen Volkes förderte den Jurastudenten mit Beginn des Studiums. Wie seinen ausgesprochen reflektierten Semesterberichten zu entnehmen ist, reizte ihn die Politik, ganz besonders der Marxismus-Leninismus. Das Ansinnen, diesen zu widerlegen, schlug bald in Apologie um, erkennbar an den offenherzigen Zeilen des 21-Jährigen: „In dem Bemühen, die These von der Diktatur des Proletariats zu rechtfertigen, übte Lenin und später im Einzelnen Stalin heftige Kritik an der deutschen Arbeiterbewegung von 1900–1933. Diese zum großen Teil m. E. berechtigte Kritik veranlaßte mich, daranzugehen, die Geschichte dieser Zeit zum Teil auch an dokumentarischem Material zu studieren.“

Dem Eintritt in die SPD 1957 ging der Austritt aus der schlagenden Verbindung Thuringia voraus, dem Eintritt in den Sozialistischen Deutschen Studentenbund 1961 der Austritt aus der SPD. Anders als Ensslin und Meinhof schloss der Zielstrebige das Studium ungeachtet seines politischen Engagements fix ab – zweimal, 1959 und 1963, mit dem Prädikatsexamen „voll befriedigend“. Seine 1964 eröffnete Kanzlei bearbeitete anfangs wirtschaftsrechtliche Fälle. 1966 erlangte der rhetorisch Beschlagene als erster deutscher Anwalt einen Erfolg beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen der überlangen Untersuchungshaft eines Beschuldigten. 

Geburtsstunde des deutschen Terrorismus

Bald nahm ihn die Politik beruflich in Beschlag. Auch bei Demonstrationen stets bürgerlich mit Anzug und Krawatte auftretend, verteidigte Mahler vor Gericht nicht nur systemkritische 68er (u. a. Rudi Dutschke, Dieter Kunzelmann, Fritz Teufel), sondern trieb die Bewegung auch durch Militanz voran. Angeklagt als Rädelsführer nach den „Osterunruhen“ 1968 im Anschluss an das rechtsextremistisch motivierte Attentat auf Dutschke, fädelte das Gründungsmitglied des Sozialistischen Anwaltskollektivs, zu dem auch Hans-Christian Ströbele gehörte, die Befreiung Baaders am 14. Mai 1970 ein: die Geburtsstunde des deutschen Terrorismus. Mahler tauchte mit seinen Gesinnungsgenossen ab, die RAF entstand. Nach einem sechswöchigen Aufenthalt in einem palästinensischen Trainingscamp überfiel diese „Stadtguerilla“ in Berlin Banken, um sich finanziell für den bewaffneten Kampf zu rüsten.

Der Ideologe verfasste nach seiner Festnahme zwar das Traktat „Über den bewaffneten Kampf in Westeuropa“ und sah anders als Meinhof im Industrieproletariat der westlichen Metropolen keine revolutionäre Kraft mehr, aber bald begannen erste öffentliche Absetzschritte, die sich bereits beim Drill in Palästina angedeutet hatten. Der zu 14 Jahren Verurteilte lehnte Hungerstreiks ab und befeuerte nicht die These von der „Isolationsfolter“. In einer Erklärung zu seinem Ausschluss bekundete die RAF, dieser sei eine „hauptsächlich lächerliche Figur“. 

Als die Bewegung 2. Juni nach dem Kidnapping des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz im Februar 1975 sechs „politische Gefangene“ freipresste, lehnte Mahler, inzwischen Mitglied der maoistischen KPD, seine Freilassung mit revolutionärer Pose ab: „Die Strategie des individuellen Terrors ist nicht die Strategie der Arbeiterklasse.“ 

Das Engagement für die KPD blieb eine Episode. Mithilfe seines Anwalts, des späteren Kanzlers Gerhard Schröder, den er 2007 als „Vasall des Weltjudentums“ apostrophierte, kam er 1980 frei und 1988 wieder in seinen alten Beruf als Wirtschaftsanwalt.

Radikalisierung nach rechts

Der politische Konvertit, augenscheinlich geläutert, ließ nun Sympathien für die Grünen und die Liberalen erkennen (mit dem Innenminister Gerhart Baum entstand 1980 der Interviewband „Der Minister und der Terrorist“). Plädierte Mahler 1979 für die deutsche Zweistaatlichkeit, der „nationalen Frage“ eine strikte Absage erteilend, musste Helmut Kohl ein Jahrzehnt später den Vorwurf hinnehmen, nur eine zaudernde Wiedervereinigungspolitik zu betreiben. Bis Mitte der neunziger Jahre hielt sich der Anwalt weithin mit politischen Statements zurück – die große Zäsur, der Untergang des „real existierenden Sozialismus“, ermunterte ihn nicht zu Interventionen.

Furore machte 1997 seine Laudatio zum 70. Geburtstag des christlichen Konservativen Günter Rohrmoser, der ihn einst in der Haft besucht hatte. Obwohl Mahler sich noch als Linker empfand, mussten viele seiner Sätze auf heftige Kritik im linken Milieu stoßen. Eine Kostprobe: „Die Niederlage, die eine Befreiung war, war auch der Sieg der Feinde Deutschlands über unser Volk. Sie sind heute unsere Freunde. Aber die Geschäftsgrundlage dieser Freundschaft war – und ist wahrscheinlich immer noch – die bedingungslose Unterstützung des von den USA getragenen atlantischen Hegemonieanspruchs bei gleichzeitiger Preisgabe unseres Rechts, als eine selbstbewusste Nation dazusein und respektiert zu werden. Nur in gebückter Haltung sind wir wohlgelitten.“

Die Radikalisierung nach rechts verlief atemberaubend schnell. Zwar verpuffte seine „Bürgerbewegung für unser Land“ Ende der neunziger Jahre, aber nun zählte die „Überfremdung“ zu seinen Leitmotiven: „Die Landnahme findet heute im Kreißsaal statt“, hieß es im Jahr 2000 in einem Interviewband („Schluss mit deutschem Selbsthass“) mit Franz Schönhuber, einst Vorsitzender der Republikaner. Galten ihm die Anschläge am 11. September 2001 zunächst als gerechtfertigter Widerstand, sah er später die Urheberschaft in den USA selber. Der Islamismus, der gegen Mahlers Feindbild USA zu Felde zog, war außenpolitisch höchst willkommen, innenpolitisch sah er ihn als Bedrohung für die „Volksgemeinschaft“.

Vision einer neuen „Reichsordnung“

Als im Jahr 2000 die Diskussion über ein Verbot der rechtsextremistischen NPD Fahrt aufnahm, trat der Provokateur ihr flugs bei. Die Partei erkor Mahler zu ihrem Verfahrensbevollmächtigten vor dem Bundesverfassungsgericht, ausgerechnet ihn, der für ein generelles „Verbot der Parteien“ votierte: Ihm schwebte eine „Reichsordnung“ mit einem Monarchen an der Spitze vor, gewählt auf Lebenszeit von einem siebenköpfigen Reichsrat. 

Seine Schriftsätze an das Gericht strotzen vor abseitig-bizarren Weitschweifigkeiten. Nach dem Scheitern des Verbots aus formalen Gründen 2003 erklärte der Desperado noch am selben Tag seinen Austritt: Die NPD sei am Parlamentarismus ausgerichtet und deshalb wie das parlamentarische System selbst „zum Untergang verurteilt“.

Die nächste Provokation folgte im selben Jahr mit der Gründung eines „Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“. Mahler, mittlerweile zur Überzeugung gelangt, der Holocaust sei eine Fiktion, setzte in seinen Texten üble Duftmarken: „Europa erlebt das Schauspiel, daß seine Intelligenz Völker und Nationen für Wahngebilde (Phantasmagorien) hält und das Wort ‚Rasse‘ zum Unbegriff erklärt, damit es bedeutungslos erscheine, dass hier Neger und Schlitzaugen in die Wohnsitze der Weißen einsickern, so wie der Itzig in Palästina einsickerte, um das Leben an sich zu reißen.“ 2006 zogen die deutschen Behörden Mahlers Reisepass ein, um seine Teilnahme an der Tehe­raner Konferenz zur Leugnung des Holocaust zu verhindern.

Im Jahr 2000 hatte er in einem Kleinstverlag ein provokatives Büchlein mit dem Titel „Guten Tag, Herr Friedman ..“ veröffentlicht, 2007 interviewt Michel Friedman, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, Mahler für Vanity Fair. Der begrüßt ihn mit „Heil Hitler, Herr Friedman“. Seine Äußerungen wimmeln von – allerdings nicht rassen­ideologisch begründeten – Kampfansagen an das Judentum. Dieses müsse seine „Weltherrschaftsansprüche“ aufgeben, um gelitten zu sein. „Hitler“, lautet ein Kernsatz, „war der Erlöser des deutschen Volkes.“ Friedman erstattete Strafanzeige.

Verliebt in die Märtyrerpose

Mahler, der ein ums andere Mal vor Gericht geriet, erhielt 2009 wegen permanenter Leugnung des Holocaust eine Gesamthaftstrafe von mehr als zehn Jahren. In seinem Schlusswort erklärte der Angeklagte, er wolle „das Werk der Befreiung Deutschlands“ als führender Kopf in Angriff nehmen. Oft gelang es ihm, die eigenen Auftritte zum Tribunal zu machen. Seine früheren Verteidiger Schily und Ströbele distanzierten sich von den Hirngespinsten, hielten das Strafmaß bei einem solchen Meinungsdelikt jedoch für zu hoch. Auch in der Haft beharrte der nach ärztlichen Bulletins zeitweilig Todkranke – 2015 wurde ihm der linke, 2018 der rechte Unterschenkel amputiert – auf (w)irren Positionen. Eine Haftunterbrechung 2015 nutzte Mahler zu Vorträgen – und zur Flucht nach Ungarn. Sein dortiges Asylgesuch endete nahezu postwendend mit einer Übergabe an die deutschen Behörden.

Mahler, der das Grundgesetz nicht anerkennt und auf einem Fortbestehen des Deutschen Reiches insistiert, hat verschiedene Gelegenheiten, aus der Haft freizukommen, mutwillig verspielt: Offenbar ist ihm an einer Märtyrerexistenz gelegen. In dem Maße, wie sich seine Thesen immer weiter zuspitzten, schwand die Anhängerschaft im rechtsextremistischen Umfeld. Die Rote Hilfe fand in den siebziger Jahren mit der Parole „Freiheit für Horst Mahler“ weitaus mehr Anklang als der Narrensaum seiner jetzigen Jünger mit derselben Parole. Der erste Satz in seinem jüngsten Pamphlet („Lob des ‚Rassismus‘“) von 2020 lautet: „Anti-Rassismus ist geistige Immunitätsschwäche der Völker.“

Mahlers Zickzackkurs gibt Fragen auf

Wer Mahlers Stationen Revue passieren lässt, kommt nicht um Motivforschung herum: Was bewegt ihn? Warum gibt es einen Wandel, der das gesamte politische Koordinatensystem betrifft? Ist er ein gesinnungsstarker Überzeugungstäter, der stets nach einer (neuen) geistigen Heimat strebt? Oder ein Geltungssüchtiger, der sich bemüßigt fühlt, immer neue (steile) Thesen zu vertreten? Unübersehbar ist die Suche, ja Sucht nach Aufmerksamkeit, und sei es nach negativer. Mahler sucht die Provokation um jeden Preis, ohne Angst vor sozialer Isolation. Er erklärt den Wechsel seiner Positionen mit Hegel: „Der Widerspruch ist das Zeichen der Wahrheit.“ Danach wäre er die personifizierte Wahrheit.

„Wenn ich so etwas wie ein Damaskuserlebnis gehabt habe, dann in der Haft bei der Lektüre von Hegel“, sagte er 2000. Dies überzeugt wenig, denn Mahler vollzog seine radikale Wende erst mehr als zwei Dezennien nach der Hegel-Lektüre. Der von ihm idealisierte Hegel soll gesagt haben, „um so schlimmer für die Tatsachen“, als diesem vorgehalten wurde, seine Theorie sei mit den Fakten unvereinbar. Ein solches Diktum ist auch dem politischen Seitenwechsler zuzutrauen. Wenn Mahlers Anhänger dessen unbestreitbare Intellektualität herausstreichen, muss es ebenfalls heißen: umso schlimmer.

Die gründlichste biografische Studie (von Michael Fischer) sieht in Mahlers Bedürfnis nach Schuldabwehr gegenüber den NS-Verbrechen nahezu monokausal eine Kontinuitätslinie: Antiliberalismus, Antiamerikanismus und Antisemitismus (in der linken Phase als Antizionismus verbrämt) durchziehen sein politisches Leben. Aber diese vergangenheitspolitische Interpretation unterschlägt, zumal für die linke Periode seines Wirkens, andere Motive, etwa den Internationalismus. Radikalisierungen haben nun einmal verschiedene Ursachen. Die narzisstische Disposition Mahlers spielt Fischer stark herunter. Wer den Holocaust bestreitet, bricht ein Tabu und findet Aufmerksamkeit, allerdings negative. Diese mangelnde Anschlussfähigkeit an andere rechte Denkmuster hielt ihn nicht von einem Bekenntnis zu den Holocaust-Leugnern ab. Wer vor Gericht ostentativ eine mit einem Hakenkreuz versehene Ausgabe von „Mein Kampf“ in die Kameras hält, sucht das Spektakel.

Was für und was gegen das Hufeisenmodell spricht

Der Exzentriker dient gerne als Paradebeispiel für rechtes Denken bei 68ern und für extremistische Standpunkte. Aber weder das eine noch das andere trifft so zu. Denn wer rechtes Denken bei 68ern betont, geht ihm, dem daran gelegen ist, seine politische Laufbahn als folgerichtig anzusehen, auf den Leim. Sein radikaler Wandel von links- nach rechtsaußen ist keineswegs charakteristisch für extremistisches Verhalten. In aller Regel bleiben Extremisten „ihrem“ Lager treu. Mahlers obskurer Zickzackkurs taugt schwerlich als Beleg für die Plausibilität des Hufeisenmodells.

Hingegen springen in den linken wie in den rechten Phasen eine Reihe von Affinitäten ins Auge: sein Freund-Feind-Denken, sein Missionsbewusstsein, sein Geschichtsdeterminismus, sein Dogmatismus, sein Fanatismus, sein Holismus, sein exklusiver Erkenntnisanspruch, sein verschwörungstheoretischer Gestus. Die strukturelle Kontinuität seines Denkens ist insofern doch ein Indiz für die Tauglichkeit des Hufeisenmodells.

Wie geht es mit Mahler weiter?

Als ich 2001 Mahler in seinem kleinen und feinen Kleinmachnower Eigenheim für ein längeres Gespräch besuchte, um mir für einen Aufsatz ein Bild von seiner Person zu machen, war ich irritiert über die Diskrepanz zwischen der ruhigen, unaggressiven Sprache mit wohlgesetzten und höflichen Worten und der Radikalität seiner Aussagen. Kryptisch war davon die Rede, andere würden seine politische Position teilen, ohne damit jetzt schon an die Öffentlichkeit zu treten. Mahler agi(ti)erte zwar mit rechtsextremistischen Parolen, aber noch nicht mit nationalsozialistischen. 

Heraushören ließ sich ein Überlegenheits- und Neidgefühl gegenüber einstigen politischen Freunden und beruflichen Kollegen wie Schily und Ströbele, die Karriere gemacht hatten, ohne dass abfällige Sätze über sie fielen. Es blieb der Eindruck, der notorisch Geltungsbedürftige lechze danach, der Staat möge bitte davon Gebrauch machen, ihm mit einem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Grundrechte gemäß Art. 18 des Grundgesetzes zu entziehen. Doch Schily und seine Nachfolger taten ihm diesen Gefallen nicht. Die große Bühne blieb ihm wie beim ersten NPD-Verbotsverfahren versagt.

Legte Mahler an seinem Lebensende eine Autobiografie vor (auch wenn er keine schreiben möchte), könnte der Leser nicht sicher sein, Authentisches zu erfahren. Ist ihm vielleicht selber gar nicht bewusst, wo Provokation in Überzeugung umschlägt und Überzeugung in Provokation? Ebenso wenig eine rhetorische Frage: Was passiert nach seiner Freilassung aus der JVA Brandenburg im Herbst? Jedenfalls nicht das von ihm vor zwei Jahrzehnten Vorhergesagte: „Nostradamus wird mit seiner Prophezeiung für das Jahr 2020 recht behalten: Das heilige Reich wird nach Deutschland kommen!“
 

Dieser Text stammt aus der September-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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